Ein Beispiel für: Manipulation kann überall stattfinden. Auch in der Therapie.
Die Frage, wie es so weit kommen kann, stellt sich immer hinterher und für die Betroffenen ist sie in der Regel sehr schambesetzt. Auch wenn jeder subjetiv denkt, mir kann so etwas nicht passieren, so entbehrt diese Einschätzung meist (zum Glück) einem Realitätscheck. Tatsächlich ist es so, dass jeder / jede, die ein "normales Gehirn" besitzt, manipuliert werden kann. In den letzten Posts hier und hier sind die Basisstrukturen, unter denen Manipulation abläuft, beschrieben worden.
Und im Einzelfall wie in diesem kann Manipulation sehr weit gehen. Manipulation zum sexuellen Missbrauch ist in der Therapie nicht sooo selten (siehe: Studie 2017) und betrifft alle Fachrichtungen (siehe: Schleuer, A.):
"In der dritten Stunde fing der Therapeut an, Kässner zu duzen. Später
nahm er sie in den Arm und streichelte sie, er rief zum Namenstag bei
ihr an, um zu gratulieren. Und es wurde noch schlimmer: Er küsste sie
und fasste ihr mit der Hand in die Hose, in den Schritt. Das sei Teil
der Therapie, sagte er, sie müsse lernen, sich zu öffnen" (Zitat Zeit)
Was in der Therapieseitzung hinzukommt, ist, dass man als Therapeut in der Regel Menschen gegenüber sitzt, die angeschlagen, psychisch verwundet und verletzt sind. Was bedeutet, dass ihre psychische Schutzfähigkeit wie bei einer körperlichen Verletzung beeinträchtigt sein kann und häufig auch ist. Legt man diese Sichtweise an den Tag, so ist Therapie eine Arbeitsbeziehung mit Asymmetrie.
Das bedeutet nicht, dass man als Therapeut seinem Gegenüber nicht auf Augenhöhe begegnen kann, aber wie bei einem Arzt wird man ja meinst von irgendwie durch Leiden beeinträchtigten Menschen konsultiert, weil man dafür Fachmann / Fachfrau ist und Leute vom Fach haben von Naur aus keine symmetrische Beziehung zu Menschen, die eben keine Fachleute sind.
Wenn meine Kfz-Werkstatt sagt, die Lenkstange muss ausgetauscht werden, dann glaube ich denen das. Denn ich bin nicht vom Fach. Wäre ich das, würde ich das Auto selber reparieren.
Klar kann ich eine zweite Meinung einholen. Nichts dagegen zu sagen. Die Eigenheit mit unserer Psyche ist nur: Es gibt hier keine eindeutigen Messwerte für "Heilung" und Gesundheit.
Eine Pläuelstange können Sie austauschen und nachmessen, ob sie was taugt. Bei Problemen in der Partnerschaft oder auf der Arbeit können Sie nicht einfach die Beteiligten auswechseln. Bei einer Depression nicht einfach Ihre Psyche gegen eine andere eintauschen. Die belastenden Gefühle und Gedanken können Sie nicht einfach auswechseln. Und messen, wieviel Grad es jetzt besser geworden ist, schon gar nicht.
Alles was sie haben, ist subjektive Befindlichkeit. Und die ist genau das: subjektiv.
Dazu kommt, dass therapeutische Arbeitsbeziehungen (in manchen therapeutischen Richtungen) eng werden können. Ist doch Therapie ein Raum, der aus fachlichen Gründen verurteilungsfrei und auch empörungsfrei existiert, sonst ist es nicht möglich, den Klienten zu helfen. Das bedeutet aber auch, dass für Klienten dies als emotionale Nähe "rüberkommen" kann, obwohl es eine berufliche Attitüde ist. Das ist nicht abstellbar, es ist auch kein Problem, so lange der Therapeut weiss, wo er steht.
Was nicht bedeutet, dass der Therpeut keine Ethik ins Spiel bringen kann. In der psychologischen Fachrichtung, mit der ich arbeite, ist man überzeugt, dass ein gutes Leben ohne Ethik nicht zu haben ist. Bestimmte Dinge zu tun, schädigt (einem selbst), genau wie andere Verhaltensweisen und Lebenseinstellungen eben auch ein Lebensgewinn sind. Wobei auch das nicht messbar ist, sondern eher philosophisch begründet ist.
Zum Beispiel halte ich eine Ethik, die nicht sagt "Brot für die Welt, mir die Torte und was klümmerts mich, wenn mein Nachbar absäuft" hilfreicher für ein gelungenes Leben. Empirisch messen und nachweisen kann ich das nicht. Ich kann diese Einstellung philosophisch begründen.
Eine solche Philosophie führt zu einer Haltung und in dieser trete ich meinen Klienten gegenüber. Dadurch erzeugt sie Wirkung, sowohl auf den KLienten als auch auf die Art, wie ich arbeite. Indem sie auch Empfehlungen für Klienten bereit hält. Empfehlungen, Ratschläge habe also durchaus etwas in der Kommunikation mit Klienten / Patienten verloren, aber das ist etwas anderes als Empörung und Verurteilung.
Die Arbeit unterscheidet sich von Manipulation
in wesentlichen Punkten:
- Sie steht im Dienste des Klienten und verlässt die therpeutische Praxis nicht. Sie betreibt keine Nebengeschäfte wie Hausverkauf, Haushaltsdienste etc. wie bei der Therapeutin im obigen Beispiel
- Jede Intervention steht unter der Überschrift "Vorschlag" / "Angebot" / "Ausprobieren" und Überprüfen, wie die Wirkung ist (das ist eine der Eigenheiten der systemischen Therapie: Vieles ist möglich, nichts muss sein). Entsprechen hat der Klient / Patient immer seine Entscheidungshoheit
- Körperliche Berühungen (mag ich persönlich im Beruflichen nicht, aber das ist meine Eigenheit) beschränken sich darauf, manchmal ein Taschentuch rüber zu reichen. Mehr ist wirklich nicht nötig.
Der Artikel über die Therpeutin als (sexueller) Täter
ist insofern gut, weil er gleich zweimal ein Tabu bricht:
- Das Tabu, dass man über Missbrauch in der Therpie durch Therapeuten und Ärzte nicht spricht und damit der Manipulation ihren Fortbestand sichert (s. Ärzteblatt)
- Das Tabu, dass Frauen in der öffentlichen Meinung so etwas nicht tun. Tatsächlich hat Manipulation kein gender.
Verwendete Quellen:
- Artikel "Die Therapeutin als Täter"
- Zitat Zeit
- Schleu A: Wenn Psychotherapien entglitten sind … Über den professionellen Umgang mit Verwicklungen und Grenzüberschreitungen. In: Schleu A, Schreiber-Willnow K und Wöller W (Hg.): Verwickeln und Entwickeln – Ethische Fragen in der Psychotherapie. Bad Homburg: VAS 2014; 39–58.
- Studie 2017: Löwer-Hirsch M: Sexueller Missbrauch in der Psychotherapie. Fallgeschichten und Psychodynamik. Gießen: Psychosozial 2017
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