27. Juli 2018

Rassismus, Özil und #metoo

Özils Rücktritt hat im Internet für postings gesorgt. Selbst #metoo hat eine andere Färbung bekommen #metwo: Deutsche nicht deutscher Abstammung berichten dort über den Alltagsrassismus, den sie erleben. Als Deutscher, der im Ausland einige Zeit verbracht hat, ist mir das Ganze nicht so unbekannt.

Ich empfehle wirklich jedem, sich einmal für mindestens ein Jahr in ein Land zu begeben, das in der Mentalität so gar nichts mit unserem westlichen Denken und Empfinden zu tun hat.



Bei mir war es in verschiedenen Regionen Asiens. Die Empfindungen, die man dabei erlebt, sind äusserst lehrreich für den eigenen Horizont:
  • das Gefühl, sich sehr anzustrengen und doch nie richtig anzukommen
  • die volle Absicht, sich integrieren zu wollen und dann doch immer als Aussenseiter zu gelten
  • oft auf Hilfe und "good will" angewiesen zu sein, weil man die Feinheiten und Tücken von Sprache, Behörden, Rechtsvorschriften und Verständigungsmöglichkeiten letztendlich nicht transparent bekommt
  • schon durch sein Aussehen von Weitem als nicht dazugehörig interpretiert zu werden
  • die Unwilligkeit oder das Nicht-Verstehen der "Einheimischen", dass viele, auch gut gemeinte Dinge, anders (auch oft beleidigend oder als ausgrenzend) empfunden werden und ...
  • ... die unbewusste / bewusste Weigerung, dies als gleichwertig zum eigenen Empfinden anzerkennen

Das alles produziert auf Dauer eines:

das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Vor allem, wenn von den Einheimischen eine Unwilligkeit erkennbar wird, diesem Empfinden wirklich zuzuhören. Statt dessen heisst es lapidar: "Hier machen wir das eben so", und: "Unser Land, unsere Regeln, du hast dich anzupassen."


Niemand, der jetzt diesen Zitaten instinktiv als richtig zugestimmt hat, erwägt auch nur eine Sekunde, dass er damit Teil eines Problems ist. Man muss es ihm erst erklären.

Aber wie macht man das bei jemandem, der nicht den gleichen Denkhorizont teilt und dem damit letztendlich auch die Möglichkeit fehlt, es tatsächlich existenziell nachzuvollziehen?


Ausländer, Langnase, der richtige Name ist nur unverständliches Genuschel für chinesische Ohren. Man behilft sich mit Englisch (wieder eine Fremdsprache). Nicht wenige legen sich auch gleich einen chinesischen Namen zu. Ich habe noch das Problem, dass nicht einmal englische "native speakers" einen Namen richtig aussprechen können. Natürlich ist es in den internationalen Metropolen einfacher. Dort leben eh "zig Nationen auf einem Haufen". Aber wehe, du musst auf die Behörde, willst den Führerschein machen oder dir einen Freundeskreis aufbauen.

Die mangelnde Erfahrung, wie es ist, in einer anderen Mentalität zu leben, produziert in der Debatte unnütze Kommentare

  • Wer von den Deutschen, die sich jetzt über Özil und anderen unterhalten, hat je seinen Vor- und Nachname abgelegt, um besser integriert zu sein?
  • Wie viel ihrer Identität haben die diskutierenden Deutschen je aufgegeben, hintangestellt, versucht zu verändern?
  • Wer kennt die Anstrengung, die dauerhaft gefordert ist, wenn man in einer anderen Mentalität als der eigenen lebt, aus eigener Erfahrung?
  • Wie fühlt es sich an, zwei Herzen in der Brust zu haben, wie Özil es sagte, und wer von den "Bio-Deutschen" kann das tatsächlich nachfühlen anstatt nur intellektuell akzeptieren?

Den meisten Debattierern wird hier die reale Erfahrung fehlen, die als Hintergrund dafür notwendig ist. Auf jeden Fall fehlt sie zum Beispiel Ulli Höneß. er ist ein super Beispiel, wie man auf internationalem Parkett sich bewegen kann und trotzdem wenig versteht. Aber nicht nur ihm geht es so:



Wenn du in Asien beruflich was auf die Wege bringst, bekommst du Respekt. Wenn du einen Unfall baust, bist du wieder der Deutsche. 

Das ist so ähnlich, wie Özil es für sich mit dem Gewinnen oder Verlieren eines Spiels ausgedrückt hat. Ich kann das nachvollziehen. Und er und ich sind mit dieser erfahrung nicht alleine:

"Wenn ich mit der Relativitätstheorie recht behalte, werden die Deutschen sagen, ich sei Deutscher, und die Franzosen, ich sei Weltbürger. Erweist sich meine Theorie als falsch, werden die Franzosen sagen, ich sei Deutscher, und die Deutschen, ich sei Jude". Wer das gesagt hat: Natürlich niemand anders als Albert Einstein.

Das Zusammenleben verschiedener Nationen / Kulturen und Identitäten ist letztendlich nur aus einem Grund schwierig:

Weil die Nation, die sagt, es ist unser Land und wir machen hier die Regeln, mit dieser Position gleichzeitig der Empathie vorschreibt, bei bestimmten Erfahrungen nicht zuzuhören.



Nicht nur Ulli Höneß, jede Nation betreibt psychische Abschottung: wir hier, dort die anderen, die Fremden.


Befragen Sie einmal die Leute, die aus dem Norden Deutschlands ins dörfliche Bayern ziehen. "Zugroaste, Neigschmeckte" nennen sie die Einheimischen. Im Grunde nichts anderes als "Langnasen", nicht Dazugehörige. Begründung: Weil wir es eben so sehen. Punkt.


Integration ist eine nette Debatte mit Gesprächsmustern, die Fortschritt verhindern

Denn nie wird so richtig klar dabei, dass es Migration und darauf folgende Integration immer Kulturveränderung bedeutet. Für jede Seite.

Das einzige, was immer konstant war, war der Wandel. Jede Kultur verändert sich oder sie geht unter. Deutschland hat sich immer wieder abgeschafft.
Das wilhelminische Deutschland hat sich abgeschafft.
Das preussische Militärdeutschland hat sich abgeschafft.
Das Nazi-Deutschland hat sich abgeschafft.
Das deutsche Kaiserreich Karls des Grossen hat sich abgeschafft.
Und es wird sich auch das heutige Deutschland abschaffen.


Und da kommt dann das menschliche Beharrungsvermögen ins Spiel. Wir möchten, obwohl wir mit geschichtlicher Bildung es besser wissen, dass alles so bleibt, wie es ist. Natürlich würden wir einen Moslem als Bundeskanzler akzeptieren - solange er Schweinsbraten ist, dazu drei Liter Bier säuft, jodelt, zur entsprehenden Jahreszeit Helau ruft und sich ständig mit Currywurst und Pommes abbilden lässt.

Psychologisch gesehen ist das eine sichere Autobahn ins Nichts. Totsicherer als am Bestehenden festzuhalten, kann eine Gesellschaft nicht scheitern. Und für alle, die jetzt papageienartig die Gutmenschen-Etikettierung anbringen wollen: Die Autoindustrie macht es seit einigen Monaten vor, in welche Schwierigkeiten man kommen kann, wenn man will, das alles so bleibt, wie es ist.


Vergessen oder verdrängt worden ist, ist die Lehre aus dem Zusammenbruch des sowjetischen Systems:


"Ich glaube, Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren.", sagte Michael Gorbatschow zu Erich Honecker. Später wurde daraus: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben".


Das gilt noch immer. Auch wenn es niemand von den Integrationsdebattierern - egal auf welcher Seite er steht - mehr hören will. Tatsächlich läuft die Debatte aus diesen psychologischen Gründen von Anfang an falsch. Es ist Zeit für alle, die Klappe zu halten und mehr zuzuhören.

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