31. Oktober 2020

Lockdown light ab Montag: Was können wir aus der Geschichte für Corona lernen?

Der schwarze Tod
Der Schwarze Tod

Die Geschichte ist voll von Seuchen und Gegenmassnahmen: Die Jahre nach 1348, als der Schwarze Tod durch Europa zog und um die 30 Prozent der Bevölkerung tötete. Oder die "Pest des Thukydides" 430–426 v. Chr.
Dass der Schwarze Tod in Marseille 1729 und 30 Jahre später in Moskow Einzug hielt, ist weniger bekannt. Ebenso die Pest auf Korfu (1812), in Konstantinopel (1825 und 1837), auf der Peloponnes (1827-1828) oder in Hamburg (1812-1813).
Ganz zu schweigen außerhalb Europas: Millionen Tote in Indien (u.a. Bombay 1896) und China im 19. Jahrhundert, Leichenberge in Kairo (1835) oder Alexandria (1834-1835).

Wir können aus der Geschichte einiges für Corona abschauen und über uns selbst lernen. Doch nicht alles ist erfreulich.

Die Epidemie der Antike

Lukrez sprach davon, dass der "Pesthauch" Attika in ein "Leichengefilde" verwandelt hat. Thukydides, der Ahnherr der Seuchenberichterstattung, zählt auf:

"Tote und Sterbende lagen übereinander, halbtot wälzten sie sich auf den Straßen und bei allen Brunnen,... Die Tempel, in denen sie hausten waren gefüllt mit den Leichen der dort Verstorbenen. Völlig vom Leid überwältigt und ratlos, was aus ihnen werden sollte, kümmerten sie sich nicht mehr um göttliches und menschliches Gebot.  ... Man erdreistete sich jetzt mancher Taten, an die man vorher nur im Geheimen gedacht hatte ... Weder Götterfurcht noch Menschensatzung hielt sie in Schranken, denn einerseits hielt man es für gleichgütlig, ob man fromm sei oder nicht, da man alle ohne Unterschied dahinsterben sah, und andererseits glaubte niemand, für seine Vergehen eine Gerichtsverhandlung oder eine Strafe zu erleben"

Erklärungen für das Unerklärliche

Sophokles erklärte in seinem Theaterstück, die Ursache der Pest in Theben war die Blutschuld des Königs Ödipus. Aristaeus schrieb von zornigen Nymphen, die die Krankheit sandten. Ovid vermutete ein Treiben der Götter. Egal ob du fromm oder tugendhaft oder ein Schurke warst, arm oder reich, die Krankheit traf alle gleich. Was spielte das alles noch eine Rolle?

Medizinische Erklärungen, Miasmen, die als Schadstoffpartikel in der Luft, die Seuche übertragen sollten, mögen zwar erste Anzeichen von "Wissenschaft" sein, es beantwortetet aber bis heute nicht die soeben gestellte Frage.

Die Seuche in Athen brachte deshalb nicht nur Menschen um, sondern auch die soziale Ordnung. Thukydides spricht weiter von anomia (Gesetzlosigkeit), Wut, Agression, wüste Gelage - denn was bringt es, sich einzuschränken, wenn wir eh alle draufgehen. Nehmen wir mit, was geht. Auf der anderen Seite sieht Thukydides die athymia (Mutlosigkeit), Resignation und depressiven Rückzug.

Das 14. Jahrhundert

Agnolo di Tora berichtet für Siena:

"Im Juni, Juli und August starben so viele Menschen, dass sie, selbst gegen Entgelt, keiner mehr begraben wollte.  ... Vielerorts in der Stadt hub man Gräben von riesigen Ausmaßen aus und legte, ja warf die Leichen hinein und deckte sie mit etwas Erde zu. So machte man es Schicht für Schicht ... Und ich, Agnolo di Tura, ... begrub mit eigenen Händen meine fünf Kinder in einer Grube. ... Es gab auch Leichen, die so schlecht beigesetzt wurde dass Hunde sie fanden, viele von ihnen über die Stadt zerstreuten und an ihnen fraßen."

Geschichtsschreiber schrieben über die Verrohung der Gesellschaft, über zunehmenden Fremdenhass und über die Suche nach Sündenböcken. Behördliche Maßnahmen wurden an einem Orst unerbittlich durchgezogen, im Nachbarort dagegen lasch bis gar nicht. Denn die Ursache der Seuche blieb wieder im Dunkeln. Gottes Zorn ist im 14. Jahrhundert eine passende Erklärung neben anderen: Der Dichter Antonio Pucci aus Florenz z.B. sieht die Ursache in der Abkehr von Tugend und Moral. Aber auch die Miasmenlehre ist wieder im Gespräch.

Verschwörungstheorien begleiten die Epidemie

Die Bolgneser Chronik sagt, in China und Persien hat es "Wasser mit Würmern geregnet", "Feuerbälle" seien vom Himmel gefallen und wer sie ansah, ist tot umgefallen. Die Auswirkungen davon sei die Seuche.

Ein italienischer Geistlicher behauptete, in Indien hätte es "Frösche, Schlangen, Eidechsen, Skorpione und viel giftige Tiere geregnet", dann hätte ein Hagelschlag Menschen und Tiere getötet, am dritten Tag wäre Feuer vom Himmel gefallen und hätte die Menschen verbrannt. Der Gestank der Leichen hätte den Pesthauch hierhergetragen.

Noch in der Neuzeit glaubte man - z.B. in Wien, Polen etc. - die Pestjungfrau gesehen zu haben. Sie flog meist als blaue Flamme umher oder entstieg als weibliche Gestalt dem Mund eines Toten. Hob sie die Hand, bedeutete das eine Neuansteckung.

Was sollte man glauben, was sollte man tun, was half?

Es waren nicht die Diskussionen mit Experten und an Universitäten, sondern die praktischen Maßnahmen vor Ort, die zogen.

In der Toskana und in Venedig ernannten die Gesundheitsbehörden Laien zu Gesundheitskontrolleuren, die Isolierungsmaßnahmen durchsetzten. Einfach weil sie merkten, dass das half. Gesundheitsbehörden kontrollierten die Lebensmittelbeschaffung, die Trinkwasserversorgung und das Beerdigungswesen. Ein einziger übersehener Fall konnte zur Katastrophe werden, deshalb entstanden rigide Notstandsgesetze:

Das geballte Wissen

Wer die Kontaktsperre nicht einhielt wurde im 14. Jahrhundert zum Tode verurteilt. Schon auf bloßem Verdacht und auf anonymer Anzeige hin wurden Menschen isoliert. Menschen starben alleine, ohne Trost und ohne Familie. Angehörige wurden - bei Verdacht - vom Trauergottesdienst ausgeschlossen. Die Handelsmetropole Mailand verhängte 1348 unter Gianaleazo Visconti eine brutale Kontaktsperre (tatsächlich brach hier die Pest nicht aus).

Gesellschaftliche Folgen

Viele Ärzte erlitten das Schicksal ihrer Kranken am eigenen Leib. Die Orden, die sich berufen fühlten,  der Pflege anzunehmen, wurden zum Teil komplett ausgelöscht und mussten später neu gegründet werden. Adel und spätmittelalterliche Aristokratie verschwanden als gesellschaftliche tragende Säule für immer. Was dafür kam, waren die Handwerker und Zünfte. Sie bestimmten die nächste Epoche. Neue Aufstiege für andere bisher Ungehörte wurden möglihc. Ohne die Pest hätte es keine machtvolle Familie Medici gegeben. Die ganze Gesellschaft wurde in eine Transfsormation gepresst.

Sinn und Lehre aus der Geschichte

Wie ist es heute? Die Ursache von Corona ist klar, aber welche Erscheinungen aus der Geschichte sehen Sie auch heute noch am Werk? Was können wir lernen?

Klaus Bergolt schreibt:

"Ob das dem westlichen Menschen seit dem 19. Jahrhundert anerzogene, auf Vernunft- und Forschungsglauben bauende Sicherheitsgefühl einer ... vergleichbaren Katastrophe standhalten wurde, ist zu bezweifeln. Seuchen, welche der "Schulmedizin" ihre Grenzen zeigten, riefen fast regelmäßig auch exotische und alternativ-esoterische Maßnahmen auf den Plan, die keinesfalls erfolgreicher waren, doch die Brüchigkeit "rationalerer" Theorien aufzeigten. Daß Vernunft und Logik zu Zeiten existentieller Bedrohungen in Gefühlen und Emotionen gewichtige Konkurrenten bekommen, ist, wie gerade die Pestgeschichte zeigt, ein urmenschliches Phänomen. Nichts spricht dafür, daß sich dies künftig ändern würde."
 

Quellen:

  • Klaus Bergolt: Die Pest. Geschichte des Schwarzen Todes. 2011

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