19. Oktober 2014

Das schwarze Land - eine Kartographie der Depression

Die Tochter hatte die Diagnose Depression. Als sie trotz aller Bemühungen nicht mehr aus dem Bett kam, fauchte ihre Mutter sie an:

"Wenn du jetzt nicht sofort aufstehst, dann schlag ich dich so her, dass du wirklich einen Grund hast, liegen zu bleiben."

Depression ist so weit verbreitet, aber die wenigsten wissen etwas darüber. Und entsprechend falsch verhalten sie sich. Deshalb hier in Kurzform die wichtigsten Elemente zur Info für alle, die nicht (mehr) genau wissen, mit was sie es zu tun bekommen.


Wie es sich zeigt

Genau so, wie es genial in der Comicverfilmung "The Watchmen" beschrieben wird:


Depression heißt einfach nur "das schwarze Land". 

Man vermisst nicht mal die Hoffnung, denn was soll man vermissen, was es nie gegeben hat? Das Gefühl dafür ist weg. Jedes Gefühl dafür ist weg. Stellen Sie sich vor, Sie nicht nicht mehr in der Lage, Freude zu empfinden, selbst bei den Dingen nicht, die sonst immer mit Freude verbunden waren.
Es ist dabei nicht so, dass diese Dinge jetzt keinen Spass mehr machen, sondern dass die Fähigkeit, Spass zu empfinden, nicht mehr existiert.

Ein Klientin berichtet einmal mit Schaudern, dass sie in den schweren Phasen nicht einmal mehr ihre Kinder lieben konnte.
Können Sie das ohne Zweifel nachvollziehen? Wenn ja, dann sind Sie im Verständnis schon weiter als der Durchschnitt!

Um ein Bild zu gebrauchen: 

Würde man das auf einen Restaurantbesitzer und sein Lokal übertragen, hieße
Depression nicht, dass das Essen schlecht wäre, sondern dass im Restaurant es gar kein Essen zu bestellen gäbe. Ein Restaurant ohne Essen - das ist kein Restaurant mehr, sondern eine Pleite. Genau so ist es beim Menschen, wenn in ihm die Fähigkeit zur Freude verschwindet. So wie das Restaurant vom Markt verschwindet, ist auch der Betroffene gefährdet.

Wie das ausgehen kann, lesen Sie weiter unten.

Weitere Hauptsymptome

Tiefe plus andauernde Niedergeschlagenheit kommt dazu. Der eigene Antrieb fährt so steil nach unten, dass zuweilen schon ein Aus-dem-Bett-kommen ein ungeheurer Kraftakt ist.
Gleichzeitig zeigt sich eine innere Unruhe, ein innerer Drang, jetzt loszulegen und das zu tun, was gemacht werden muss, denn es ist dringend.

Was aber sofort konterkariert wird mit der erwähnten Antriebshemmung. Es ist, wie wenn jemand beim Autofahren aufs Gaspedal steigt und gleichzeitig mit aller Kraft auf die Bremse tritt.

Schäden und radikaler Verschleiß sind die Folge.
 
Dinge, die vorher wichtig und interessant waren, lösen keinen Reiz mehr aus. Das Desintersesse weitet sich aus, die Welt wird grau und dumpf. Der Teufelkreis schließt sich.

Dazu kommen Nebenerscheinungen

  • Angstzustände, 
  • Konzentrationsschwäche, 
  • Gedächtnisstörungen, 
  • Appetitlosigkeit und Gewichtsveränderungen,
  • Schlafstörungen, morgendliches Früherwachen. 
Schuldgefühle sind ebenso ein häufiger Begleiter. Genau so wie sexuelle Unlust. Beim Mann können Erektionsstörungen auftreten.

Diese Nebenerscheinungen sind oft das, was die Umgebung zuweilen mehr nervt als die Hauptsymptome. In ihren Augen "funktionieren" die Betroffenen nicht mehr richtig und wenn es richtig dumm läuft, dann erkennen die Umstehenden nicht, dass es sich beim Betroffenen nicht um eine Boykotteinstellung oder gar Faulheit handelt.

Nüchtern mit dem Auge des Diagnostikers betrachtet ist das alles schwer für den Betroffenen, von der Klassifizierung her aber noch nicht das Ende der Fahnenstange. In besonders schweren Fällen stellen sich nämlich auch Wahnvorstellungen oder andere psychotische Phänomäne ein.

Wie es ausgeht

Das Risiko in Deutschland, an einer Depression zu erkranken, liegt zwischen 16 und 20 Prozent. Weltweit leidet jeder Siebte unter Depression, insgesamt mehr Frauen als Männer. In Deutschland sind es 8,3 Prozent der Bevölkerung, also eine Stadt, etwas größer als Berlin. Dazu kommen noch 4,4 Prozent, die an Dysthemien leiden, eine weniger stark, dafür aber chronische Form der Depression mit einer Minnimaldauer von zwei Jahren. Vier Prozent aller Krankschreibungen 2008 in Deutschland waren einer Depression geschuldet.

Jedes Jahr nehmen sich rund 10 000 Menschen das Leben, jeder zehnte Suizid ist eine Folge der Depression. Es sterben mehr Männer als Frauen.

Was man tun kann

Depression in ihrer vielfältigen Form ist gut erforscht und sie ist behandelbar. In dem Sinne, dass Symptom und Rückfallwahrscheinlichkeit sich reduzieren.

Ein Weg sind Medikamente. 

Sie sind wissenschaftlich gut überprüft, wirken relativ schnell (nach zwei bis vier Wochen), sind in sich sehr differenziert und sie einzunehmen braucht nicht sonderlich viel Zeit.
Ihre Nachteile:
  1. Wie bei allen Medikamenten können Nebenwirkungen auftreten.
  2. Braucht es für die Heilung auch eine Veränderung des bisherigen Lebensstils, sind Medikamente wirkungslos.

Die zweite Schiene ist Psychotherapie, also die Heilung von psychischen Problemen mit psychischen Mitteln.

Vorteil: Keine Chemie. Zum anderen ist Psychotherapie wissenschaftlich gut belegt, kann individuell angepasst werden und bringt emotionale Entlastung in vielen Punkten und ist dabei nachhaltiger als Medikamente.
Nachteil: Es braucht Zeit und Geduld. Natürlich gibt es Verfahren, die wirken schneller als andere, aber über Nacht passiert gar nichts.

Die gute Nachricht am Schluss

Depression hat eine sehr vielfältige Erscheinung. Das schwarze Land ist groß. Es ist gut kartographiert und meist gibt es einen Weg dort hinaus. Viele finden ihn selbst. Für andere ist es ein mehr oder minder langer Kampf. Und es ist anstrengend. Jeden Tag neu.

Aber: Es entscheidet nicht, wieviel Kraft man hat. Oft ist entscheidender wie hartnäckig man ist.

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