Ich schreibe hier von der Queen. Jeder weiß, wer damit gemeint ist. Längst ist die Dame aus England mit ihrem Titel und Stand verschmolzen. Gestern ist sie mit 96 Jahren gestorben und für Großbritannien geht eine Ära zu Ende. Vorgesorgt für diese Situation hat Großbritannien mit einem mächtigen psychologischen Werkzeug: Rituale.
Seit der Nachricht vom Tod der Queen zeigen die Medien Dokumentationen über ihr Leben. Zum ersten Mal sah auch ich, wie ihre Krönung ablief und so weit weg von mir dies mir erscheint, war ich ennoch beeindruckt von Hermelin, Zepter, Kutsche und Zeremoniell. Doch was daran ist so kraftvoll?
Zeremoniell nennt man die Gesamtheit der festgelegten, vorgeschriebenen Verhaltensweisen und Regeln während eines gesellschaftlichen Festaktes. Es besteht aus den Abläufen von Ritualen - vorgegebene Handlungen -, die einen Symbolcharakter aufweisen. Dass Elisabeth ein Zepter in der Hand hielt, bedeutet mehr, als nur einen Stab zu halten. Ein Zepter steht für Herrschaft. Genauso wie eine Krone weniger Kopfschmuck als vielmehr Ausdruck von Macht, Würde und Regentschaft ist.Rituale als vorgegebene Handlungen dagegen sind keine statischen Zeichen, sondern aktiver Ausdruck einer Dynamik, die auf eine übergeordnete Bedeutung hinweist. Die Königssalbung zum Beispiel ist Audruck, dass Macht übertragen wird. Religiös betrachtet ist es eine Weihe, die die Person in eine bestimmte Position setzt.
Psychologisch betrachtet ...
... sind Rituale vorgegebene Verhaltensweisen für Übergänge im Leben. Das mögen kleine sein, wie das Ausblasen der Kerzen auf der Geburtstagstorte oder eben größere wie das, was jetzt in Großbritannien nach dem Tod der Queen passiert. Damit ist etwas Wichtiges ausgesagt: Rituale beziehen sich immer auf ein Ereignis, das entweder kurz bevorsteht oder bereits passiert ist. Rituale bieten, da Übergänge immer mit einer gewissen Anspannung und Unsicherheit einhergehen, Orientierung und damit Sicherheit. Zudem spenden sie Trost.
Psychologische Experimente
Das jedenfalls belegten Michael Norton und Francesca Gino von der Harvard Business School mit ihren Experimenten. 247 Personen, eingeteilt in zwei Gruppen, sollten über einen wichtigen Verlust schreiben: Gruppe A über den Tod eines geliebten Menschen, Gruppe B über Ende einer engen Liebesbeziehung. Bei beiden sollten die Versuchspersonen auch ein Ritual beschreiben, das sie nach dem Verlust ausgeführt hatten, also zum Beispiel bestimmte Orte nicht mehr aufgesucht hatten, sich irgendwie verabschiedet hatten etc.
Ergebnis: Die Personen, die sich beim Gedanken an den Verlust auch an ein Ritual erinnern konnten, ging es emotional besser. Sie fühlen nicht nur weniger Hilflosigkeit, sondern auch weniger Trauer. Rituale sind also seelische Medizin. Sie machen belastende Geschehnisse erträglicher und stärken unsere Selbstwirksamkeit.
Rituale zwischen Öffentlichkeit und Privat
Je schwieriger die Umstände sind, desto entlastender kann es sein, dass Rituale fest vorgegebene Handlungen darstellen. Betroffene werden so in der eh schon emotional turbulenten Situation entlastet, sich selbst noch etwas "ausdenken" zu müssen, gerade auch, wenn es um Öffentlichkeit geht. Niemand muss sich zum Beispiel groß Gedanken machen, was man auf einer Beerdigung anzieht: Etwas Schwarzes.
Natürlich sind öffentliche Rituale etwas anderes als private. Erstere sind immer ein Stück weit hinsichtlich der persönlichen Nähe der Betroffenen distanziert. Die Gefahr besteht, dass die Leute irgendwann damit nichts mehr anfangen können. Rituale im Privaten sind das genaue Gegenteil. Eingesetzt in der Therapie zum Beispiel sollen sie passgenau sein. Sie werden deshalb mit dem Klienten selbst erarbeitet - mit Hilfe des Therapeuten selbstverständlich. Für die Öffentlichkeit sind solche Rituale meistens ungeeignet. Zu sehr sind sie mit der einzelnen Persönlichkeit verwoben.
Die Trauer um die Queen und ihre Bestattung ist überwiegend ein öffentliches Ritual. Jedoch wird gerade die Öffentlichkeit beobachten, wie sich im Ritual einzelne ihrer Familienmitglieder verhalten und daraus Schlüsse über die Qualität der persönlichen Beziehungen innerhalb der Königsfamilie - man denke an Prinz William und sienen Bruder Harry mit Frau Meghan - zu ziehen. Ihre persönlichen Verhaltensweisen haben eben auch Symbolcharakter.
Quellen
- hier die erwähnten psychologischen Experimente
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