9. Januar 2021

Aufruhr in USA: Die charismatische Führung des Donald Trump, sein Erfolg, sein Verlust

Noplur, CC BY-SA 2.0
via Wikimedia Commons
"Es sind verstörende Bilder, ich bin echt traumatisiert", sagte mir meine amerikanische Bekannte, als ich sie am Donnerstag auf die Ereignisse am Kapitol in Washington ansprach. Auch in Deutschland gab es ja einen Sturm auf das Regierungsgebäude. Diejenigen, die fahneschwenkend die Stufen hinaufstürmten, waren ein ähnliches Konglomerat an Verschwörungsanhängern, Esoterikern, politisch Rechten, Unzufriedenen, politisch Protestierenden und Pöblern. Doch in USA geht die treibende Kraft ganz eindeutig von einem Machtzentrum aus: Donald Trump.

Doch wie konnte es soweit kommen? Wieso folgen so viele seinen Aufruf, zum Capitol zu marschieren, so prompt und so gehorsam? Die Antwort liegt in dem, was Soziologie und Psychologie herausgearbeitet haben: charismatische Führung.

Was das ist, wie es funktioniert, warum Trump Erfolg und weswegen er verloren hat, erfahren Sie hier.


Menschen mit Charisma begeistern und bewegen. Mit Charisma kann man führen: Communities, Gesellschaften, Unternehmen oder Staaten.  Robbie Williams wird man Charisma zugestehen, Martin Luther King sowieso, Mutter Theresa wohl auch. Barack Obama hat es, Angela Merkel eher nicht. Also was ist es, das die einen haben und was anderen fehlt? Ich folge in den Ausführungen zu einem guten Teil der Arbeit von Max Weber.

Charisma definiert sich durch Wirkung

Charisma nennen wir das, was aus dem Alltag heraussticht und was wir Normalos nicht besitzen. Chrisma inspiriert, indem es und auf etwas hinzieht, das grösser ist als unser ständiger Alltagstrott. Charisma bietet das, für das es sich so sehr lohnt, einzutreten, dass unser Engagement dafür uns selbst Würde verleiht.

Dem zu folgen, der dies verkörpert, bedeutet deshalb nicht einfach, sich für etwas einzusetzen. Nein, es bedeutet, ein Pilger zu sein, dessen Ziel ein Versprechen ist: ein besseres, würdevolleres, wertvolleres Leben.

Tatsächlich ist Charisma ursprünglich ein religiöser Begriff. Im Neuen Testament der Bibel hat das Wort seinen festen Platz. Dort spricht man von Charismen, sogenannten gottgegebenen Gnadengaben. Es gibt da sogar Listen mit diesen von Gott verliehenen Gnadengaben.

 

Charisma ist ein Beziehungsphänomen

Charisma ist also nichts, was jemand bekommt und das andere an ihm oder ihr erkennen. Charisma ist deshalb keine Eigenschaft, die eine Person hat, sondern ist ein Urteil anderer über jemanden. Charisma ist psychologisch gesehen folgerichtig ausschliesslich kein Ding, sondern eine Beziehungssystem. Niemand hat Charisma, wenn es ihm / ihr eine Gruppe von Menschen nicht zugesteht.

Und es ist ein Urteil, das überwiegend emotional geprägt ist. Niemand setzt sich hin und analysiert rational kühl und objektiv, ob seine Zielperson nun charismatisch ist oder nicht. Statt dessen ist es eine Bauchentscheidung, ein persönlicher emotionaler Eindruck von jemanden.

Charisma schafft Hierarchie und Verbundenheit gleichzeitig

Es gibt auch keinen Charismatiker ohne eine Bühne, denn Charisma ist das, was jemanden im Vergleich zu anderen heraushebt. Charisma konstituirt immer eine Hierarchie von oben und unten, wie Max Weber um 1020 herausgearbeitet hat. Es ist das "Ausserwerktägliche, Niedagewesene", was Ursache ist, dass sich Menschen davon angezogen fühlen. So starkt, dass sie sich hingeben.

So erschafft Charisma emotionale Verbundenheit mit dem Charismatiker und zugleich die soziale Gemeinschaft der Normalos untereinander. Es verbindet die vertikale - die hehre zu schaffende Zukunft für uns - mit der horizontalen Gemeinschaft, gebündelt durch den Charismatiker. Wer sich zum Beispiel Hitlers Sportpalast-Reden zu Gemüte führt, bekommt eine überdeutliche Demonstration dessen:

"In dieser Stunde wird sich das ganze deutsche Volk mit mir verbinden, und wir wollen diesen gemeinsamen Willen jetzt so stärken, wie wir ihn in der Kampfzeit hatten, und da bitt ich dich mein deutsches Volk, tritt jetzt hinter mich – Mann für Mann, Frau um Frau!"

 

Charisma bietet den Ausweg

Charismatische Führung bietet den Menschen in einer Stunde der Not eine Mission. Charisma braucht das Gefühl, dass da etwas "faul ist im Staate Dänemarks" und dass das schlimm ist. Und dann ist da diese eine Heilsfigur, die einem den Weg in eine bessere Zukunft weist, in der die Probleme gelöst sind und der allvertraute bisherige Lebenshorizont wieder hergestellt wird. Die Heilsbotschaft des charismatischen Führers weist von korrpumpierten Ist-Zustand über heroische Anstrengung zum verheissenen Lichtzustand.

Ob das nun das Gefühl ist, als deutsches Volk niedergedrückt zu sein und es deshalb darum geht, als Herrenrasse wieder seinen berechtigten Platz in der Geschichte einzunehmen, ob es darum geht, von fremden Nationen in internationalen Handelsverträgen übervorteilt worden zu sein und es deshalb das Ziel sein soll, "make America great again" ... immer ist es eine psychischer, physischer, ökonomischer, ethischer, religiöser, politischer Not, in der die Stunde des Charismatikers schlägt.


The forgotten men and women of our country will be forgotten no longer. From this moment on, it's going to be #AmericaFirst. 09:54 - 20 Ean 2017.

 
So twitterte Trump und sprach in seiner Antrittsrede 2016 in Washington:


"And I will fight for you with every breath in my body, and I will never, ever let you down."

 

Die "forgotten men" sind in USA ein Topos, den schon Roosevelt benutzte. Trump knüpft an eine lange Tradition an. "The system is rigged" ist eine weitere Überzeugung, die 2016 nicht nur seine Anhänger teilten und "drain the swamp" war logischerweise Trumps Mission statement. Die darüber hinausweisende Verheissung: "Make America great again!"

Der Inhalt, was das Schlimme am Hier und Jetzt ist oder was die verheissene Zukunft sein wird, ist letztendlich zweitrangig. Ein Charismatiker ist immer Träger einer Verheissung. Das macht seine Attraktivität und seinen Erfolg.

 

So gesehen hat sich der religöse Inhalt erhalten. Nur ist Max Weber zu verdanken, die sehr irdischen und gesellschaftlichen Dynamiken aufgezeigt zu haben.

Der Erfolg

Alle haben sich an Trump abgearbeitet, seine Verdrehung von Fakten, seine Lügen, sein Kungeln mit rechten politischen Strömungen und gewaltbereiten Gruppierungen, selbst seine Affäire mit einer Pornodarstellerin - für USA moralisch sehr schwierig, Clinton ist Jahre zuvor beinahe über einen blowjob mit seiner Praktikantin gestolpert - hat Trump ohne grössere Probleme überstanden. Auch das impeachment-Verfahren der Demokraten kam gar nicht erst zustande.

Was niemand verstanden hat, ist, dass sich eine charismatische Führung dadurch auszeichnet, dass ihre Verheissung, der sich die Anhänger freiwillig hingeben, ausserhalb des bisherigen Erfahrungshorizontes der Menschen liegt. Deshalb ist es in deren Augen auch legitim, wenn die Massnahmen auf dem Weg dorthin ebenso ausserhalb des bisherigen Systems liegen.

Was schliesslich eint einen Martin Luther King, einen Mahatma Ghandi oder einen Dalai Lama, ausser, dass sie eine Vision verkörpern, Überzeugungen vertreten und emotionale Beziehungen aufbauen konnten, die in eine Bewegung von Gleichgesinnten mündete? Sie taten Dinge, die nicht vom gesetzlichen Rahmen, in dem sie lebten, so gedeckt waren.

Warum Charismatiker das tun können? Weil die soziale Gemeinschaft sagt, man muss jetzt nicht die Dinge richtig tun, sondern man muss die richtigen Dinge tun.

Diesen Unterschied kann die Vernunft, die Rationalität nicht überbrücken. Gegen eine Verheissung ist ein Regelsystem nicht gewachsen. Das macht Attraktivität und Erfolg des Charismatikers aus. Wenn Trump vor laufender Kamera theatralisch das "star spangled banner" umarmt und küsst, dann ist das genau die Symbolkraft seiner Verheissung par excellence, erlebbar im Hier und Jetzt. Dagegen nutzen Vorwürfe auf Verstösse rechtlicher oder moralischer Art wenig.

 

Der Niedergang

Der Charismatiker steht und fällt mit der Attraktivität seiner Vision. Tritt sie nicht ein, schwindet das Charisma ebenso, wie es ihm zugeschrieben wurde. Die Menschen wenden sich enttäuscht ab und versuchen, nicht verantwortlich dafür gemacht zu werden, dem Falschen gefolgt zu sein. Ihnen geht jetzt darum, den eigenen Selbstwert, dessen Erhöhung durch den Charismatiker geleistet wurde, nicht noch weiter absinken zu lassen, als es die nicht eingetretene Verheissung eh schon getan hat. 

Was aber kann der Träger dieser Verheissung in einer solchen Situation noch tun?

Wenn der beschworene Wandel nicht eintritt, sinkt der Stern des Charismatikers. Er wird seine Leute aufrufen, dass es jetzt "um die Wurst geht" und es entscheidende Anstrengungen bedarf. Trumps Aufruf zum Kapitol zu marschieren und ein entsprechendes Zeichen zu setzen, ist hier eindeutig zu verorten.

Hilft auch das nicht, die Verheissung näher zu bringen, geht es auch mit dem Charismatiker zu Ende. Seine Anhänger beginnen, sich von ihm abzuwenden. Siehe die Dynamiken in der republikanischen Partei.

Was nun noch bleibt, ist, entweder sich zurückzuziehen oder mit denjenigen Anhängern, die noch bleiben, sich einen anderen Ort zu suchen, an dem die Vision weiter aufrecht erhalten werden kann, nur eben in einem anderen Rahmen, weil im bisherigen die Korruption eben zu stark gewesen war. Es ist der Beginn einer Opferlegende. Wie stark und lang diese hält, wird sich zeigen.


 Quellen

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