23. August 2011

Perfektionismus ist der Vorwurf der Loser

Perfektionistisch zu sein ist die Diagnose, die für viele den Ursprung von burnout beschreibt. Die Literatur ist voll davon. Ich glaube nicht, dass es so einfach ist. Und ich rede hier als Betroffener.
In meinem Leben wurde mir öfters vorgeworfen, zu perfektionistisch zu sein. Und der Sprecher meinte es nie wohlwollend. Einer davon war mein Lehrer auf dem Gymnasium und einer der Leiter einer Schülerband, in der ich mitspielte.
Foto-Challenge: LeidenschaftImage by juliaL49 via Flickr
Leidenschaft

Musik war (und ist) eine meiner Leidenschaften. Damals übte ich sehr intensiv. Ich kam nach Hause, schmiss den Schulranzen in die Ecke und griff mir mein Instrument. Als ich es dan wieder aus der Hand legt, waren gut und gern
vier bis fünf Stunden vorbei. Aber für mich war das nie Arbeit oder Leistung. Es war einfach Spaß.
Der Nebeneffekt war, dass ich in meiner Altersklasse ziemlich gut war - sagten andere, nicht ich.
Und jetzt kommt dieser Beamte von Lehrer und meint, dass ich zu perfektionistisch sei. Dabei hatte ich nur mein Meinung gesagt: Dass man es einfach nicht hinnehmen kann, wenn jemand sich ständig verspielt und nichts dazu lernt. Jemand, der nicht übt und seine Fehler nicht ausmerzt, der schadet letztendlich der ganzen Gruppe. Das geht auf Dauer nicht. Ich erwarte ja auch von mir, dass ich mein Stück beherrsche, wenn ich damit auftreten wolle.

Teufel noch mal, dieser Lehrer wollte mit uns als Band eine Platte herausbringen. Glaubte der wirklich, das gehe gut, wenn jemand das Stück nicht wenigstens technisch beherrscht? Ok, man könnte sagen, es war nicht besonders höflich, die mangelhafte Leistung eines Mitspielers so direkt anzusprechen. Aber hey, als Musiker trittst du nicht an um fehlerhaft vor Publikum zu spielen.
Tja, die Antwort des Lehrers habe ich schon vorweggenommen: Das wären zu hohe Ansprüche von mir, ich sei viel zu anspruchsvoll, eben perfektionistisch … .

Als ich anfing zu studieren, verdiente ich mir mit Musik etwas Geld. Und Herr Lehrer, eines hab ich begriffen: Wenn du mittelmäßige Musik machst, kommen die Leute einfach nicht. Und dann weißt du nicht, wie du deine Miete zahlen sollst!

Unter "Das Beste oder nichts" schreibt die Bloggerin Michelle:
In einer Welt, in der der Materialismus ein bedeutender Aspekt des Lebens ist, kann man es sich einfach nicht leisten, nicht der Beste zu sein. Sicher, es gibt immer Menschen, die sagen: "Du hast dein Bestes gegeben", aber wenn dein Bestes dich nicht zum Besten macht, ist das nichts wert, nicht wahr? Du wirst kein Stipendium bekommen, wenn du nur Zweitbester bist; du wirst nicht für den begehrtesten Job der Region ausgewählt werden, wenn du nur Zweitbester bist; du wirst nicht President, wenn du nur Zweitbester bist. Praktisch hast du gar nichts davon, Zweitbester zu sein, was dich in den Augen der Welt als ein Nichts darstellt ."

Brutal oder? Schon, aber verdammt noch mal, das ist doch auch unsere konkrete Erfahrung. Dass es genau so zugeht.

Früher hatte ich zum Beispiel viel mit Medien zu tun. Das macht einem zur Zielscheibe von Leuten, die meinen, man könne etwas für sie deichseln - was nicht immer möglich ist. Ich erinnere mich heute noch an einen Brief mit einer Pressemeldung. Der Absender äußerte die Bitte, diese Meldung doch bei dem ein oder anderen Medium zu plazieren. Ich warf einen Blick auf das Schriftstück. Es bestand aus 20 Sätzen (ich hab´s gezählt) und 14 Rechtschreibfehlern (auch die hab ich gezählt). Es dürfte wohl klar sein, was dem Blatt Papier widerfahren ist.

Ist das jetzt Perfektionismus? Oder ist es Conditio sine qua non?

Robert McKees ist Drehbuchschreiber und trainiert Menschen in dieser Fertigkeit. Sein Buch "Story: Substance, Structure, Style and the Principles of Screenwriting" gilt als Bibel des Drehbuchschreibens. Unter seinen Schülern sind 36 Academy Award Gewinner, 164 Emmy Award Gewinner, 19 Writers Guild of America Award Gewinner and 16 Directors Guild of America Award Gewinner. Der Typ scheint als Lehrer also was drauf zu haben.

McKee hat zum Thema Erfolg und Qualität etwas zu sagen:
"Sie werden einen Agenten bekommen, Ihr Werk verkaufen und es getreu auf der Leinwand realisiert sehen, wenn Sie die Qualität Ihres Schreibens nicht mehr steigern können - und nicht früher. Wenn Sie eine billige Imitation des Hits vom letzten Sommer zusammenschustern, werden Sie sich den Reihen minderer Talente anschließen, die jedes Jahr Hollywood mit Tausenden von klischeebeladenen Storys überschwemmen. Statt sich den Kopf über die Erfolgschancen zu zermartern, verwenden Sie besser Ihre Energie darauf, etwas Exzellentes zu schaffen. Wenn Sie Agenten ein brillantes, originelles Drehbuch zeigen, dann werden die um das Recht kämpfen, Sie zu vertreten."
Autorretrato de Van GoghImage via Wikipedia
vanGogh

Eine exzellente Leistung abliefern ist ein hoher Anspruch. Gar keine Frage.
vanGogh zum Beispiel hatte ihn. Er hat sein Leben der Malerei verschrieben und hat einen hohen Preis dafür bezahlt. Geld hat er übrigens kaum damit verdient. Doch sein Perfektionismus hat der Welt unmessbar viel Schönheit geschenkt.

Benny Goodman 1203720004Image by Heinrich Klaffs via Flickr
Benny Goodman Orchestra
Auf die Frage an das Benny Goodman Orchestra, was denn ihrer Meinung nach der Grund für ihren großartigen Auftritt sei, erzählt man als Antwort folgende Annekdote: "Wir übten tage- und nächtelang. Und als das Stück perfekt saß, stand eines der Bandmitglieder auf und sagte: Und weil´s so schön war, Freunde, gleich noch mal!" Perfektionismus pur! Und um wieviel ärmer wäre diese Welt ohne die Musik von Benny Goodman?


Max PlanckImage via Wikipedia
Max Planck
Doch es sind nicht nur Künstler, die hier auftauchen. Nur um einen unter den vielen zu nennen: Ohne den hohen Anspruch von Max Planck an sich selbst - wo wären wir denn heute ?

Exzellenz liegt in uns. Wir bewundern herausragende Leistungen. Wir träumen davon, dass auch wir einmal über uns hinauswachsen. Wir wollen gern unser Bestes geben.

Ich bin überzeugt: Jede Beurteilung sagt viel über den aus, der urteilt, oft weniger über das, was beurteilt werden soll.

Ein deutschen Studienrat, ein Beamtenstatus, ein Haus, ein gesichertes Einkommen, einer brav im Sozialen tätigen Frau, mit der man zusammen mit den zwei Kinderneinmal im Jahr gemeinsam Urlaub macht, wo das einkommen, Leben und Entwicklung überschaubar vorgezeichneten Bahnen folgt, für so jemandem mag der Anspruch, exzellente Arbeit zu leisten, übertrieben klingen.
Beim Musizieren keine falschen Töne zu produzieren, ... kann doch mal passieren. ist doch kein Beinbruch.
Wahrscheinlich hätte er das auch zu Michaelangelo gesagt, als der tage- und nächtelang die Sixtinische Kapelle ausmalte. "Hey Michaelangelo, häng dich nicht so rein, lass locker, sei nicht so perfektionistisch!"

Der Wissenschaftsjournalist Rangar Yogeshwar hat den Skispringer Sven Hannawlad in einem Interview einmal folgende Frage gestellt: Wenn er (Sven Hannawald) es sich aussuchen könnte: entweder alles noch einmal so zu machen, seinen Sport, sein Training, seinen Erfolg und deshalb am Ende wieder einen burnout zu bekommen, oder nur mit Mittelmaß Sport zu betreiben und entsprechend Erfolg zu haben, dafür aber kein burnout mehr zu bekommen - wie würde er sich entscheiden? Sven Hannawald, dessen burnout ihm immerhin  die Karriere als Skispringer gekostet hatte, antwortete ohne zu zögern: "Ich würde es noch einmal genau so machen."

Genau das ist es: Menschen wollen über sich hinauswachsen, sie brauchen ein Ziel, das größer ist als sie selbst und auch größer als ihre Umgebung.
Menschen, die anderen vorwerfen, sie seinen perfektionistisch, haben nie etwas Großes geschaffen.   Leidenschaft kennen sie höchsten auf dem Niveau, von dem Rosamunde Pilcher Romane erzählen. Aber dort, wo echte leidenschaftliche Menschen ihr Herz haben, haben sie einen Bausparvertrag.

Therapeuten, die mit einer Bausparmentalität an eine burnout-Therapie herangehen, sind sicherlich gute Therapeuten - solange sie Menschen mit Bausparverträgen behandeln.

Sie kommen aus bürgerlichen Verhältnissen und sie fühlen sich wohl darin. Ihr Leben ist wie ein Fluss mit gleichbleibender Fließgeschwindigkeit, überschaubar, gleichförmig, mittelprächtig.
Wie gesagt, für Leute mit Bausparverträgen eine gute Wahl. Alle anderen, glaube ich, sind mit ihnen aber weniger glücklich.
Kommt einfach zu mir, Leute! Hey sorry, das musste jetzt einfach sein.
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