13. November 2022

Der Fall Nikolaj G. und die gefährliche Welt der halb- und viertelgebildeten Coaches

Wer in die sozialen Medien guckt, für den sind sie fast unvermeidlich: Die Lifestyle-Berater, Life-Coaches und andere Welterklärer. Sie sind jung, dynamisch und redegewandt und äußerst digitalerfahren. Sie sprechen junge Menschen an und verheißen den großen Erfolg, das bessere Leben und daß jeder es schaffen kann. Denn schließlich haben sie es auch geschafft.
Das ist gefährlich. Menschen kommen zu Schaden. Wie bei Nikolaj G.

 

Das Angebot der selbsternannten Coaches

Ihre biografischen Angaben in den sozialen Medien lesen sich ziemlich ähnlich. Sie selbst litten früher unter schwierigen Bedingungen, waren vielleicht kontaktscheu, aus einer armen Familie, wurden gemobbt, hatten zu viel gezockt, waren dick, hässlich, ohne Selbstbewusstsein ... . Dann aber haben sie entdeckt, dass xyz ... . Und, dann die Botschaft: Schau mich an. Jetzt bin ich erfolgreich, habe Selbstbewusstsein, fahre ein tolles Auto, wohne oder reise zu tollen Orten etc. und DU! KANNST DAS AUCH

Alles, was du brauchst, ist das richtige Mindset und meinen Masterkurs. Ach ja, und hier gibts auch gleich mein kostenloses PDF (im Gegenzug zu deiner Kontaktmöglichkeit, zu der du dann, bevor du es runterladen kannst in einen Verkaufs-Funnel geleitet wirst, wo du ein nur für heute gültiges Spezialangebot für den so teuren Masterkurs zu 50 Prozent Ermäßigung kaufen kannst).

Die Zielgruppe

Ich fragte mich früher, wer dieses ich-versprech-dir-das-Blaue-von-Himmel-Gerede ernst nimmt? Ich fürchte, die Antwort ist gar nicht so schwer: Menschen mit wenig bis kaum Lebenserfahrung in einer Krise, junge Leute, die nicht wissen, wohin sie im Leben wollen und die von Freiheit durch schnelles Geld träumen. Und das ist unschön aus zweierlei Gründen.

Der erste ist, dass hier Leuten etwas versprochen wird, das nicht haltbar ist und das bei näheren Hinsehen eher einer Drückerkolonne als einem seriösen Angebot gleicht.

Der Coach verkauft in erster Linie keine Kompetenzen, sondern sich selbst

Der zweite Grund ist ein weitaus gefährlicher: Wer sich selber als Erfolgsmensch nach außen hin verkauft, braucht neben dem so-tun-als-ob auch die innere Überzeugung von seiner tatsächlichen Größe. Und damit laufen die selbsternannten Coaches in die Gefahr, den Abstand zu Realität weiter zu vergrößern. Das setzt eine Spirale in Gang, denn niemand kann kontinuierlich in einem Widerspruch leben.
Je mehr also die Realität anklopft, desto energischer muss sie verleugnet werden, sonst geht die Grundlage für das eigene Business flöten.

Realitätsverlust als Geschäftsgrundlage

Den Abstand zur Realität kann man auf verschiedene Weisen fördern. Man kann die Realität zum Beispiel so umfassend leugnen, dass die Lüge schon zur eigenen Natur wird und gleichzeitig mit viel Geld eine superdichte Filterblase bauen. Donald Trump wäre wohl so ein Beispiel dafür.
Doch da keine Filterblase absolut dicht ist, muss man mögliche Bruchstellen immer wieder abdichten. Und hier überschreiten dann viele die Grenze der Legalität. Trump womöglich durch "Steuerfrisuren" seiner Immobilien.

Hat man jetzt nicht Trumps Kohle zur Verfügung, ist eine andere Möglichkeit, sich nicht in die Realität einzuarbeiten, irgend etwas "einzuschmeißen". Stichwort "Sucht". Neben all den Beschaffungsschwierigkeiten aber ist ein Bewusstsein von der eigenen Größe in Kombination mit Substanzen ist eine bösartige und unberechenbare Mischung. In Walldürn ist jetzt wohl so ein Fall eingetreten.

Das Beispiel von Nikolaj G.

Nikolaj G., gelernter Bäcker, 37, hatte sich vor einigen Jahren als Coach für Persönlichkeitsentwicklung selbstständig gemacht. Videos auf YouTube, posts auf Instagram und Facebook, Vorträge, seine persönliche story vom leistungsbereiten, aber gemobbten jungen Mann mit Computerspielsucht, Videos von Vorträgen, sowie eine online-community um ihn herum zeugen von den so typischen Weg des Influencers. Auch die Titel seiner Bücher zeugen von den üblichen Versprechungen:

  • "Raus aus der Opferrolle: Werde die Persönlichkeit, die du schon immer sein wolltest!"
  • "Nie wieder scheitern!: Erreiche deine gesetzten Ziele durch psychologische Überlegenheit" 

Angeblich hat er 2016 mit seinem Videokurs "Neustart! Programmiere dich auf Erfolg" 17 000 Euro verdient, seine Tagesgage soll vierstellig sein, für manche Vorträge soll er an die 10 000 Euro bekommen. Wir finden hier wieder die Formel: Geld = reich = erfolgreich = Ansehen.

Nikolaj G. hat angeblich russische Wurzeln und ich habe mir einmal sagen lassen, ein russisches Sprichwort lautet: "Zu einem Hund, der Geld hat, sagen die Leute "Herr Hund"." Klar, mit Geld schauen dich die Leute anders an, selbst wenn du ein Hund bist. Das Problem dabei: Du bist immer noch ein Hund.
Etwas feiner ausgedrückt: Die Businessformel dieser Persönlichkeitscoaches hat mit Persönlichkeitsentwicklung ziemlich wenig zu tun. Es ist oft eine Mogelpackung, zusammengemixt aus angelesenem Schriften anderer sogenannter Persönlichkeitsgurus und bestenfalls medialen Berichten aus der Sekundär- oder Tertiärliteratur. Es geht dabei nicht um Persönlichkeit, es geht bei der Gleichsetzung von Geld, Erfolg und Persönlichkeit bloß um die Durchkommerzialisierung der Person.

Man mag, wenn man die sozialen Kanäle gut bespielen kann, schnell bekannt werden. Aber dann muss man liefern. Und genau daran hängt es dann bei diesen mangelhaft Gebildeten.

Nikolaj G.s, Entwicklung ist nicht untypisch

Kommen wir zurück zum Thema "Wie halte ich meine Überzeugung von meiner eigenen Größe aufrecht, wenn die Realität eine andere ist?"
Nikolaj G. ist laut Aussage wieder in seine Zockerphase zurückgefallen, also zurück in ein Suchtverhalten, das er laut Eigenaussage ja überwunden hatte und gerade deshalb erfolgreich war. Dies war auch der Grund, warum andere ebenfalls ihre Ziele erreichen und erfolgreich sein können. Er war ja das lebende Beispiel, so seine story. Jetzt blieb es nur eine story ohne Gegenwartsbezug. Was wohl auch seinem Geschäft nicht gut getan hat.

Privat nahm seine Ehe eine Entwicklung in eine ménage á troit, weil laut seiner Aussage seine Frau sich mehr um das Kind, als um seine sexuellen Bedürfnisse kümmerte. Schließlich folgte die Trennung. Auch von Drogenkonsum ist bei Nikolaj G. die Rede.

Der Polizeieinsatz

Am 19. Oktober 2022 kam die Polizei ins Haus, alamiert von einer Nachricht, in diesem Haus werde eine Frau festgehalten. Tatsächlich hielt Nikolaj G. mit Hilfe seines Bruders eine 26jährige dort gegen ihren Willen fest, so die Polizei. Es gibt den Vorwurf der Vergewaltigung. Zusätzlich verdichten sich im Moment Hinweise, dass sie nicht das einzige Opfer sein könnte.

Nachbarn berichten, dass sie, seit Nikolaj G. dort Seminare abgehalten hat, Schreie im Haus gehört hätten, darunter auch Frauenschreie. Aber bei Motivationsseminare weiß man ja nie, was für Sachen da dazugehören und welche nicht. Andere sprechen von Guppendynamik, Manipulation und dass Teilnehmern der Kontakt zu ihren Familien verboten wurde. Sektenberatungen war der Name Nikolaj G. kein Unbekannter.

Berichten zufolge hat er sich seiner Verhaftung widersetzt. Er soll über die Straße gerannt sein und dabei geschrieen haben: „Ich bin Gott und ihr seid mir alle hörig.“

Nikolaj G. ist nun in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie, sein Bruder in Untersuchungshaft. 

Mein Fazit:

Nikolaj G, Sohn einer russischen Einwanderungsfamilie, hatte es, als er mit 8 Jahren nach Deutschland kam, sicherlich nicht einfach. In eine andere Kultur sich einzupassend bedeutet auch immer, mit mehr Stress und Rückschlägen zu kämpfen zu haben, als Einheimische.

Daneben sehen wir bei Nikolaj G. den Wunsch nach Anerkennung, nach Größe. Soziale Medien und die dortige Darstellung von Erfolg vermitteln bei nicht wenigen den Eindruck, genau dies auch schnell bekommen zu können, ist doch inzwischen eine ganze Generation mit der Tatsache aufgewachsen, dass vieles nur einen Mausklick entfernt und schnell geliefert ist. So entsteht der Gedanke, dass es zum Erfolg eine Abkürzung gibt, dass man mit wenig Ausbildung und wenig Erfahrung seinen Traum vom materiellen Erfolg verwirklichen kann. Alles was benötigt wird, ist das richtige mindset und der Coach ist derjenige, der das liefert und zu dem man Kontakt halten muss. So bilden die selbsternannten Coaches communities über social media, in der das Gefühl von Nähe und sozialen Bindungen entsteht und in dem sie dsa Zentrum darstellen. Der Schritt zur Anhängerschaft bei den Leuten ist dabei oft genau so klein, wie der Schritt zum gesteigerten Ego des Coaches.

Die Dinge verschärfen sich, wenn gefordert wird, sich von anderen Bindungen und Infos abzuschotten und die community als die eigentliche Lebenswelt anzusehen. Kulte arbeiten so. Sie richten ihre Organisation abgeschottet nach außen und zentralisiert nach innen aus.

Echtes Coaching jedoch fußt auf dem Gegenteil: Auf die Eigenständigkeit des Coachees. Gerade soll dieser nicht in kontinuierlicher Beziehung, schlimmer noch Abhängigkeit zum Coach geraten.

In der Psychologie weiß man zudem, dass eine Persönlichkeit sich nur langsam über die gemachten Erfahrungen entwickelt. Es gibt keine Abkürzung zum Erfolg. Wer auf schnelles Geld aus ist, muss in die Prostitution einsteigen, da besteht vielleicht eine Chance, das auch zu erreichen.
Spätestens beim Drogenkonsum hätte Nikolaj G., wenn er die echten Fähigkeiten zum Coach hätte, wissen müssen, dass er die Hilfe von Fachleuten braucht. Aber es ist ein weiteres Kennzeichen von selbsternannten Coaches, dass sie sich mit ihrer Überzeugung von der eigenen Größe am Ende immer selbst im Weg stehen.

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