10. März 2023

Amoklauf in Hamburg: Was macht jemand zum Amokläufer?

Jetzt ist es in Hamburg passiert. Früher war es Erfurt, Emstetten, Winnenden oder München: Es gab Tote. Ursache: Amoklauf. Scheint es früher eher ein amerikanisches Phänomen gewesen zu sein, so haben die Taten auch in Deutschland seit den 90ern signifikant zugenommen. Deutschland liegt nach USA inzwischen auf Platz 2. Zeit, zu fragen, was wir aus der Psychologie darüber wissen. Wie wird jemand zum Amokläufer?



Für die Wissenschaft gibt es ein Problem: Diejenigen, die die Frage am besten beantworten können, sind oft tot. Sie setzten ihren Amoklauf mit Suizid ein Ende. Damit haben Forscher eine zentrale Informationsquelle verloren. Aber damit haben sie gelernt, umzugehen.

Denn erstens sind sind alle Täter am Ende tot und zweitens führt man sogenannte 360 Grad-Interviews durch, sammelt Informationen aus allen Winkeln und Ecken aus dem Umfeld des Täters, von Familie, Freunde, Kollegen, Nachbarn etc., durchforstet Akten, arbeitet sich in die Biografie ein ... . so ergeben sich aus vielen einzelnen "Fäden" doch Charakteristika.

Die Tat selbst

Wer viele Menschen töten will, muss vor allem eines sein: fokussiert, ruhig und emotional kalt. Denn die tödliche Gewalt muss laufend legitimiert werden. Skrupel oder Mitgefühl muss zurückgedrängt werden und zwar angesichts der sich abspielenden Szenen. Es ist keine einmalige Sache, sondern dieser Tunnelblick, der vor Mitleid und Bedenken schützt, ist ein ständiger Prozess. Die Abwesenheit von Mitgefühl, was so viele so unverständlich erscheint, ist also ein konstantes Element bei der Tat.

Die Aggression

Man unterscheidet generell zwischen

  • heißer und
  • kalter Aggression.

Erstere ist impulsiv, wütend und sprunghaft. Die kalte Aggression dagegen ist ein Jagdmodus. Alle Säugetiere, also natürlich auch wir, verfügen über diese Fähigkeitaus der Evolution. Ein Beutejäger, der ruhig und fokussiert auf sein Ziel ist, hat die größte Chance, Beute zu schlagen. Und damit ist das Raubtier besser für sein Überleben gerüstet.

Der Bewusstseinszustand eines Amokläufers ist also evolutionär uns zugewachsen. Ein Amoklauf ist dementsprechend keine spontane Tat, sondern wohlgeplant und vorbereitet.

Erinnern wir uns an Anders Behring Breivik, der 2011 in Oslo und Utøya sehr strukturiert vorgegangen ist und auf dessen Konto an einem Tag 77 Menschenleben gingen. Auch die Columbine-Täter in den USA bereiteten ihren Amoklauf ein ganzes Jahr lang vor.

Dabei geht es nicht nur darum, die Tat zu planen, es werden auch Manifeste geschrieben, Videos hochgeladen, sogar auch während der Tat. Ebenso wird die Tat oft selbst irgendwo angekündigt. Sozusagen PR gemacht. All das gehört zur Vorbereitung.

Die Täter

Sie sind meistens männliche Jugendliche, wobei die Fachleute seit Jahren auch bei Mädchen eine steigende Gewaltbereitschaft feststellen. Sie alle haben eines gemeinsam: 

Sie sehen sich als Verlierer. Sie leiden an ausbleibender Anerkennung, viele haben Kontaktschwierigkeiten, häufig scheitern Intimpartnerschaften. Auffallend ist ein Mangel an Strategien, Kränkungen zu verarbeiten. Ihre Resilienzkompetenz ist gering. Sie sind also nicht im psychologisch pathologischen Sinne krank oder gestört (natürlich gibt es so etwas auch), sie sind aber psychisch labil.

Falls der Amoklauf an der Schule stattfindet, dann folgt der Täter meist einem Skript. Dessen Titel lautet: "Sehr her, was ich kann. Jetzt müsst ihr mich beachten!" Ein Schulamoklauf hat etwas von einer Inszenierung.

Dabei wird häufig schon einem anderen Täter nachgeeifert: In Kleidung, im Verhalten, in der Wahl der Ankündigungen und in der Ausführung der Tat. In München geschah der Amoklauf zum Beispiel auf den Tag genau nach fünf Jahren nach Breiviks Massaker.

Es geht also meist bei Schulamokläufen nicht um eine bestimmte Person, die getötet werden soll. Jetzt holt man sich die Aufmerksamkeit, die einem bisher verwehrt wurde. Jetzt soll die Masse sehen und bezahlen! Es geht darum, möglichst viele zu töten.
Es ist nicht schwer, bei den Täter damit eine gehörige Portion Narzissmus zu vermuten.

Die Erwachsenen

Es gibt bei erwachsenen Amokläufern einen wesentlichen Unterschied zu den jugendlichen Tätern. Die Erwachsenen fallen vorher oft durch offene Aggression auf: Am Arbeitsplatz, im Gerichtssaal, im Alltag. Oft spielen Alkohol und anderer Substanzmissbrauch eine Rolle. Ebenso weisen die Täter eher psychische Störungen, z.B. Wahnvorstellungen, auf. Dafür fällt der Nachahmungseffekt und die Heroisierung der Tat wie bei den Jugendlichen weg. Während für diese der eigene Tod öfters in ihrer Inszenierung als großes Finale auftaucht, ist das bei Erwachsenen nicht so sehr der Fall.

Die Medien

Bei mehr als der Hälfte aller Amoktaten ist eine Beziehung zu den Medien vorhanden. Nicht verwunderlich, denn dem Täter geht es ja um das Rampenlicht. Nicht nur, dass der Täter die (sozialen) Medien nutzt, um seine Tat zu verbreiten, im Internet existieren ganze Foren, in deene diskutiert wird, was ein vorheriger Täter falsch gemacht hat und wie man es besser machen kann.

Die Prävention

Das ist das einzige, was greift, denn wenn es zur Tat kommt, steht nur mehr Gewalt gegen Gewalt. Doch wie macht man das, gerade an Schulen, die oftmals mit Amokdrohungen sich konfrontiert sehen?

Das Problem ist ziemlich heikel, denn gerade jugendliche Täter fallen in der Regel nicht durch vorherige offene Aggression auf. Aber sie verändern sich. Ankündigungen verbaler, zeichnerischer Art etc. können auftreten. Themen wie Waffen, wie man sich die beschaffen kann, tauchen auf, als Kleidung wird womöglich militärisches Outfit bevorzugt, was vorher so gar nicht der Fall war. Auch so Äußerungen wie "die werden schon sehen, was sie davon haben" können Signale sein. Kommt dann noch eine erhöhe Kränkbarkeit hinzu oder das Gefühl, Opfer zu sein, nichts wert zu sein, keine Zukunft zu bekommen, dann ist diese Mischung brisant.

Das weitere Problem dabei: In der Summe sind das alles keine direkten Merkmale, die für ein Täterprofil reichen. Also selbst wenn jemand all dies aufweist, muss das nichts bedeuten. Daraus ergeben sich letztendlich zwei Konsequenzen:

  1. Es braucht Fachleute mit Erfahrung mit Amokläufern, die die Signale einschätzen können
  2. Amokläufer haben in der Regel in vollem Bewusstsein sich dafür entschieden, Amokläufer zu sein. Sie hätten auch anders handeln können. Sie sind keine Getriebenen. Sie sind selber verantwortlich.

Mein Beileid und meine Kondolenz gehen an all die Hinterbliebenen und Überlebenden des Amoklaufes in Hamburg

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