27. Juli 2019

Jesper Juul ist gestorben. Ein kleiner Nachruf und eine Besinnung auf das Wesentliche

Jesper Juul
Von Lucarelli - Eigenes Werk,
CC BY-SA 3.0,
https://commons.wikimedia.org/
w/index.php?curid=10621755

Vor zwei Tagen starb Jesper Juul an einer Lungenentzündung. Seine letzten Jahre waren geprägt durch eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, was einen schweren Eingriff in Leben und Persönlichkeit bedeutet. In Erinnerung wird Jesper Juul jedoch genau durch Letzteres bleiben:

Seine Persönlichkeit, aus der er zusammen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über Kinder und Säuglinge einen eigenen familientherapeutischen Stil formte. Dabei spielte auch der systemsiche Ansatz eine Rolle.




Jesper Juul stellt vor alle die Qualität von Beziehungen zwischen Eltern und Kindern in den Vordergrund. Deswegen war er skeptisch sowohl gegenüber dem autoritären wie dem demokratischen Erziehungsstil.

Ersteres leuchtet schnell ein. "Autoritär" ist gekennzeichnet durch Hierarchie und Gehorsam, zwei Pole unter denen die Kinder Anstand, gute Umgangsformen und Respekt lernen sollten. Zur "Ikone" des autoritären Stils wurden Sätze, die anfingen mit:

"So lange du die Füsse unter meinen Tisch stellst ...."




Gute Umgangsformen hieß hier, in einer Linienorganisation zu wissen, wo sein Platz ist und sich entsprechend zu benehmen.

Dem demokratischen Erziehungsstil warf Jesper Juul vor, dass er das gut Gemeinte - kein autoritäres Regime erreichten zu wollen - in der Praxis konterkarierte, indem er erstens Kinder vor Entscheidungen stellte und Verantwortung aufbürdete, für die sie nicht zuständig sind. Statt eine
Eltern-Kind-Beziehung eltern- und kindgerecht zu gestalten, übernahmen zweitens de facto ideologische Grabenkämpfe um die richtige Erziehung, Dogmatismus und aktionsorientierte Rechthaberei das Ruder und trugen die Zwistigkeiten auf den Rücken der Kinder aus.


Statt Befehl und Strafe sagt der demokratische Stil einfach nur "Grenzen und Konsequenzen". Klingt nett, beruhigt das schlechte Gewissen der Erwachsenen, ist aber tatsächlich genau so nur eine willkürliche Strafpädagogik wie der autoritäre Stil, den er ablösen wollte. Früher musste man eben zur Strafe in der Ecke stehen, jetzt heisst es statt dessen "stille Treppe", wenn nicht gleich "Geh in dein Zimmer!".  Und dass man nicht auf die Party darf, nur weil man seine Hausaufgaben "vergessen" hatte, leuchtet auch nicht ein, denn zwischen beiden besteht kein fachlicher Zusammenhang. Die "Konsequenz" ist genau so willkürlich wie die Strafe und sie teilt mit der Strafe auch das Wesentliche: Sie soll weh tun! Dann wird das Kind es schon merken! Der demokratische Erziehungsstil ist also meist nur der alte autoritäre, nur mit anderen Etiketten.


Jesper Juul nahm dagegen die neuere Kinder- und Säuglingsforschung ernst und setzte auf eine dialogische Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Gemeint ist, dass eine Eltern-Kind-Beziehung eine Lernbeziehung für beide Seiten ist und sein soll. Kinder lernen von Erwachsenen, schon klar. Aber ist den Erwachsenen klar, dass sie auch von Kindern lernen können?


Und zwar echtes Lernen! Kein so ein Pseude-Gerede wie: "Ui, Kinder haben noch so wenig Vorurteile und sie sind viel mehr im Hier und Jetzt!"



Abgesehen, dass Eltern, die auf diesem Niveau ihre Kinder betrachten, wohl eher eine Tracht prügel verdient hätten, geht es darum, dass Kinder echte Kompetenzen haben, die Erwachsenen fehlen.

Kinder und Eltern, das sind wie zwei unterschiedliche Experten, die sich in ihrem jeweiligen Expertentum gelten lassen und entsprechend miteinander umgehen. Daraus entstehen dann Einstellungen, Haltungen, Überzeugungen, Kommunikationsstile. Jesper Juul kleidete das in Begriffe wie Gleichwürdigkeit, Integrität, Selbstgefühl.


Jesper Juul hat einiges von der systemsichen Therapie / Coaching aufgenommen. Hier wie dort ist sein, wie er es nannte "postdemokratischer" Erziehungsstil etwas, was ohne - im Gegensatz zum demokratischen Erziehungsstil - Subjekt-Objekt-Beziehung auskommt.


Statt über Rechte, Pflichten, würde als Ausgangspunkt an die Dinge heranzugehen, sagt der systemsiche Ansatz: finde erst heraus, wie sich dein Gegenüber in den jeweiligen Erziehungskonstellationen verhält, welche Werte und Kompetenzen etc. er / sie zeigt und dann: geh darauf ein und entwickle weiter.



Systemisches Denken ist ein Denken in Beziehungen und weniger an dogmatischen Werten als an Praktikabilität zum Besseren interessiert.

Jepser Juul hat diesen Ansatz für Eltern und Familien mit seiner Persönlichkeit vermischt und mit seinen Ratschlägen, Impulsen und Interventionen vielen geholfen, indem er auf das Wesentliche verwies. Systemisch gesprochen: Den Unterschied, der den Unterschied macht. Unvergessen ist seine Antwort auf eine Frage eines Journalisten, was er denn Helikopterelter ragen würde: "Lieben sie ihre Kinder einfach!" Klammer auf: Anstatt sie nach ihren Vorstellungen zu formen und zu kontrollieren. Klammer zu.

RIP Jesper Jull! ich hätte Sie gerne einmal persönlich erlebt. Ihr Einsatz war dafür, dass die Qualität der konkreten Beziehungen ausschlaggebend ist, anstatt Ideologie. Und dass das, was Qulität ist von Eltern und Kindern festgelegt wird, anstatt von Eltern. Auch nicht von Erziehungsratgebern. Ihr Blick galt dem, was gerade ist. Auch wenn es weh tat. Jedoch mit der Attitüde eines gütigen Menschen, der dazu da ist, zu etwas Besserem zu verhelfen. Das verbindet Sie mit mir als Systemiker.

Ruhen Sie nun wohl! Und danke.


Quellen:

  • Bild von Jesper Juul hier: Von Lucarelli - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10621755

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