2. Oktober 2016

Gefühle sind auch Fakten? (heisst es jetzt politisch) Wir vergessen so schnell

@panthermedia.net/ Thomas Ebeling
Angst ist irrational, sagen alle. Das stimmt. Die Schlussfolgerung: Aufklärung tut Not!
Doch wenn man ehrlich ist:
Der Angst ist Aufklärung oft egal. In sogenannten postfaktischen Zeiten funktioniert das nicht. Eigentlich auch sonst nur mit geringen Erfolgt. Denn das Problem mit Angst, Wut, Agression etc. sitzt womöglich tiefer.

In meiner Stadt ist Oktoberfest. Und es ist ziemlich ruhig, gemessen an dem Rummel, der sonst so durch die Strassen zieht, und der viele Ortansässige dazu motiviert, in diesen Zeiten per Urlaub lieber das Weite zu suchen. In diesem Jahr jedoch blieben viele Feierwillige weg. Angst vor Terror, Angst vor Amokläufern, auf jeden Fall aber Angst vor islamischen Terror und Amokläufern.

Rechtfertigung ist ein gutes Stichwort.

Egal, was passiert, ob wieder irgendjemand oder irgend ein Gebilde - Staat, Gesellschaft, Gruppe - über eine andere herfällt und es Tote gibt, eines ist sicher: Es gibt eine Rechtfertigung. Entweder es ist kompliziert oder es ist eben unvermeidbar oder das berühmte letzte Mittel, bis hin zur Aussage, der Angriff ist in Wirklichkeit eine Art vorauseilende Selbstverteidigung.

Inzwischen sind ungute Äusserungen zum Islam insgesamt keine Seltenheit mehr. Bei anderen Religionen, wie beim Christentum zum Beispiel, wird betont, dass es ja durch die Aufklärung gegangen ist. Aber keiner scheint sich zu erinnern, dass es, Aufklärung hin oder her, in Irland noch bis vor nicht langer Zeit es "Mode" war, als getaufter Christ andere getaufte Christen in die Luft zu sprengen. Einfach mit der Rechtfertigung, dass es eben andere getaufte Christen waren.


An so einen Hype über mögliche Terrorakte hat es in Deutschland selbst da nicht gegeben, wo diese wirklich im Land stattgefunden haben. Oder wer erinnert sich bei den ganzen Terrordiskussionen hier noch an die deutschen 70er mit den Taten der deutschen RAF und ihren Anschlägen gegen die deutsche "faschistische Grundstruktur des Staates", mit der sie ihre Taten rechtfertigten.

Natürlich ist es nicht so einfach, wie es hier formuliert ist. Es ist nie so einfach. Aber die Rechtfertigungen sind es:

  • "Saddam Hussein hat Massenvernichtungswaffen."
  • "Die Flüchtlinge wollen nur unsere deutschen blonden Frauen"
  • "Jeder Zehnte wünscht sich einen Führer, der das Land mit starker Hand regiert. Elf Prozent glauben, dass Juden zu viel Einfluss haben."
  • "Zwölf Prozent sind der Ansicht, Deutsche seien anderen Völkern von Natur aus überlegen."
  • Ein Drittel hält Deutschland für gefährlich überfremdet."
  • "Knapp neun Prozent sind der Ansicht, dass es wertvolles und unwertes Leben gebe"
    (die letzten vier Punkte sind Zitate eines Artikels über das Babi Jar Massaker durch die Deutschen, s. Quellenverlinkung)
Anmerkung am Rande:
Rechtfertigung scheint zu funktionieren unabhängig von der Wahrheit. Hauptsache sie kommt im Gehirn des Gegenübers an. Je einfacher etwas ist, um so höher die Wahrscheinlichkeit, dass es dort auch ankommt. (Deshalb wäre es im Sinne der Logik, dass die genannten letzten vier Punkte der Aufzählung mit dem Kommentar "Lügenpresse" bedacht würden. Je einfacher, desto eher geht es in die Gemüter. Eine schlichte psychologische Wahrheit.)

Doch frage ich mich inzwischen öfters, ob es sogar noch einfacher ist, wie all diese vorgebrachten Gründe.

Rechtfertigungen wollen zeigen, dass es einen Grund für die Tat gab, der diese als logisch, plausibel oder zumindest nachvollziehbar erscheinen lässt; dass der Täter womöglich gar nicht anders konnte.


"Sie haben Ihre Frau krankenhausreif geschlagen?" - "Ja, aber sie hat mich provoziert!"



Womöglich sind all die Rechtfertigungen aber nur Verkleidungen oder wie das Einwickelpapier einer Box: Man soll nicht gleich sehen, was drin oder dahinter ist.

Doch was ist, wenn wir die Verkleidung abnehmen, die Box öffnen würden und dahinter nichts wäre? Dass die Box leer ist? Dass vielleicht all die Rechtfertigungen, Gründe, geschilderten Zwangslagen leere Worthülsen sind? Dass in Wirklichkeit die Täter es nur rational rechtfertigen, weil es in Wirklichkeit tatsächlich keinen Grund gibt?



Was ist, wenn ...

Was ist, wenn der wirkliche Grund nicht weiter ist als (un)bewusste, daher unvorstellbare und damit nicht hinterfragbare Aversion ist? Aversion, die auf dem Grund der Persönlichkeit lauert, unerreichbar selbst für die Täter und die dann irgendwann ihr Haupt erhebt?

Vielleicht speisen sich die Rechtfertigungen daraus, dass es die Betroffenen nicht aushalten würden, zuzugeben, dass es einfach darum geht, anderen Schmerzen zuzufügen? Dass es egal ist, wem man schädigt, solange man nur irgend jemand schädigt?

"Because some men aren't looking for anything logical, like money. They can't be bought, bullied, reasoned or negotiated with. Some men just want to watch the world burn" (Denn manche Menschen verlangen nicht irgendwas Logisches, wie Geld. Man kann sie nicht kaufen, angreifen, überzeugen oder mit ihnen verhandeln. Manche Menschen wollen die Welt einfach nur brennen sehen.) ...


... sagt Michael Caine alias Alfred Pennyworthy zu Christopher Nolan alias Bruce Wayne im Film "The dark night".




Der Kern der Problems

Wenn all die Rechtfertigungen für Gewalt gegen jemanden wiederum sich auf Gewalt (die der andere ausgeübt hat oder wahrscheinlich wird) basieren, heisst das doch nur, dass Gewalt zum Grundsatz aller erhoben wird.

Vielleicht sind diese Rechtfertigungen nur ein Reflex, weil wir davor zurückzucken, zuzugeben, dass wir alle diesen dunklen Seelengrund haben, aus dessen Schwärze eine Stimme uns zuflüstert: "Schlag zurück (bevor der / die zuschlägt). Ist nur Verteidigung."


Könnten wir einen Blick in den Abgrund tun, der in uns sich auftun kann? Ist es nicht einfacher, die Ursache woanders zu proklamieren?


Rechtfertigungen dienen, egal wie evidenzbasiert sie daherkommen, immer auch dazu, genau diesen Blick nicht zu tun.



Bezüge

  • eine kleine geschichtliche Darstellung über den Terrorismus in Deutschland der 70er Jahre findet sich hier
  • der Artikel über das Babi Jar Massaker findet man hier

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