24. November 2019

Instagram-Scammer Caroline Calloway oder: die Kosten der Manipulation

Manipulation:
Ab wann bestimmt sie dein Leben?
Caroline Calloway ist kurz zu einem Symbol geworden. Ein Symbol für alles, was falsch läuft - undvmit wie viel Teflon-Mentalität die online - Millennials damit umgehen.

Da ist es leicht, sie als oberflächliches Girlie zu sehen, das Aufmerksamkeit für die eigene eingebildete Grossartigkeit will - und das für Geld.

Man kann diesen Fall aber auch als Beispiel nehmen für das manipulative System, das dahinter steckt. Und das uns alle beeinflusst - und sogar Geschäftsprozesse strukturiert.



Der Waschzettel - für alle, die Caroline Calloway nicht kennen (so wie ich früher)

Caroline Calloway ist eine Uniabsolventin (Cambridge, Kunstgeschichte), 27 Jahre.
Jetziger Beruf: Social Media Influencer.
Karrierestart: Instagram 2012.
Produkt: Caroline Calloway. Vor allem Caroline Calloway:
Caroline Calloway in England (Studienaufenthalt),
Caroline Calloway und die romantischen Affären mit europäischen Adeligen,
Caroline Calloway mit Blumenkränzen im Haar,
Caroline Calloway im Höschen oben ohne,
Caroline Calloway ohne Höschen von hinten,
Caroline Calloway und ihre Beziehung zum psychisch schwierigen Vater,
Caroline Calloway und ihre Entjungferung,

Caroline Calloway und überhaupt Caroline Calloway.

Persönlichkeitsstrukturen

Gleich vorne weg: Das Wenigste von all dem, was Carolin Calloway gepstet hat, ist wahr, sondern ein Produkt einer ehemaligen Freundin Natalie Beach, welche als Ghostwriterin fungierte und das alles letztendlich in einem Artikel im New York Magazin hat auffliegen lassen. Selbst die New York Times berichtete online.

Die echte Caroline Calloway war eher weit weg vom Leben, wie es auf Instragram präsentiert wurde: ein kunstaffines Avangarde-Mädchen mit Liebesaffairen mit europäischen Adeligen, naiv-kindlich, herzorientiert und doch eigenständig.

Das alles kann man abtun als typische Repräsentation einer lebensuntüchtigen Millennial, die jedoch hervorragend Selbstinszenierung beherrscht, es damit zu einem Buchvertrag von über 300 000 Dollar gebracht haben soll, zu sonst aber nichts (ihr Buch wurde nie geschrieben, sie liess den Vertrag einfach platzen).
Selbst den shit-storm bindet sie wie jede andere Kritik ein in ihr Narrativ vom Bohemian-Girl, das ein erfolgreiches Leben führt und sich gegen alle zur Wehr setzt, die ihrer Selbstbetrachtung im Weg stehen. Wie für ihre Generation typisch bindet sie sogar die Risse in ihrer Reputation durch Selbstironie in ihr Profil ein:
Carolin Calloway. Nein, nicht jene da. Die andere Betrügerin. Die, die du liebst:


Die Dynamik dahinter

Ironie ist heute das Stilmittel des Zeitgeistest als Ersatz für geerdeten Tiefgang, so wie Selbstoptimierung inzwischen eigenständige Persönlichkeit ersetzt. Natürlich empfindet Caroline Calloway auch für ihre Kritiker nur Liebe (Klammer auf: trotz all eurer Schmähungen, Klammer zu), und schliesslich kommt es ja nur drauf an, man selbst zu sein und seinen Gefühlen zu folgen.

Soweit wieder die so beliebte wie verbreitete Mischung aus Ich-Zentrierung und inszenierter emotionaler Selbstentblössung. Dem User wird suggeriert, hier wird er persönlich Teil einer Selbstwerdungs-Story einer echten Frau.



Zu einer echten Frau gehört bei Caroline Calloway dann auch, einen Tag nach dem Tod des eigenen Vaters ein beinahe-nackt-Foto von sich (die Brüste sind mit Blumen-Cliparts künstlich abgedeckt) im Höschen zu posten und dies als Kunst zu etikettieren. Tja ...

Geschmack, Dummheit, Unsensibilität, soziale Inkompetenz - was denn? 

Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich mehr streiten, als über Unsensibilität. Aber der zeitliche Zusammenfall vom Tod eines nahen Angehörigen und ihr Beinahe-Nackedei-Foto lassen unschöne Vermutungen über sie zu.

Kleiner Zwischenruf: Sie hat auch ein Patreon-Profil. Für 2 Dollar pro Monat kommt man auf ihre Freundes-Liste und bekommt von ihr jeden Tag Geschichten oder Bilder von Pflanzen, Nachrichten von persönlichen Dramen aus ihrem Leben und Aktfotos geliefert.

Früher bezeichnete man in meiner Region so jemand als "hohle Nuss" - so ändern sich die Zeiten. Caroline passt genau ins Milieu von Bibi (Bibis Beauty Place), Dagi Bee, Rebecca Wing oder Logan Paul, nur dass ihre Zielgruppe nicht mehr 14jährige sind, denen man Produkte verkauften will (allerdings ist die Zielgruppe von Dagi Bee und Bibi wohl auch inzwischen älter geworden). Sie alle eint die Fähigkeit, aus 0815-Langweile-Leben durch Inszenierungen eine Gelddruckmaschine anzuwerfen.


Nur: Wer sich beruflich ausschliesslich online bewegt, gerät in Gefahr Sozialkompetenz einzubüssen. Denn damit ist es wie mit dem Schwimmen: Die Fähigkeit sich in konkreten sozialen Räumen mit ganz konkreten Individuen, ihrer Denk- und Verhaltensweise, ihrer unterschiedlichen Kultur und Sozialisation nicht nur über Wasser zu halten, sondern sich auch zielgerichtet bewegen zu können, lernt man nicht online. Schwimmen lernt man nur, indem man schwimmt. Sozialkompetenz lernt man nur im analogen Leben.


Die manipulierte Wirklichkeit

Inszenierung ist immer eine bestellte Wirklichkeit und wenn hier das Wort "Wirklichkeit" fällt, dann meint es eine Welt, in der die Kanalbetreiber Gott sind. Das online-Profil ist ausschliesslich deren Kreation. Diese Welt ist so, wie sie wollen, dass wir sie sehen. Umfangreicher geht Manipulation nicht.

Je grösser aber die Inszenierung, desto weiter die Entfernung zur Realität und wie sich ihr Erfinder in ihr bewegt. Unter all den Inszenierenden ist derjenige am freiesten, der sich um die Wirkung in der Realität nicht kümmern braucht.



Die Crux in diesem Satz liegt im letzten Wort. Nur derjenige, der seine Umwelt wirklich nicht braucht, kann so agieren, aber wer ist schon in einer solchen Lage, beruht doch jede Social-Media-Plattform auf einem Tauschgeschäft mit der Währung Aufmerksamkeit durch andere.

Der Grund, warum es so oft funktioniert, sind wir:

Plattformen wie Instagramm bieten wie früher die Boulevard-Presse Bilder des schönen Scheins aus dem Genre Seifenoper für Alltagsfüchtlinge.

Sie dienen der Ablenkung und suggerieren ein Gefühl, an etwas teilzuhaben, das ein bisschen größer und interessanter ist als das eigene grau empfundene Leben. Dafür gibt es immer einen Markt, denn die meisten Menschen wollen, wenn man ehrlich ist, kein besseres Leben. Sie wollen sich nur für eine Zeitlang so fühlen, als hätten sie eines. Darauf beruht der Erfolg dieser Art von Influencern.


Da nützt es auch nichts, darauf hinzuweisen, dass das alles hohl sei und sich die Instagramer lieber einen Job suchen sollten. Sie haben ja bereits einen Job: Realitätsmanipulierer. Und selbst wenn die eigene Authentizität angekratzt ist, sie können immer noch mit der Neugier der User rechnen, die wissen wollen, was denn nun schon wieder los ist.

Was ich Caroline Calloway als Psychologe wünschen würde (aber mich fragt sie ja nicht)

Wer sein Leben als unzureichend empfindet - und wer tut das nicht zuweilen - ist für solche Scheinwelt - Manipulation anfällig. Zu ihrer Rettung sei gesagt: Caroline Calloway richtet, abgesehen von wohl mindestens einer ausbeuterischen Beziehung - der zu ihrer Ghostwriterin -, keinen grösseren Schaden an. Es ist keineswegs harmlos, aber auch nicht lebensgefährlich. Caroline Calloway ist keine Elizabeth Holmes oder Anna Sorokin. Die haben weitaus Schlimmeres verbrochen.

Ich hoffe, Caroline Calloway findet für sich etwas, für das sie sich einsetzen kann. Es wäre für sie ein Ausweg, von Schein zu einem erfüllenden Leben zu gelangen. Sie müsste nicht mehr den Gaukler spielen, sie könnte anfangen, sie selbst zu sein.

Quellen:

  • ein bisschen mehr über Caroline Calloway hier

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