12. September 2014

Verursacht unsere Gesellschaft Depression?

Depessionen sind in der deutschen Bevölkerung mehr mit Etiketten als mit überprüften soliden Wissen behaftet.
Im Betrieb werden Betroffene oft als "Minderleister" und als nicht belastbar abqualifiziert.

Solche Beurteilungen sind weder hilfreich noch sonderlich intelligent. Niemand würde zum Beispiel eine Bürokraft, die sich die Schreibhand gebrochen hat, als Minderleister einstufen. Bei Depressionen geht das aber. Dabei ist der einzige augenfällige Unterschied, auf den sich die Urteiler stützen:

Bei der gebrochenen Hand sieht man etwas, bei psychischen Krankheiten sieht man nichts.

Unser Weltbild, nach dem viele leben, ist längst veraltet

Das damit entstandene Urteil über Depression - man sieht nichts, also kann wohl nicht so sein - ist eine Ableitung des alten Satzes "Ich glaube nur, was ich sehe", was wohl angesichts des heutigen wissenschaftlichen Weltbilds als ziemlich vulgär-materialistisch angesehen werden kann. Denn es beruht auf einem medizinischen Grundwissen weit unter Kleinkindniveau. Die Menschheit in der Antike war hier bereits weiter. (ja, man kann Materialist sein, aber man muss kein Vulgär-Materialist sein).

Nach dem bundesweiten Gesundheitssurvey leidet jeder Zwanzigste an Depression. Die Verteilung erstreckt sich dabei auf alle Alltagsgruppen. In Zahlen ausgedrückt wären das gute zwei Millionen, also eine STadt, ein bisschen größer wie Hamburg.
Über die Entstehung von Depression gibt es genau so viele Hinweise wie über die Art der Depression selbst. Im folgenden Video wird den gesellschaftlichen Bedingungen nachgegangen:


Die Zahlen weisen auf einen neuen Tatbestand hin

Die Zahlen der Krankmeldungen sind dagegen niedriger. Die Techniker Krankenkasse meldete zum Beispiel für 2011 unter ihren 3,5 Millionen Mitgliedern nur 61 000 Krankschreibungen, das hieße hochgerechnet, ungefähr jeder 60ste wäre betroffen.

Interessanterweise hat die TK noch eine zweite Rechnung aufgemacht:
Im selben Jahr hat jeder dort versicherte Erwerbstätige durchschnittlich mehr als zehn Tagesdosen Antidepressiva verordnet bekommen.

Wir kommen damit hochgerechnet auf eine absolute Zahl von 35 Millionen Pillen. Verglichen mit der Bevölkerung würde also statistisch gesehen beinahe jeder Zweite eine Dosis schlucken!
Und das allein bei dieser einen Kasse. Das heißt, de facto ist die Zahl der Erkrankten viel höher als die offiziell Ausgewiesene. So gesehen hat das Wort Volkskrankheit schon etwas für sich.

Allerdings gibt es noch etwas anderes zu berücksichtigen. 

Die Organisation für ökonomische Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat es empirisch belegt: In den Niederlanden hat die Verschreibung von Antidepressiva seit 2001 bis 2013 um weniger als 25 Prozent zugenommen. Sie hat sich während der letzten fünf Jahre sogar auf niedrigerem Level stabilisiert. In Deutschland, auch in Großbritannien oder Spanien, dagegen haben sich die Verschreibungen innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelt.

Ist Depression also an Landesgrenzen gebunden? Quatsch! Die empirischen Befunde lassen eher einen anderen Schluss zu: in Deutschland wird einfach mehr verschrieben.

Das hat viele Gründe.

  • Da gibt es die Mutter, die ihre Tochter, die zwei Tage vor der Abiprüfung, in ein tiefes Stimmungloch gefallen mit Verzweiflung und Apathie gefallen ist, in die Notaufnahme fährt und auf den Arzt einredet und auf Medikamente für die Tochter besteht.
  • Da sind die Leute, die sich nicht mit sich selbst beschäftigen wollen und lieber eine Pille verlangen, die "es wegmachen soll".
  • Da fehlen die Kompetenzen, mit Traurigkeit und belastenden Situationen umgehen zu können und deshalb soll Chemie das regeln, was man selber nie gelernt hat.
  • Da sind all die jenigen, denen es wichtiger ist, zu funktionieren im Getriebe, als dem zu folgen, was ihrem Körper und ihrer Seele gut tut.
  • Schließlich all diejenigen, die die Tiefpunkte des Lebens nur als Störfaktoren, anstatt als zum Leben zugehörig verurteilen:
    Der Freund, die Freundin verlässt einem, die Ehe geht in die Brüche, Streit im Büro, jemand stirbt ... alles belastende, auch tiefgreifende Ereignisse - alles kein Grund für Antidepressiva. Diese Dinge gehören zur Normalität eines jeden Lebens. 
Achten Sie, wie Sie auf den letzten Satz reagieren! Denn das alles sind wirklich existentielle Probleme und die sind genau auf dieser Ebene zu bewältigen. Nicht auf der Chemischen.

Die falsche Denkweise führt in die Irre

Wer mit Trauer, Verzweiflung oder Frustration nicht gelernt hat, umzugehen, fällt leicht auf den billigen Ausweg herein, Medikamente als Konsumgut gegen unerwünschte Gefühle einzuwerfen. Stark macht einem eine solche Strategie nicht, wahrscheinlich eher abhängig.

Die Verführung zu Medikamenten ist systemverursacht

Es gibt genug Heilwege, aber die meisten werden vom Gesundheitssystem ignoriert. Es beschränkt sich bewusst auf nur wenige. Zur Entspannung zählen z.B. Autogenes Training, Progressive Relaxation, Yoga, Tai Chi, Qigong. Atemarbeit, Hypnose, Meditation etc. aber nicht. Begründung? Keine.
Auch muss der Durchführende zu bestimmten Berufgruppen gehören. Ein fachgerechter Yogakurs durch einen Lehrer mit 2o Jahren Yoga-Erfahrung, der von Beruf her allerdings Mechaniker ist, zählt nie und nimmer. Der selbe Kurs, ohne die geringste Änderung, von einem Sportlehrer mit zwei Jahren Erfahrung dagegen schon. Es ist nämlich zweitrangig für die Zertifizierung, ob er das, was er anbietet auch beherrscht. Wichtiger ist die formale Berufszugehörigkeit.

Es ist das Bestreben der im Heilwesen angesiedelten Lobbygruppen, für die eigene Berufsgruppe möglichst viel rechtliche Vorteile herauszuschlagen - auf Kosten anderer Berufsgruppen. Für die Menschen schränkt dies die tatsächliche vorhandenen Möglichkeiten ein. Damit gibt es oft zu wenig Therapieplätze. Irgendwie muss man aber die Patienten über die Runden kriegen. Also verschreibt man Medikamente.

Und nun?

Es wird weitergehen mit den Verschreibungen. Denn auch hier gilt: The show must go on. Das deutsche Gesundheitswesen ist keine solidarische Leistung, sondern die Krankenkassen betreiben ein Geschäft. Daran wird sich nichts ändern, viele Versicherte glauben den Lobbyisten, dass es um Solidarität geht. Statt dessen ist es nur eine gemeinsame Finanzierung eines bestimmten Wirtschaftssektors durch Abzüge am Gehaltszettel.
Nicht, dass ich dies verurteile, aber zu meinen, es ginge um zwischenmenschliche Solidarität in ihrem Bedeutungssinne, ist naiv.

Es wird weiter an Schräubchen herumgedreht, aber fundamental wird sich nichts ändern. Die Ausgaben werden steigen wie bisher auch, anschließend werden weitere Leistungen aus Spargründen gestrichen oder verzögert. Statt mehr zuzulassen, wird der Lobbyismus weiter versuchen, die eigene Berufsgruppe auf Kosten der anderen als Torwächter des Flaschenhalses zu positionieren, der zu den Gesundheitsleistungen führt.

Genau so wird es weiter gehen. Wenn das nicht Depression verursacht ....

2 Kommentare :

  1. Hey,
    da muss ich dir vollkommen zustehen. Soldarität im zwischenmenschlichen ist wirklich etwas ganz anderes. Der Post ist toll gelungen, regt zum nachdenken und wachrütteln an. (Bei mir musste das nicht mehr ich hab im Gesundheitswesen gearbeitet und habe selber Depressionen und die ganze Bandbreite da erfahren;-) )
    Ich musste an ein paar Stellen echt schmunzeln, danke dafür. Manchmal ist schwarzer Humor einfach viel besser, als gar nichts zu lachen!
    Lg Krankeschwester
    www.hinfallenundaufstehen.blogspot.de

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