21. September 2022

Der Krieger in uns - an was uns der Krieg in der Ukraine erinnert

 "Sie kennen sich doch mit Menschen aus", sagt die Ukrainische Dolmetscherin zu mir, "wie kommt es, dass Menschen ohne jede Anteilnahme und ohne Regung Menschen foltern, töten  oder anderen befehlen, es zu tun"? Die Frage ist so gut, wie alt. Schon Georg Büchner fragte, "was in uns hurt, lügt und stiehlt". Die Frage ist auch ein Forschungsgebiet der Psychologie. Hier finden Sie einen kleinen Einblick dazu.

Man weiß, dass der Mensch eine Tötungshemmung hat. Weniger politisch korrekt ist, dass er auch eine Tötungsbereitschaft besitzt. Wie ist es um sie bestellt? Dass wir uns auch mit den Tätern beschäftigen, wird uns Psychologen zuweilen vorgeworfen: Für so was ist Geld da, helft doch lieber den Opfern!

Meistens lautet dann die Antwort: Täterbehandlung ist auch Opferschutz. Ich würde das unterschreiben, aber das kleine Teufelchen in mir flüstert: "Sag was Provokantes. Sag: Die Wissenschaft lässt sich doch nicht vorschreiben, was sie untersuchen will!" Das stimmt schließlich auch.

Unabhängig davon, wenn wir verstehen, wie Menschen Grausamkeiten verüben können, können wir sie wahrscheinlich auch besser davon abhalten. Also: Was fördert exzessives gewalttätiges Verhalten? Was bringt Menschen dazu, das zu tun, was gerade in der Ukraine geschieht? Wie verändern sich Menschen in einer Umgebung, in der Grausamkeit den Alltag strukturiert?

Zwei Arten von Aggression

Jeder von uns kennt von Kleinauf das, was man als "erleichternde Aggression" bezeichnet: Wenn uns zum Beispiel als kleiner Knirps einer aus der höheren Klasse androht, uns zu verprügeln, wenn wir ihm das Pausenbrot nicht abgeben, dann ist das Stress. Unser Organismus ist in akuter Alarmbereitschaft. Unsere Sinne werden geschärft, die Durchblutung der Muskeln steigt, Botenstoffe, die die Schmerzwahrnehmung unterdrücken, werden freigesetzt - alles "programmiert" den Körper auf Flucht oder Kampf. Beides dient dazu, die Bedrohung abzuwenden, um anschließend die hochgedrehte Anspannung wieder zurückzufahren. Aggression hat ihren Zweck, Schaden zu bekämpfen. Als Notwehr ist sie gesellschaftlich erlaubt, aber auch umstritten.

Und dann gibt es noch ihre "böse" Schwester: die appetitive Aggression. Ihr Ursprung liegt nicht im  Bedrohungsszenario, sondern sie entsteht durch Lust. Ihre Anwender findet sie unter Tierquälern genauso wie unter Mobbern bis hin zu Serienmördern, Serienvergewaltigern und Folterknechten. Wenn ein Mensch wahrnimmt, dass die Gewalt ihm ein Überlegenheitsgefühl beschert, prägt sich etwas ein: Ich bin Herr / Herrin der Lage und das fühlt sich gut an!

Und hier kommt die soziale Umgebung ins Spiel: Je mehr wir in einer Umwelt leben, die uns sehr wenig glückliche Momente beschert und je mehr dort eine solche Aggression ausgeübt wird, desto lieber wollen wir solche erregenden Momenten auch in Zukunft erleben. Entsprechend wird unsere appetitive Aggression gefördert. Das Beunruhigende daran: Dagegen ist niemand gefeit. Wir alle, auch Sie und ich, ticken so.

Töten können ist ein evolutionärer Vorteil

Als unsere Urahnen anfingen, Tiere zu jagen, brauchte ihnen die Fleischbeute evolutionäre Vorteile. Nicht nur war die neue Nahrung eine Energiequelle für ein größeres Gehirn. Wer erfolgreich war, konnte sich und andere ernähren, fand eher einen Sexualpartner und entsprechend größer war die Chance auf Nachkommen. Andere töten zu können, war also ein evolutionärer Vorteil.

Auch sozial hat das Töten Vorteile. Wer jagen und töten will, sei es ein Tier oder ein Mitglied einer konkurrierenden Gruppe, muss denken können, Hindernisse im Voraus einschätzen, Lösungen planen und Widerstände überwinden können. Er / Sie muss die Angst überwinden und mit dem Risiko leben, selber schwer verletzt oder getötet zu werden. Der Mensch, der das Töten als Lust empfindet, ist besser in der Lage, sich darauf einzulassen.

Aggression zu kanalisieren war deshalb notwendig

Heute haben wir Aggression sehr selektiv organisiert. Erstens teilen wir uns noch immer in Gruppen auf und wissen genau, wer zur gegnerischen gehört. Egal, ob es sich dabei um Terroristen oder um die gegnerische Mannschaft im Fußballstadium handelt. Der Feind ist klar. Das ist schon einmal eine Einschränkung. 

Zweitens regulieren wir das Ausmass der Aggression durch Regeln und Fairplay. Sport und Wettkampf wären das klassische Beispiel dafür. Gerichtssäle ein anderes.

Sonderform "Krieg"

Nur im Krieg gibt es das alles nicht. Kriegsrecht schön und gut, aber an der Front sprechen die Gewehre. Zusammen mit den Fairplay brechen auch die Hemmungen weg und die Tötungsbereitschaft bekommt mehr Freiheit. Und mit ihr steigen die Momente, in denen wir Macht und Souveränität in uns erleben. Mit anderen Worten: Diejenigen, die andere töten, sind meistens weder psychisch krank noch sonst irgendwie gestört. Dass appetitlive Gewalt als angenehm empfunden wird, gehört zu unserer conditio humana. Es erleichtert das Überleben in einer gewalttätigen Umgebung enorm.

Aber auch ist zu sagen: Nur Kindersoldaten, die früh rekrutiert wurde, empfinden ihr erstes Töten als "thrill", für alle anderen ist es belastend. Sie brauchen mehr Tötungsdelikte, um die Hemmungen abzubauen, so dass das Lustgefühl einsetzen kann. Das kann und muss man trainieren.

Mit fortschreitender Zeit verändert sich damit die gesamte Einstellung. Bisherige Werte werden umgedeutet, so dass sie das Tötungsverhalten stützen. Das Überlegenheitsgefühl, das beim Sieg über den Feind, sich einstellt, überschreibt die bisherigen gelernten Normen. Krieg und Training für den Krieg verändert jeden. Dass das kein Problem von Männern, sondern auch von Frauen ist, hat uns Guantanamo gezeigt.

Der persönliche Preis

Das alles hat seinen Preis. Kontinuierlicher traumatischer Stress und das Aufgeputschtsein an der eigenen Souveränität sorgt für schwerwiegende psychische Probleme. Da in der bürgerlichen Gesellschaft für diese psychischen Mechanismen weder genug Kenntnisse und entsprechend auch wenig Empathie verbreitet sind, dominieren abwertende Urteile aus der sozialen Umgebung. Daraus entsteht soziale Isolation für die Betroffenen, was die negativen Folgen noch verstärkt.

2004 kam die Studie des Psychiaters Charles Hoge und seiner Forschergruppe, die die Gesundheit amerikanischer Soldaten am Walter Reed Army Institute of Research untersuchte, zum Ergebnis, dass Soldaten nach dem Einsatz in Afghanistan oder Irak seltener professionelle Hilfe bei psychischen Problemen aufsuchten als bei körperlichen Leiden. Neil Greenberg und seine Mitarbeiter vom King’s College London, die nahezu 1600 britische Soldaten befragten, kamen zu einen ähnlichen Ergebnis 2010. Die Soldaten gaben an, bei medizinischen Untersuchungen nicht wahrheitsgemäß geantwortet zu haben, denn sie befürchteten Ausgrenzung und berufliche Nachteile.

Die bürgerliche moralische Gesellschaft hat keine Antwort

Die bürgerliche Gesellschaft verweigert sich bislang der Erkenntnis, dass unsere Psyche Gewalt in einer gewalttätigen Umgebung als attraktiv erlebt. Moral übertrumpft hier die Anerkennung eines natürlichen Prozesses.

Um den Teufelskreis der Gewalt zu beenden muss deshalb eine bürgerliche Gesellschaft lernen:

 Gewaltbereite Kriegsteilnehmer sind keine Monster, sondern Menschen wie du und ich. Der einzige Unterschied ist, dass sie Krieg erlebt haben. Sie wurden durch die Umstände so. Umstände, die in der Regel andere verursacht haben, die sehr bürgerlich hinter Schreibtischen sitzen.


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