26. Mai 2017

Zum Lutherjubiläum: Gewalt gegen Kinder und der Sinn des Lebens

Wegen einer Nuss, die er heimlich genascht hatte, prügelte ihn die Mutter windelweich. Später, als Erwachsener wird er in einem Schreiben dazu kommentieren: "Aber sie meinte es herzlich gut!"

Diese Erfahrung mussten viele geprügelte Kinder machen. Auf die Frage, warum Papa oder Mama einen so verdroschen, gab es Antworten wie:
  • weil du böse bist
  • weil du es brauchst
  • weil wir es gut mit dir meinen
"Manipulation" nennt man so etwas. Gerade der Satz "weil wir es gut mit dir meinen" ist die perfideste Antwort, die man Kindern geben kann. Oft wird sie später von den Betroffenen gerechtfertigt mit der Killerphrase:
"Uns hat es damals auch nicht geschadet."
Zumindest leztere Behauptung können nun alle mit gutem Grund mit einem Hohngelächter beantworten. Hier die Infos!

Gewalt ist legitimiert

Der oben zitierte Autor, der wegen einer Nuss von Mutti verdroschen wurde, ist bekannt: Martin Luther. Er hat später in seinem "Sermon von dem ehelichen Stand" immer verdeutlicht, dass er diese Erziehungsmethoden billigte, sie sogar als Zeichen der Liebe wertete:

"Wer der rutten schonet, der hasset sein eigen kindt, wer aber sein kindt lieb hat, der steupt es vill mall."

Es gab in Deutschland genügend Generationen, die Luthers Meinung teilten.


Die Rechtfertigung von Gewalt ist raffiniert!

Sie war so formuliert, dass sie automatisch ein weiteres Nachdenken abblockte. Vielleicht auch zu Recht, denn wenn man möglicherweise darauf kam, dass kein Sinn in all dem läge, dann hätten Systeme, die behaupten, Schläge sind Ausdruck, dass jemand es gut mit einem meint, es schwer, ihre Existenz zu rechtfertigen. 

Zudem halten die meisten von uns Menschen eine "Sinnlosigkeit" nur ungut aus. Unser Verstand will Erklärungen, will Definition und Deutung. Er will eine Antwort auf die Frage "Warum".
  • Warum habe ich Krebs?
  • Warum musste mein Kind sterben?
  • Warum habe ich meine Familie damals im Tsunami verloren?

Solche Fragen haben ein Janusgesicht.

Einerseits sind solche Fragen eine Folge unserer Fähigkeit, Probleme zu lösen. Wenn wir bei einem Problem nach dem "Warum" fragen, kennen wir die Ursache. Wenn wir sie kennen, können wir sie beseitigen.
Deshalb ist es sinnvoll, diese Vorgehensweise auch bei Lebensfragen anzuwenden. Wir bekommen auch schnell richtige Antworten:
  • Du hast Krebs, weil du wie ein Schlot geraucht hast / dich der Sonnenstrahlung zu sehr ausgesetzt hast / es in deiner Familie eine Veranlagung dazu gibt / etc.
  • Dein Kind musste sterben, weil es auf die Straße lief, der Autofahrer es nicht gesehen hatte und es beim Zusammenstoß sich eine tödliche Schädelverletzung zugezogen hatte.
  • Deine Familie ist im Tsunami umgekommen, weil sie sich gerade dort befand, wo der Tsunami war, es nichts gab, worauf sie sich retten konnten und sie die Flut mit sich riss, bis alle  ertrunken waren.
Die Antworten beantworteten gar nichts. Sie klingen eher zynisch. Der Grund dafür liegt darin, dass wir mit "warum" bei Lebensfragen eigentlich auf etwas anderes abzielen als einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Wir fragen mit der "Warum"-Frage nicht nach der Ursache wie ein Naturwissenschaftler, sondern wir fragen nach dem Sinn.

Sinn ergibt sich nicht durch etwas, das uns vorgesetzt wird. Sinn ist eine persönliche subjektive Interpretation des Lebens.


Wer nach dem Sinn fragt, muss jeden Wunsch auf naturwissenschaftlichen Halt hinter sich lassen. Sinn wirft den Sinngeber auf sich selbst zurück und lässt hinter jeder Antwort den gähnenden Abgrund des Zweifels erahnen, dass es auch komplett anders sein könnte.


Die Folgen für unser Denken: Weg von den Vorgaben!

Wenn das, was uns widerfährt, nur den Sinn hat, den wir ihm subjektiv geben, dann müssen wir loslassen von äußeren Umständen oder Instanzen, die für uns eine Sinninstanz definieren wollen. Zu groß ist die Gefahr, dass wir einer manipulativen Chimäre aufsitzen, so wie es damals Martin Luther bei den Prügeln tat.
Wenn es einen objektiven Sinn geben sollte, dann vielleicht der, dass jeder vorsichtig sein sollte, wenn ihm jemand erklären will, was es mit dem, was ihm widerfahren ist, auf sich hat. Wobei dies eher eine Achtsamkeitsempfehlung als ein Sinnangebot darstellt.

Damit ist Sinnsuche überflüssig und wichtig zugleich

Letztendlich entscheidet jeder selbst, welchen Sinn sein Leben hat. Das bedeutet, dass wir unser Leben gestalten und sonst niemand. Dazu ist es zwar notwendig, sich umzuschauen. Wir dürfen die Dinge jedoch nicht ungeprüft übernehmen. Nicht von einem Therapeuten, nicht von einem Coach, nicht von irgend einem Lehrer (auch nicht von einem staatlich geprüften), nicht von irgend einem Glaubenssystem, nicht von irgendeinem politischen System.
Und wir haben das Recht, unsere Entscheidung immer zu revidieren. Nichts auf diesem Planeten ist ewig. Alles verändert sich. Das gilt auch für unsere Meinungen und Haltungen.


Sinn bedeutet letztendlich, Halt in sich selber finden. Alles andere ist sinnlos.



Übrigens, zwei Untersuchungen zum Thema "Schläge":

Eine US-amerikanische Untersuchung der Universität New Hampshire stellt fest: Geprügelte Kinder sind dümmer als Kinder, die keine Schläge bekommen. Bei den Zwei- bis Vierjährigen war der IQ derjenigen, die oft einen Klaps auf den Po oder eine Ohrfeige "kassiert haben", durchschnittlich um ganze fünf Punkte tiefer als bei denjenigen, denen das nicht widerfuhr. Bei den Fünf- bis Neunjährigen waren es durchschnittlich 2,8 Punkte weniger. Außerdem waren die geschlagenen Kinder fortan ängstlicher und leichter zu erschrecken als andere.


Was heisst das wohl für diejenigen, die sagen "mir hat es auch nicht geschadet ..."? ...

Quellen:

  •  hier die New Hampshire - Studie

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