17. März 2020

Corona - Was passiert, wenn ein Virus auf eine egoistische Gesellschaft stösst

Ab heute ist Bayern fast zu. Meine Praxis ist noch offen. Das unterscheidet mich auch von VW, wie ich gehört habe. Die stellen die Produktion vorübergehend ein. Wegen Corona. Das Virus schlägt sich auch auf den Geldbeutel nieder. Als Psychologe fragt man sich, welche Entwicklung wird angestossen, wenn ein Virus auf eine ich-zentrierte hedonistische Gesellschaft stösst?


"Wir wollen Party, Palmen, Weiber und´n Bier"

so sang einmal Mikie Krause auf dem Ballermann. Nein, es sind jetzt nicht nur die Corona-Partys. Es ist nicht nur der Nachbar, der Corona-positiv ist, aber noch keine Symptome hat, aber rein und raus geht, den Aufzug benutzt, die Knöpfe drückt, die alle anderen auch drücken und ansonsten schnell noch ins Fitnessstudio ging, bevor es geschlossen hat. Es ist auch nicht nur der Viktualienmarkt. Der war am Sonntag war in München so proppenvoll, die Leute standen wirklich Gesicht an Gesicht, in der Hand ihre Proseccogläser. Nein, wir ändern doch nicht unsere Gewohnheiten wegen dem Virus! Wir wollen Prosecco!
Es ist alles miteinander. Als ob wir vor einem fin de siécle leben und auf der Fahrt in den Untergang unbedingt noch tanzen wollen, weil es ja eh nichs mehr hilft oder einfach nur weil es eine Menge Leute gibt, die wohl zu wohlstandverwöhnt sind, um sich in ihrer Selbstbezüglichkeit einschränken wollen. Alles erlebte Vorgänge!

Spoileralarm: Auf Twitter schreibt jetzt garantiert jemand als Antwort, ich schädige mein Geschäft mit solchen Bemerkungen! Und garantiert fühlt er / sie sich überlegen dabei. Was zeigt, dass wir Menschen im Grunde genommen irrationale Wesen sind. Denn medizinische Branchen verhalten sich antizyklisch. Die ertrinken in Arbeit.

Vor einigen Tagen wurde jemand mit Verdacht auf Meningokokken (verursachen Gehrinhautentzündung) eingeliefert. Was macht ein Krankenhaus? Klar, man gibt ihn zur mikrobiologischen Abteilung, die sollen ihn testen. Rückmeldung der Abteilung: "Sorry, wir haben die letzten Nächte durchgemacht wegen der Influenza. Wir kommen nicht mal zum Testen auf Corona. Keine Kapazitäten mehr frei! Überleg dir was anderes!" Das ist Teil der Realität. Es gibt genug Arbeit.

Man könnte es auch so ausdrücken wie der politische Kommentator Dave Pakman in USA: "Dumme und böse Menschen zerstören uns!"

Irrationalität als Grundlage

Á propos Irrationalität: Gestern traf ich im Supermarkt eine mit einem Bollerwagen, die die Regale leerräumte.
Jetzt sind Hamsterkäufe in Handlung umgesetzte Angst um das eigene Selbst (Selbst inkludiert hier auch die eigenen Familie etc.). Das ist ein Grundmechanismus aus der Evolution und weder schlecht noch gut, sondern einfach funktionell. Man muss aber nicht Psychologe sein, um zu wissen, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. Der Psychologe würde es vielleicht anders ausdrücken ("wir haben nicht nur das limbische System, sondern auch den präfrontalen Cortex und der kann ersteres überwinden"), und damit hat die Evolution etwas zur Verfügung gestellt, mit dem wir sind nicht an die Angst gebunden.

Hedonismus verhindert Besserung

Allerdings, so würde der Psychologe hinzufügen, passiert das nicht von alleine. Das muss gelernt und trainiert werden. Wenn man Ältere fragt, dann hört man oft die Aussage, dass sie mit zunehmenden Alter gelassener werden, was eigentlich nichts anderes heisst, als dass mit mehr Erfahrung sich auch mehr Lernerfolge im Hinblick auf Bewältigung von angstbesetzen Situationen einstellen. Leider gilt auch hier: Es ist kein Automatismus. Man kann aus jeder Situation auch das Falsche lernen.

Mark Twain hat es einmal so unnachahmbar ausgedrückt:

"Wir sollten aus jeder Situation die Lektion lernen, die wirklich in ihr enthalten ist. Eine Katze, die sich einmal auf eine heisse Herdplatte gesetzt hat, wird sich nie wieder auf eine heisse Herdplatte setzen. Sie wird sich aber auch nie wieder auf eine kalte Herdplatte setzen".


Leider sind individuelle Lernerfolge noch keine Garantie, dass sie gesellschaftlich relevant werden. Dazu braucht es einen relevanten quantitativen Schwellenwert, der überschritten werden muss. Noch sehe ich nicht, dass wir in Deutschland so weit sind. Wer Corona-Parties schmeisst, sich nicht an soziale Abstände hält, der hat noch keine Lernerfahrung. Hier steht noch immer die Selbstbezüglichkeit und der Hedonismus einer Wohlstandsgesellschaft im Vordergrund. Und Hedonismus ist an einem nicht interessiert: An Verantwortung für andere.

Was lernen wir aus vergangenen Gesundheitskrisen für Corona?

Es gibt laut Beobachtung aus vergangenen Krisen zwei Entwicklungen, die eintreten können:
  1. Man veschärft die Massnahmen, zum Beispiel Ausgangssperren, siehe Asien, China, Singapore ... Im Westen mögen das die Menschen nicht und es wird Verstösse dagegen geben, was dann die Infektionsausbreitung nicht so sehr verlangsamt (siehe Italien). je länger es dauert, desto mehr wächst die Sehnsucht nach Normalität und die Abneigung gegenüber der politischen Entscheidungen.
  2. Mit forschreitender Zeit wächst das Misstrauen gegenüber Entscheidungsträgern, ob die verordneten Massnahmen denn wirklich dem Virus oder anderer (unterstellter und vermuteter) Motivation geschuldet sind: "Die wollen uns nur einschränken, steuern, manipulieren. Und ausserdem, so schlimm ist die Situation gar nicht".
    Mit "so schlimm ist es ja gar nicht" gehen dann die Hamsterkäufe zurück und die Versorgungslage wird entspannter. Das wird dann als Bestätigung genommen, dass es ja wirklich "wirklich nicht so schimm ist".
    Der Psychologe würde jetzt sagen, hier liegt eine Rationalisierung plus self fulfilling prophesy vor. Der Logiker würde von einem Zirkelschluss reden.

Alle Entwicklungen haben eines gemeinsam: Sie folgen überwiegend irrationalen Mechanismen. Was sagt mir das? Wir sind mit einer Krise konfrontiert und sind mit unserem Stolz auf Aufklärung, Individualität, Konsum und Autonomie keinesfalls psychologisch gut präpariert. Wir sind nicht so souverän, wie wir unseren Kinder zu glauben vorgeben wollen.Corona-Partys, Prosecco-Versammlungen und Saunabesuche trotz Infektion, Bollerwagen im Supermarkt sind der Beweis.

P.S.: ab morgen schliesse ich meine Praxis. Counceling ist möglich, eben über skype, Telefon etc. Passt auf Euch auf, alle miteinander!

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