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15. Februar 2014

Von sozialen Menschen, denen Hilflose egal sind

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helpless_01_090625 (Photo credit: Snutschi)
Eine alte Frau im Pflegeheim sitzt auf der Toilette. Zwei Minuten später knallt auf den Boden: Zum Glück nichts gebrochen, aber blaue Flecken, eine Beule am Kopf, vom Sturz ziemlich benommen und mit Schmerzen. So wird sie der Pfleger später finden.
Dass sie Gleichgewichtsstörungen hat, hatte sie vorher angekündigt. Interessiert hat das niemand so richtig. 

Was schockierend ist: Die Beschäftigten sind im Nachhinein der Meinung, da soll man gar nicht eingreifen!


Eine wahre Geschichte

Erzählt wurde mir die Geschichte von der alten Dame in einer sozialen Einrichtung. Die, die gestürzt war, war die alte Mutter einer Bekannten einer Angestellten. Was mich insgemein schockierte, war die Reaktion der Zuhörer: So sei es halt, da könne man nichts machen.

Ich kenne Pflegeheime. Ich weiß, dass der Personalschüssel weit vom Optimum entfernt ist. Ich weiss aber auch, was gefährliche Pflege heißt. Nur zur Info: Es ist ein Fachbegriff aus einem Klassifikationsmodell zur Qualitätsbewertung von Pflege.

Gefährliche Pflege zeichnet sich dadurch aus, dass die pflegebedürftige Person Schaden erleidet, ..., dass sie keine oder falsche Maßnahmen oder Hilfsmittel erhält, dass sie empfindet, das Pflegepersonal interessiere sich nicht für sie, dass der Tagesablauf eher an den Bedürfnissen der Institution orientiert ist (krankenhausorientiert) und dass der Informationsfluss unorganisiert und mangelhaft ist.
Nachzulesen bei pflegewiki, wenn es jemand interessiert. Ehrlich gesagt, wenn Pflegekräfte meine Angehörige so vernachlässigen würden, dass schwere Verletzungen in Kauf genommen werden - egal, was sie als Gründe anführen würden, ich würde den Anwalt anrufen. Menschen zu gefährden, ist keine Kleinigkeit. Deshalb heißt es ja gefährliche Pflege.

Die Beschäftigten in der sozialen Einrichtung, in der die Geschichte erzählt wurde, sahen das anders. 

Den Beschäftigten in der sozialen Einrichtung interessierte es jedenfalls nicht. Mir schlug geballter Widerstand entgegen:

  • Hier solle man am Besten gar nichts machen, schon gar nicht gegen den, der als Pfleger seine Pflicht vernachlässigt habe, denn der könnte ja seinen Arbeitsplatz verlieren. 
  • Zweitens: Außerdem sei das gar keine gefährliche Pflege.
  • Und das dritte Argument: Wenn man denjenigen zur Rede stelle, würde er sich womöglich an der alten Frau rächen. Also lieber nichts machen und schweigend zusehen.

Was für eine Einstellung in einer sozialen Einrichtung! Wer zum Teufel stellt dort solche Leute ein?

Es gibt Situationen, da muss man Position ergreifen. 

Ich habe den bösen Verdacht, dass es gar nicht darum geht, dass man den Schutz des Arbeitsplatzes eines Pflegers wichtiger nimmt, als die körperliche Unversehrtheit eines Pflegebedürftigen. Das allein wäre schon widerwärtig.
Nein, es schleicht sich der Verdacht ein, die Sorge um den Pfleger ist womöglich nur ein Vorwand. In Wirklichkeit will man selber keine Scherereien. Für manche sind die Worte "Verständnis" und "da muss man miteinander reden" nichts weiter als eine Selbsterlaubnis zum Wegschauen und Nichtstun. Nicht alte Leute sollen gepflegt werden, sondern die eigene Bequemlichkeit.

Wie´s weiter geht?

Ich weiß natürlich, dass Menschen in sozialen Einrichtungen nicht hilfsbereiter sind als der Durchschnitt der Gesellschaft. Ich weiß aber auch, dass deren Marketing genau diese Hilfsbereitschaft promotet:
"Wir sind sozial! Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt!"
In Wirklichkeit  ... falls solche Leute wie in dieser Einrichtung typisch für die Deutschen sein sollten, dann "Gute Nacht".

Übrigens: die alte Dame ist nach ein paar Wochen wieder von der Toilette gestürzt. Man hat es mir später erzählt. Die entsprechenden Angestellten waren inzwischen etwas schweigsamer geworden mit ihrer komischen Einstellung. Ihre Blicke waren jedenfalls irgendwie komisch, als sie mich wieder bemerkten. Ob da eine geistige Entwicklung stattfand? Oder nur die Sorge, dass man sie an ihrer Meinung messen würde?

Ich fragte mich, wie oft eine alte Frau noch auf den Boden aufschlagen muss, bevor solche Leute wieder zum gesunden Menschenverstand zurückkehren.
Angeblich soll jetzt etwas unternommen werden.

Vielleicht sollte die alte Frau gleich beim ersten Sturz mit dem Auge noch an einem Nagel hängen bleiben! Vielleicht würden sich die Leute dann schneller bewegen. Was läuft da nur schief? Diese sozialen Einrichtung sind doch immer dabei, wenn es gilt, Moral und Ethik einzufordern. 

Leider gibt es gegen Empathieunfähigkeit keine Pillen. Auch Hypnose hilft da nicht. Schade.

related articles:

  • hier über gefährliche Pflege nachzulesen
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1 Kommentar:

  1. Anonym16.2.14

    Sehr geehrter Herr Maier, ich habe mit meinen beiden Schwestern zusammen mehre Jahre lang zuerst unsere erkrankte Mutter und später dann unseren unheilbar erkrankten Vater gepflegt, jeweils dann, als beide medizinisch austherapiert waren. Wir konnten dies zuhause tun, weil eine von uns damals nicht berufstätig war und wir uns nicht ganz ungeschickt angestellt haben. Jedenfalls bekamen wir von unserem Hausarzt viel Lob und jederzeit eine sehr gute Unterstützung darin. Er war damals ein noch junger, sehr engagierter Arzt, der in solchen Fällen regelmäßige Hausbesuche machte. Und unsere beiden Eltern wollten in keine Pflegeeinrichtung. – Aber man muss schon zugeben, dass wir zuletzt in beiden Fällen an unsere Grenzen gerieten. Denn jeden Tag kam etwas Neues an Herausforderung hinzu. Der Patient brauchte immer intensivere Pflege, versuchte z.B. nachts halluzinierend sein Bett zu verlassen, obwohl seine körperlichen Kräfte dafür nicht mehr ausreichten usw. Ich frage mich seitdem oft: Wie kann der in den Pflegeheimen übliche Betreuungsschlüssel ausreichen, um eine menschenwürdige Pflege zu gewährleisten? Machen wir uns da nicht vielleicht alle etwas vor? Hilft es in dieser Situation, auf die Pflegekräfte zu schimpfen oder ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen? Ihre Arbeit wird nicht besonders üppig bezahlt, und sie tragen in ihren Einrichtungen m. E. einen Löwenanteil der gesellschaftlich verantworteten, in die Schattenbereiche des Nichtwissens oder –wollens verdrängten sozialen Herausforderungen. Wer schon selber einmal gepflegt hat, den bitte ich um eine Meinungsäußerung dazu. Mit freundlichen Grüßen, U.F.

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