4. Oktober 2014

Unser Leben, unsere Träume - Erkenntnisse aus der Therapie

"Ich träume so viel", sagt er. "Tagsüber auch, wenn ich unterwegs bin, wartend am Bahnsteig; oder dann im Zug. Abends, am Fenster. Da ist immer noch das Kind in mir, das sich die Welt erträumt. Eine Welt, in der es spielt und springt, während es die schützende Macht des Vaters anwesend spürt."


"Ich träume von einer Welt, sagt er, "in der meine Mutter mich liebevoll ins Bett bringt und mir eine Geschichte vorliest, so dass ich einschlafen kann. In der die Schatten der Nacht noch etwas Geheimnisvolles, Aufregendes sind, und auf deren dunkler Oberfläche sich nicht die Anspannung und Hektik des kommenden Tages vom Gesicht der Mutter spiegeln.

Eltern werden alt und ihre Haut winkelt sich, kräuselt um Körperstellen, an denen sie vorher straff lag. Ab und an flashen Bilder durch meinen Kopf von Vater und Mutter und einem kleinen Jungen beim Drachensteigen. Ist das mein Kinderlachen, das ich da in der fernen Erinnerung höre?

Ich wünsche mir meine Frau zurück, ihre Beine um meine Hüften geschlungen, unsere Arme umeinander. Sie küsst meine Wange, während ihre glatte Haut wie Seide meine Sinne liebkost. Wieviel liegt in solchen Momenten, in denen wir uns zusammenhalten auf unserer Reise?

All diese Dinge sind nicht mehr. Sie sind nicht mehr hier. Sie sind auch nicht anderswo. Doch irgendwie auch nicht fort.

Mit meiner Großmutter reden - manchmal wünsche ich mir das. Ihr Gesicht verblasst zunehmend. Ihre letzten Jahre waren nicht wirklich eine Beziehung. Ihr Geist war längst nicht mehr hier, während  ihr Körper sich noch hielt. Ein kleiner Körper, grauweiße Haare mit abgearbeitetem Gesicht.

Inzwischen kommen bei mir die weißen Haare. Und Tränensäcke. Es ist wohl das letzte Viertel meines Lebens. Danach kommen die Schatten wieder.

Ich erinnere mich an stundenlanges Spielen mit Freunden im Wald nahe unseres Hauses. Ich erinnere mich an die Wochenendausflüge mit meinen Eltern, als wir stundenlang Lieder im Auto sangen. An meinen Übertritt auf eine höhere Schule. Ich war so verdammt aufgeregt, alleine in den richtigen Bus zu steigen und quer durch die halbe Stadt zu fahren.

Als ich krank war, kümmerte sich meine Mutter um mich. Als ich mir das Knie aufschlug, klebte sie ein Pflaster darauf.
Bald wird auch Mutter gehen. Ich lasse Blumen auf ihrem Grab.

Vielleicht gibt es in Zukunft noch jemand, dessen Augen anfangen zu leuchten, wenn sie mich sieht. Vielleicht spüre ich noch einmal das Glück, ihre Haare an meiner Wange zu spüren, und ihr Kitzeln an meiner Nase, bevor ich einschlafe.
Vielleicht.
Vielleicht kann ich am Ende sagen, dass es gut war und es mir nicht nur einreden dabei.

Aber noch möchte ich eine Hand halten und genau das sagen, dass alles gut wird, auch wenn ich es selber nicht mehr glaube. Noch möchte ich deine Anwesenheit genießen, auch wenn es mich dann wieder entzwei reisst, wenn du gehst. Ich möchte dich lieben und mit dir zusammen bleiben. Aber du wirst gehen müssen. So wie ich."



1 Kommentar :

  1. Anonym5.10.14

    Vielleicht darf ich Poesie mit Poesie begegnen? (:)
    Im Asphaltdschungel, inmitten der Baugeräusche, blank geputzten Fassaden von Versicherungen, Universitäten, über die stummen Hinterhöfe hinweg fegt plötzlich ein Ruf. Nein, nicht das blecherne Geheul der Sirene. Es ist der schaurig-schöne Gesang eines Wolfes. Das Tier ist verwundet und auf der Suche nach seiner verschollenen Partnerin in den Park gelangt. Kein Mensch weiß, warum und wie er es überhaupt geschafft hat, nach hierhin zu kommen. Die herbei gerufenen Tierpfleger halten den Wolf für gestört. Ich denke:

    Doch ist es seine Schuld, dass es kaum mehr Lebendiges und Wildes der Art gibt in unseren Städten? In der Wohnung meiner Nachbarin haben sich einer kleinen Zwergpinscherdame die Haare gesträubt, bei dem schönen Gesang.

    Ich gehe in die kleine Kirche St. Franziskus am Stadtrand, vor das Bild der Morenita, das dort hängt. Zu ihr bete ich, sie möge einen schicken wie den Heiligen Franz, der die Sprache der Wölfe versteht. Dass der zu ihm redet und vielleicht seinen Kummer heilen kann. Für den Wolf wünsche ich, dass er rasch wieder hinaus findet und seine Nase ihn in Gegenden Europas führt, wo noch Wölfinnen leben. Um ein neues Rudel für ihn bitte ich. Denn die Morenita, so heißt es, erfüllt alle Bitten, und wenn auch mal nicht so, wie man es erwartet, so doch auf eine tröstliche Weise anders.

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