Nach sechs Wochen Drama nun ein Urteil. Entgegen den Kommentaren, á la Johnny Depp hätte "größtenteils" Recht bekommen, hat Depp tatsächlich zu 100 Prozent Recht bekommen. Warum des weiteren so viele Kommentare zum Fall Johnny Depp vs. Amber Heard nur heisse Luft produzieren, darum geht es im Folgenden.
Sechs Wochen Drama ist nichts Neues. Scripted reality und Gerichtsshows gab es seit langem auch in Deutschland. Neu ist in diesem Fall nur, dass es sich bei Johnny Depp und Amber Heard um eine echte Veranstaltung handelt. Dass eine solche live Berichterstattung in Deutschland nicht akzeptabel ist, hat seine Gründe: Öffentlichkeit erzeugt immer auch Druck auf ein Urteil und das ist in unseren Augen für ein Gericht nicht gut. Aber diese Argumentation ist in diesem Fall unwichtig, denn tatsächlich handelt es sich hier immer noch um ein rein inneramerikanisches Phänomen, auch wenn es weltweit zu sehen ist. Und USA hat seine eigene Vorgehensweise und hat auf eine solche auch ein Recht. Egal, was wir davon halten.
Recht und Gerechtigkeit
Man könnte auch genau anders herum argumentieren: Das Öffentlichmachen des tatsächlichen Verlaufs des Prozesses ist ein adäquates Abbild der Tatsache, dass ein Gerichtsurteil nie nur ein Gerichtsurteil ist. Ich habe es oft erlebt in vielen Arbeitsgerichten: Beklagte und auch Kläger nehmen das Urteil nie als nur ein iuristisches Urteil. Sie interpretieren es immer auch als ein moralisches Urteil. Es hat etwas für sie mit Gerechtigkeit zu tun, tatsächlich wird aber bei Gericht nur Recht gesprochen. Oder wie ein pensionierter Richter einmal sagte: "Vor Gericht bekommen Sie immer Ihr Recht. Auch wenn Sie den Prozess verlieren". Und so ist es tatsächlich.
Nun haben jedoch Gerichtsurteile Einfluss auf das tatsächliche Leben, mal wenig, mal gravierend. Sie können ganze Leben auch zerstören und so ist es ein normaler Vorgang, dass Amber Heard und Johnny Depp auch um ihre Reputation und um ihr weiteres berufliches Leben kämpfen.
Was das Urteil sagt
Die Jury hatte dabei die Aufgabe, "nur" auf konkrete Fragen zu antworten, die ihr vorgelegt wurden, zum Beispiel:
- Sind die Äusserungen des Waschingtoner Post-Artikels von Amber Heard selbst? Das "Ja" der Jury bestreitet niemand.
- Sagen diese etwas über Johnny Depp aus (auch wenn er namentlich nicht in dem Artikel auftaucht)? Auch das war in der Öffentlichkeit klar und das Gegenteil dürfte nicht zu belegen sein.
- Haben diese andere ausser Depp wahrgenommen? - Logisch, wenn sie in einer grossen Zeitung online veröffentlicht werden.
- Sind die Äusserungen für Depp verleumderisch? Das ist die spannendste und zentralste Frage.
Wie das Urteil lautet, weiß inzwischen jeder und ehrlich gesagt, das Urteil ist mehr wert, als die ganzen Kommentare dazu. Letztendlich sagte die Jury: Wir glauben Amber Heard nicht, weil sie ihre Anschuldigungen nicht zweifelsfrei mit Tatsachen belegen konnte. Entsprechend ist der Artikel, den sie in der Washington Post online edition geschrieben hat, für Depp verleumderisch. Punkt.
Warum die Jury so geantwortet hat, wie sie es tat ... vermutlich wegen der Widersprüche auf Seiten Amber Heards. Gravierend: Wenn Heard behauptet, Johnny Depp hätte Kate Moss die Treppe hinutergestoßen und das sei ein Zeichen, dass er gewalttätig sei, und wenn Kate Moss dann aussagt, das sei nicht passiert, dann hat Amber Heard ein Problem mit ihrer Glaubwürdigkeit. Und genau darum ging es in diesem Prozess. Um Glaubwürdigkeit.
Was die Leute das Urteil verdrehen
Viele Kommentare, zum Beispiel der Spiegel, machten daraus leider eine Mann-Frau-Frage, was am zentralen Punkt komplett vorbei geht. Hier ging es darum, ob jemand lügt oder nicht und das hängt nicht vom biologischen Geschlecht ab. Genau so wie die Frage, was das für #metoo bedeutet oder wie Amber Heard und ihre Anwältig sagten, das Urteil sei ein Rückschritt für alle Frauen.
Beides ist heiße Luft. Denn dass nur der Bruchteil von häuslicher Gewalt auch gerichtsanstellig wird, ist seit Jahren vor dem Prozess längst bekannt und daran hat und wird sich nichts ändern, weil die Gründe dafür dort liegen, wo noch keine Urteile gesprochen werden.
Auch #metoo und das Urteil haben gar nichts miteinander zu tun. Wer sagt, ich bin missbraucht worden, kann die Wahrheit sagen oder lügen. Die rechtliche Entscheidung darüber obliegt nicht #metoo und nur weil es #metoo gibt, kann man nicht sagen, deshalb urteilen wir zu Gunsten einer Seite.
Des weiteren hilft wieder ein Blick in die Realität: #metoo wird selbstverständlich weiter existieren, Leute werden das Urteil kommentieren, anderen werden dagegen kommentieren, wieder andere werden die Kommentare kommentieren, jedes Lager wird sich selber bestätigen ... mit anderen Worten: #metoo wird weiter Traffic generieren und damit auch wachsen. Der tatsächliche Gewinner ist der Algorithmus und darauf kommt es in einem online Medium letztendlich an. Es ist ihm egal, wer Recht hat.
Schlussfolgerung:
Der Prozessverlauf gab einer sehr sehr breiten Öffentlichkeit Einblick in ein Beziehungsgeschehen, das niemand sich wünschen kann. Dass die beiden getrennt sind, ist wahrscheinlich für beide das Beste. Beide sind Personen des öffentlichen Lebens und das ist der Grund, warum es genug Interessenten für die Einblicke in das Privatleben beider Schauspieler gibt. Daraus speist sich die Berichterstattung. Viele Interessierte treten ja selbst als Berichterstatter auf. Beide, Medien und private Content Creators profitieren davon. Entsprechend gibt es hier keine klare Trennung mehr, wer die voyeuristische Dynamik betreibt und wer sie nur konsumiert.
Genau so, wie es vom systemischen Blickwinkel nie eine glasklare Dichotomie von Opfer und Täter gibt. Beides ist ineinander verwickelt. Was wir hier jedoch deutlich sehen, ist, dass die bisherige Unterscheidung zwischen analoger und digitaler Öffentlichkeit passé ist. Es gibt nur eine Öffentlichkeit, und die findet immer sowohl digital als auch analog statt. Und wie in jeder modernen Gesellschaft haben diese Subsysteme ihre eigene Dynamik, nach denen sie handeln.
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