30. Juni 2018

Wie umgehen mit Katastrophen? Vier grundlegende Erkenntnisse

Während hier Fussball in den Nachrichten seinen Platz einnimmt, nimmt die Verzweiflung bei 13 Familien stetig zu. Seit Tagen sind 12 Kinder und ihr Fussballcoach in einem Höhlensystem eigenschlossen. Die Höhlen sind überflutet. Es gibt keine Lebenszeichen. Wie geht man damit um? Vier grundlegende Erkenntnisse aus der Psychologie:



Das folgende Video gibt Ihnen einen Eindrücke vor Ort:


Noch hoffen alle, dass sich die Eingeschlossenen im Höhlensystem weiter zurückgezogen haben und am Leben sind. Das Militär mit seinen Kampftauchern ist anwesend, ebenso britische Tauchspezialisten und amerikanische Navy Seals sind da. Sie alle sind blockiert durch den Regen.


Was in diesem Fall nichts anderes heisst, als dass die Eltern der Kinder und die Helfer zum Warten verdammt sind. Wenn nichts mehr geht, gehen Menschen zu religiösen Angeboten. Am Ort der Tragödie sind inzwischen Mönche eingetroffen. Das Foto zeigt die Angehörigen bei der Nachtwache.


Wie geht man um mit einem solchen Ausnahmenzustand, in dem man nicht weiss, ob das eigene Kind noch am Leben ist? Was tun, was den Angehörigen sagen?

Die gute Nachricht für Unbeteiligte, die nicht wissen, wie sie in der aktuellen Situation mit den Betroffenen umgehen sollen:

1. Wir sind gemacht, dass wir so etwas durchstehen. 

Die Evolution hat uns so geschaffen. Wir können unsere Kinder sterben sehen und weitermachen. Wenn das nicht der Fall wäre, hätte es die Menschheit nicht ins 21. Jahrhundert geschafft.
Das mag für manche Ohren brutal klingen, aber
  • Die Situation ist brutal, beschönigen hilft gar nichts und schürt nur falsche Hoffnungen
  • Unsere Spezies ist ungeheuer anpassungsfähig. Menschen leben in der glühenden Wünste und in der Antarktis. Wir können uns an fast jede Situation anpassen und überleben. Wir können weitermachen auch im Angesicht der Katastrophe
Die Folge: Wir halten ungeheuer viel aus. Die Angehörigen der Jungs und ihres Coaches tun das bereits seit Tagen. Das Beste was man tun kann, ist, den Ernst der Situation zu sehen und dies zu würdigen. Über irgendwelche Gefühle zu sprechen, kommunikativ auf die Metaebene zu gehen, ist jetzt Quatsch, weil es die Betroffenen aus der Situation herausführt, in der sie jetzt aber bleiben müssen, weil sie durchhalten wollen. Es nutzt niemanden, wenn jemand zusammenbricht. Statt Gefühlen Ausdruck zu verleihen, ist es besser, die Kräfte und Ressourcen zu mobilisieren, Ruhe- und Schlafphasen zu stärken.

2. Wenn die Katastrophe eintritt, ist für Trauer und Schmerzen ist später Zeit

Jedenfalls sollte es das sein. Es gibt nämlich Fachleute, die sagen, warum manche Menschen Katastrophen besser verkraften und sich schneller erholen als andere, liegt nicht an ihrer psychischen Stärke und Flexibilität. Es liegt daran, wie die Umwelt und die Gesellschaft die Menschen, die Katastrophen erlebt haben, anschliessend behandelt. Und da gibt es von den Unbeteiligten Muster und Verhaltensweisen, die lassen keine Regeneration zu. Zum Beispiel:
  • die Zuschreibung als Opfer. Opfersein bedeutet immer passiv sein, denn Opfer impliziert immer ein Erleiden. Wem die passive Rolle zugesprochen wird, der kann die natürlichen Widerstandkräfte schwerer aktivieren. Verstärkt wird dies noch durch die
  • Anspruchshaltung des Opferstatus. Dieser führt in unserer Gesellschaft zu bestimmten Berechtigungen (kostenlose Behandlung, Auszeiten, mögliche Vorverrentungen, soziale Rücksichtnahme ...). Was zur Unterstützung gedacht war, landet zuweilen im langlebigen Dauerzustand. Trauer und Schmerz kippen als Begründung für den status quo.

3. aufhören, sich ständig die Katastrophe im Kopf vorzusagen

Der Gouverneur der Provinz, in der die Tham Luang Höhle liegt, hat die Presse gebeten, keine live Sendung zu machen, wenn es nicht nötig ist. Der Hinweis ist sinnvoll in einer Mediengesellschaft. Denn wenn es keine neuen Nachrichten gibt, führt die Wiederholung der alten (schlechten) Nachrichten zu einer bestimmten Dynamik: Die Katastrophe erscheint einem noch grösser. Es gilt auch hier die alte systemische Einsicht:

Energy goes where attention flows

Worauf du deine Aufmerksamkeit richtet, das wird grösser. Wer die Katastrophe, die sich ereignet, ständig weiter in seinem Kopf durchspielt, der schwächt seine Ressourcen und Widerstandskräfte.

4. Im Angesicht der Katastrophe ist Handeln besser als über Gefühle zu reden

Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass man gar nichts tun kann. Die Realität ist folgende: Tatsächlich ist man von den Umständen nie ganz unabhängig, tatsächlich ist man nie ganz abhängig. Siehe das Bild: Die Angehörigen halten Nachtwache. Mänche führen Rituale aus. Atheisten - obwohl die, um die es hier geht, als Buddhisten ebenfalls keine Gläubigen sind - übersehen den Sinn von Religion für unsere Psyche. Rituale und der Glaube an ihre Wirkung über Ort und Zeit hinaus stärken uns und bringen uns ins Tun. Es bewahrt uns, ins Fatalistische abzugleiten - etwas, mit dem sich viele Atheisten schwer tun, eine Alternative anbieten zu können.

Das ist kein Plädoyer für Religion oder religiösen Glauben. Ich will es als Empfehlung vestanden wissen, grundlegende Strukturen unserer Psyche nicht zu missachten und deshalb noch mehr Probleme zu erursachen, als eh schon da sind.

Es geht überigens auch anders. In Tham Luang ist heute der Regen zurückgegangen. Ein junger Mann kam an und wollte helfen. Aber es gibt nichts zu tun. Die Pumpen und Bohrungen, die versuchen, das Wasser zu bändigen, arbeiten autonom. Wieder bleibt nur warten oder?

Nein, man kann immer was tun. Was tut der junge Mann, der helfen wollte? Er engagiert sich, den Müll wegzuräumen.

Es kann jeder etwas tun. Jeder.

 Quellen:

  • Foto der Nachwache

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