23. Mai 2020

Cholera und Corona

Was lernen wir aus der Geschichte für unsere Corona-Situation. "Der Volksverpetzer" meint, wir haben schon etwas gelernt. Ich bin skeptisch.

Der Volksverpetzer hat ein sehr treffendes Zitat von Chronisten der Stadt Stettin ausgegraben, als diese von der Cholera 1831 heimgesucht wurde:


"die aufgeregte Menge stand, von einigen Unruhestiftern irregeleitet, in dem Wahn, dass man die Cholera und die Sicherungs-Maßregeln nur gebrauche, um den gemeinen Pöbel auszurotten"


Anschliessend führt der Autor Parallelen zu den Verschwörungstheorien rund um Chorona an, so dass der Leser sagen würde, die Geschichte wiederholt sich. Viele Dinge erscheinen uns bekannt:
  • Leichen, die ohne üblichen Beerdigungsritus begraben (das Wort hier ist "verscharrt") werden
  • das Herunterfahren von Wirtschaftsbetrieben und des Verkehrswesens
  • die Interpretation dieses Geschehens als Beherrschungsinstrument der Mächtigen
  • die Neigung, sich mit Gewalt zu widersetzen
  • selbsternannte Führer, die daraus Kapital schlagen
  • Wut gegenüber dem medizinischen Fachmann
All diese Punkte findet man, so Der Volksverpetzer, heute. Damals wurde die Sache mit militärischer Präsenz befriedet. Und genau das aber ist für den Autor der Grund, dass Geschichte sich nicht wiederholt:

Das sind nicht wir. Und das werden wir auch nicht sein. Das einzige, was uns diese Geschichte lehrt, ist, wie Dinge laufen können und schon einmal abgelaufen sind. Wir können und müssen daraus lernen, genauso, wie wir aus den Erfahrungen, die die Italiener*innen ein paar Wochen vor uns machten, lernten.


Ich stimme zu, dass es danach hier nicht aussieht. Aber das heisst nicht, dass sich Geschichte nicht wiederholt. In China ging und geht es ganz anders zu. Dort rollen zwar keine Panzer mehr auf dem Platz des himmlischen Friedens, aber vielleicht auch nur deshalb, weil der Gefahr, die die Pandemie für die Regierung darstellt, nur mit Manipulation der Infos beizubekommen ist.

Klar, auch China hat einen politischen Kurzswechsel vollzogen, aber ohne von seiner politischen Gewalt abzurücken, wie es die jüngsten Entwicklungen um Hongkong zeigen.


"Die Geschichte lehrt die Menschen, daß die Geschichte die Menschen nichts lehrt."



Das sagte Mahatma Gandhi. Und aus psychologischer Sicht gibt es dafür einen Grund:

Menschen lernen weniger aus Belehrungen - und geschichtliche Ereignisse sind uns ausschliesslich in solchen vermittelbar - sondern aus eigenen Erfahrungen. Die Leiden und Lehren, die unsere Vorfahren unter Schmerzen lernten und sich mahnend erinnerten, werden vergessen und aktuelle Wünsche, Bedürfnisse und Bestrebungen bestimmen unser Heute wesentlich mehr.

Meistens gehen wir unbewusst davon aus, dass, je mehr man weiß und je besser man es den Leuten erklärt, desto mehr richten sie ihr Verhalten nach den gewonnenen Einsichten aus.

Spoileralarm aus der Psychologie: Dem ist überwiegend nicht so. Wir wählen bevorzugt jene Infos aus, die zu den von uns schon gewählten Informationen passen. Wir bevorzugen ein konsistentes Weltbild.

Beispiel
In der Therapie habe ich Menschen erlebt, die ihr Weltbild aufgrund äusserer Umstände verloren hatten und es hat ihnen buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen. Was bedeutet es, wenn alles schwankt, alles nur als Irrtum erscheint und man sein Leben auf einem Trugbild aufgebaut hat?

Nein, wir vermeiden logischerweise solchen Stress. Wir wollen und brauchen einen verlässlichen Grund, auf dem wir stehen können.

Auch können wir Informationen nur begrenzt aufnehmen. So wählen wir, wenn wir historische Zusammenhänge sehen, immer nur einen kleinen Ausschnitt. Kultur- und epochenübergreifende Analysen liegen uns nicht, weil wir keine persönliche Vorstellung in unserer Psyche davon haben. Je grösser der gewählte Ausschnitt, desto abstrakter und desto emotional ferner zeigt es sich uns.

Entsprechend wenig Resonanz rufen die Dinge in uns wach. Je weniger wir von etwas berührt oder inspiriert sind, desto näher liegt uns die Reaktion eines Schulterzuckens.

Nicht umsonst hat sich die Psychologie die Aufgabe gestellt, menschliches Erleben und Verhalten zu beschreiben, zu erklären und vorherzusagen. Letzteres wäre gar nicht möglich, wenn die Muster eine zu grosse Varianz aufweisen würden. Geschichte wiederholt sich doch. Sie verändert "nur" Nuancen.

Quellen:

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