7. April 2019

Leaving Neverland - die Michael Jackson Doku und die Gedanken eines Therapeuten

Die Doku, die jetzt auch in Deutschland ausgestrahlt wurde, hat ja die Gemüter gespalten. Gesehen habe ich sie gestern. Nun ja, nicht ganz, denn ...

.. ich bin nach der Hälfte ausgestiegen. Aus Langeweile.

Da mag komisch klingen, ist aber tatsächlich so. Warum? Nun, erstens, die Doku ist voll von sexuellen Schilderungen von Handlungen an Kindern in einer Detailfülle, die man nicht hören will und - das ist entscheidend - auch nicht zu hören braucht.
Ich arbeite als Therapeut. Ich kenne Schilderungen von sexuellen Übergriffen von Betroffenen. Als Mediator war ich in Fällen dabei, bei denen es sexuellen Mißbrauch zwischen den Konfliktparteien in deren Geschichte gegeben hat. Ich habe dadurch einen Einblick durch berufliche Erfahrungen in diese Thematik, zähle mich aber nicht zu den Sexualtherapeuten, wohl aber zu denen, die mit Traumata umgehen. Ich bin entsprechend aus fachlichen Gründen nicht erpicht auf sexuelle Detailschilderungen von Penissen und sonstige Beschreibungen. Diese Art von Info ist unnötig in der Therapie. Es geht mir hier nicht um Schilderungen der sexuellen Handlungen, die jemand an jemandem vorgenommen hat, sondern um die Person, die mir gegenüber sitzt und um das, was jetzt nützt.

Mein Eindruck bei der Doku jedoch war, daß die sexuellen Schilderungen die Hauptsache waren, warum der Film es über die ersten zwei Stunden geschafft hat. Denn tatsächlich hat die Doku nach der ersten halben Stunde alles gesagt, was sie sagt. Alles, was danach kommt, ist bloße Wiederholung. Uninteressant für mich.

Zweitens dokumentiert der Film nicht. Er klagt indirekt an. Er bringt ja nur die Aussagen von  einer bestimmten Personengruppe, genauer gesagt die Detailschilderungen zweier der vermeintlichen jetzt erwachsenen Opfer der sexuellen Gewalt und deren Angehörigen. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, bis zu dem ich abgeschaltet habe. Eine Doku sollte meiner Meinung nach, wenn verschiedene  Standpunkte zu einem Thema existieren, diesen Unterschieden oder auch Widersprüchen Raum geben. Und die gibt es beim Michael Jackson-Fall.

Nun muß man meine Meinung hinsichtlich Dokus natürlich nicht teilen. Man kann natürlich auch bewusst enscheiden, eine klare Position zu beziehen, weil man für eine bestimmte Meinung werben und überzeugen will. Michael Moore macht so etwas in seinen Filmen. Allerdings, wer sie ansieht, wird merken: Solche Filme haben eine ganz andere Struktur in der Art und Weise, wie sie gemacht sind. Dagegen folgt "Leaving Neverland" doch sehr den Spielregeln einer neutralen Doku.

Außerdem: Für was würde der Regisseur werben oder überzeugen wollen? Jedenfalls für die Zeitspanne, die ich gesehen habe, ist nichts in dieser Richtung erkennbar.
Ich habe in einem Interview gehört, wie der Regisseur sagte, er wolle die Geschichte der beiden von Jackson angeblich mißbrauchten Männer erzählen. Aber auch das tut der Film nicht unbedingt. Tatsächlich läßt er sie nur über ihre Erlebnisse mit Jackson berichten, und wie gesagt, die sexuellen Erlebnisse sind die detailliertesten. Ich kann mich einem Eindruck, daß hier auch Voyeuristisches im Spiel ist, nicht einfach erwehren.

Was ich insgesamt also davon halte? Ich halte mich bewusst zurück, über die Leute, die im Film zu Wort kommen, zu urteilen. Die Diskussion, ob und inwiefern hier Unwahrheiten drinstecken, überlasse ich andere. Ich halte auch nichts davon, was Oprah Winfrey gesagt hat, daß das großer ist als Micheal Jackson und zeigt, wie korrupt die Gesellschaft ist. Das ist allerdings einer Vermutung geschuldet: Der Vermutung, daß in sechs Monaten sich niemand mehr groß dafür interessiert, daß also das, was an dem Ganzen wirklich groß ist, der Hype ist.

Was stimmt, ist, daß sexueller Mißbrauch von Kindern / Jugendlichen mit Manipulation einhergeht. Was für mich nie nachvollziehbar war, ist die Verehrung, die Michael Jackson bei den Leuten hatte - auch bei den Opfern - völlig unabhängig von den Vorfällen. Aber für mich ist Verehrung für jemanden Konkreten immer schon fremd gewesen. So gesehen ist das nicht so ausschlaggebend.

Völlig klar ist, daß jemand - auch Erwachsene - in Situationen geraten, in denen die Macht der Situation stärker ist als jede eigene Entscheidung. Das ist normal und die Psychologie hat das zu 100 Prozent nachgewiesen.

Es kann sein, daß es so abgelaufen ist, wie die beiden Männer im Film es berichten. Die Wahrheit ist objektiv wohl nicht mehr festzustellen. Was aber die Wahrheit ist: Was der Film sagen will, geht in wesentlich kürzerer Zeit. Zu viele Wiederholungen schüren doch den Verdacht, daß man doch weniger zu sagen hat, als man den Anschein erwecken will.

So gesehen: Ich habe ein mieses Gefühl bei diesem Film. Und das nicht wegen der geschilderten sexuellen Details. Zu viel Dramatik.

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