2. September 2020

Freundschaft - warum wir sie schätzen und warum wir so oft enttäuscht werden

Es heisst: Liebhaber und Geliebte gehen, Freundschaften bleiben. Womöglich weil sie nicht durch Blutsbande oder erotischen Anziehung verursacht wird. Doch die wenigsten unserer Freunde scheinen wirklich unsere Freunde zu sein - glaubt man einer psychologischen Studie.

Ungefähr die Hälfte derjenigen, die wir zu unseren Freunden zählen, erwidert unsere Freundschaft gar nicht. Das sagen Forscher des Massachusetts Institute of Technology und der Universität Tel Aviv. Das ist jetzt etwas bitter.

Untersucht wurden 84 Studenten zwischen 23 und 38 Jahren vor ihrem ersten Abschluss im Fachbereich Angewandtes Management. Auf einer Skala von null bis fünf mussten diese einschätzen, welche Art von Beziehung sie zu ihren Mitstudenten haben. Null = „Ich kenne diese Person nicht“. Drei = „Freund“. Fünf  = „einer meiner besten Freunde“.

Auch sollten die Studenten schätzen, wie die jeweils angegebene Mitstudentin / Mitstudent das sehen würde.
Ergebnis: In 94 Prozent gingen die Teilnehmer von einer gegenseitigen Freundschaft aus. In Realität waren es nur 53 Prozent.

Unser gewohntes Bild von Freundschaft ...

Die westliche Geistesgeschichte, in der wir aufgewachsen sind, hat Freundschaft meist idealistisch abgehandelt. Schon bei Homer finden wir: Gefährten / Freunde kämpfen zusammen, fliehen, wenn es sein muss, miteinander oder schützen sich gegenseitig mit dem Schild. Sie retten einander aus Gefahren und pflegen und helfen, wenn einer verwundet wurde. Em Ende bestatten sie ihren toten Freund und dann rächen sie ihn. Die Bande der Verpflichtungen einer Freundschaft reichen über den Tod hinaus.

Meine Generation ist noch aufgewachsen mit Bücherreihen wie "Fünf Freunde" oder "Hanni und Nanni", heute gibs die Harry Potter-Reihe und andere. Sie alle zeigen: Freunde halten zusammen, treten füreinander sein, sind uneigennützig. Mit Freunden bestehen wir Abenteuer, haben Spass. Gemeinsam überwinden wir die Schwierigkeiten.

Für Sokrates wurde Freundschaft "wegen der Tugenden" geschlossen. Freundschaft verbindet und fördert die Tüchtigen und die Guten, sagt der Philosoph Xenophon; und bei Aristoteles bedeutet Freundschaft sogar die Erfüllung der Gerechtigkeit.

Wer Gerechtigkeit will, kann Verträge schliessen, sagt auch Epikur, doch ohne Freundschaft sind diese nicht den Papyrus wert, auf dem sie stehen. Paul Getty, der amerikanische Öl-Tycoon, äusserte sich einmal ähnlich:


Wenn man einem Mann vertrauen kann, erübrigt sich ein Vertrag. Wenn man ihm nicht trauen kann, ist ein Vertrag überflüssig.
 

Die antiken Griechen hatten noch klar zwischen Freundschaft und Liebe unterschieden. Das Christentum verwischte aber die Begriffe und zog lieber eine Trennungslinie zwischen körperlicher und geistiger Liebe. Geistige Liebe und Freundschaft waren bei ihm auf Gott ausgerichtig und wurden fast zu Synonymen. So bekam die Freundschaft / Liebe etwas Göttliches und wurde entsprechend als wertvoll gepriesen. 

Die Renaissance belebte wieder das antike Ideal, und auch die Aufklärung führte bei der Freundschaft zu keiner Aufklärung. Freundschaft war jetzt eine vernunftgeleitete Wahl zur gegenseitigen ideellen Bereicherung.

Kant, einer der Väter der Aufklärung und generell skeptisch gegen die Vorherrschaft der "Affekte", sieht in ihr eine „ehrenvolle Pflicht“, deren Natur ein völliges Vertrauen "zweier Personen in wechselseitiger Eröffnung ihrer geheimen Urteile und Empfindungen, soweit sie mit beiderseitiger Achtung gegeneinander bestehen kann" ist.

Wir sehen: Unser westliches Denken ist sehr idealistisch.

... ist falsch

Heute gehen Forscher davon aus, dass folgende Dinge grossen Einfluss darauf haben, ob eine gegenseitige Freundschaft zustande kommt:

  • Sozioökonomische Status,
  • das Geschlecht
  • Ethnik.

Adieu idealisierte Weltsicht! Die Realität verabschiedet das gepflegte Weltbild als Phantasieprodukt.

So erklären die Forscher die Zahlen in der Studie:

Wer einen geringen sozialen Status innehat, sucht sich bevorzugt Leute mit höherem sozialen Status. Menschen verhalten sich dann zu diesen wie Freunde und sie bezeichnen die Inhaber höheren Status auch so.
Umgekehrt ist es anders. Menschen mit höherem gesellschaftlichen Status sind wählerischer mit den Kontakten, mit denen sie befreundet sein wollen.

Was die Studie auch festgestellt hat: Wenn es um Einfluss geht, dann ist der bei der gegenseitigen Freundschaft am grössten. Ansonsten funktioniert Beeinflussung nur in eine Richtung: Von dem mit höherem gesellschaftlichen Status zu dem mit niedrigerem Status und nie umgekehrt.


Freundschaft ist also nicht so gegenseitig, wie wir uns das denken. Ob man das jetzt auf das Leben übertragen kann? Tatsächlich war dazu die Gruppe der Probanden der Studie zu klein. Allerdings lässt sich eine Vermutung ableiten: Wir sind nicht besonders gut darin, unsere Freundschaften realistisch einzuschätzen


Quellen:

  • hier gehts zur Umfrage zur Freundschaft Massachusetts

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