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22. Februar 2014

Hoffnung - wie religiöse Konzepte furchtbare Wirkungen nach sich ziehen

Eine Fünfjährige hat sich erhängt. Sie tat es, weil sie ihren verstorbenen Vater wiedersehen wollte.
Dieser Fall zeigt, was religiöse Konzepte in ihrer Naivität anrichten können. Es beschäftigt mich wahrscheinlich auch deshalb länger, weil ich auf Erfahrung zurückgreifen kann.
Hier der Fall:


Ich habe überhaupt nichts gegen Religion. Ich habe schließlich Theologie studiert. Was nicht bedeutet, dass ich alles gutheiße, was dort gesagt wird; was aber auch nicht heißt, dass ich alles als Schwachsinn betitele, was nach Religion aussieht.

Es bedeutet, dass ich durch ein wissenschaftliches Studium ziemlich viel über das Thema "Religion" erfahren habe, in der Regel ist das mehr, als der Durchschnitt der Befürworter oder der Gegner es jemals hatte. Und zusätzlich kenne ich manche religiöse Organisationen aus einem inneren Bereich heraus, zu den selbst "normale" Gläubige keinen Zutritt haben.

Mein eigentlicher Punkt ist folgender

Allegory of hope; Oil on canvas, Francesco Gua...
Allegory of hope; Oil on canvas, Francesco Guardi, 1747 (Photo credit: Wikipedia)
Religion impliziert immer irgendwelche Hoffnungsbilder. Immer! Hoffnungsbilder waren und sind deshalb in schwierigen Situationen attraktiv. Die wenigsten Menschen, die in Saus und Braus leben, haben einen regelmäßigen und aufrichtigen Zugang zu dem, von was Religion spricht. "Die Not lehrt beten", sagt der Volksmund und obgleich ich das für zynisch halte, meint es doch etwas Wahres: Wenn wir in Gefahr sind zu ertrinken, greifen wir nach jedem Strohhalm.

Das ist nichts Abnormales, das ist eine natürliche Reaktion. Es bedeutet aber nur eines: Derjenige, der Trost, Sinn oder sonst etwas für Menschen in Not anbietet, ist verantwortlich für sein "Produkt". Er ist verantwortlich, ob es dem Ertrinkenden hilft oder dessen Lage verschlimmert.

Da war einmal ein kleiner Junge. Im Vorschulalter.

Das Schicksal hatte ihm etwas zugedacht, was eigentlich keinem kleinen Jungen passieren sollte: Auf einer Autofahrt verunglückte sein Vater tödlich.

Jetzt haben schon wir als Erwachsene, wenn der Mensch, den wir lieben, ums Leben kommt, gravierende Probleme. Zu Recht. Um wie viel mehr aber dann so ein kleiner Bursche mit viereinhalb Jahren.

Die Familie war christlich und die Mutter (und jetzt Witwe) versuchte in ihrer auseinanderbrechenden Welt wenigstens für den Kleinen Trost zu finden. So, wie es jedes Elternteil versuchen würde. Zusammen mit dem örtlichen Pfarrer rezidierte sie die eine Antwort, die oft in solchen Fällen verwendet wird:

"Dein Papa ist jetzt bei Gott"
Worauf der Kleine verzweifelt antwortete: "Warum lässt der ihn nicht aus?????!!!!!!!"

Niemand, weder Pfarrer noch Mutter, wussten eine Antwort darauf. So kommts, wenn man anstatt einer Antwort aus der eigenen Erfahrung vorgegebene Sätze wiederholt.

Gott ist kein Trost 

Gott ins Spiel zu bringen macht um so mehr Sinn, je mehr dieses Wort für Sprecher und Adressaten vor dem schlimmen Ereignis eine Heimat darstellt.

Eines der Probleme von religiösen Menschen ist, dass sie voraussetzen, ihr Gottesbild ist das Gute und Normale, das für jeden anderen auch gut und normal ist.
Das ist ein Trugschluss. In Wahrheit haben nicht einmal Gläubige mit ein und dem selben Glaubensbekenntnis das selbe Gottesbild.

Zudem haben religiösen Erwachsene eher eine abstrakte Gottesvorstellung. Für die Kommunikation ist das sinnvoll, denn so kann jeder sich unter "Gott" etwas anderes vorstellen und man muss sich nicht wie früher gegenseitig auf den Scheiterhaufen schicken. Aber ein abstrakter Gott ist jenseits der Welt eines Viereinhalbjährigen. In dem Entwicklungsstadium ist "Papa ist bei Gott" genau so ominös wie "Papa ist bei den Tzuhutil."(ein sehr altes Mayavolk).
Beides liegt außerhalb der konkreten erfahrbaren Welt und Vorstellung eines kleinen Kindes. Dinge, die aber nichts mit uns zu tun haben, können keinen Trost spenden.

Antworten auf Fragen, die nicht gestellt wurden 

In diesem Fall kam noch erschwerend hinzu, dass es für den kleinen Jungen überhaupt nicht um Gott ging. Der Tod - und mit viereinhalb hat man noch keine richtige Vorstellung, was das sein soll - ist das, was Papa jetzt ist. Aber was ist das bitte konkret? Das einzige, was ich erfahre, ist, dass Papa weg ist. Warum kommt er nicht wieder?

Diese Erfahrung bedeutet eine Erschütterung der ganzen Welt. Da ist es egal, ob Papa jetzt bei Gott oder bei Rübezahl ist. Das Problem ist nicht, dass es Papa dort, wo er ist, anscheinend gut geht. Das Problem ist, dass er von mir weg ist. Es geht um Verlust, Verzweiflung, Angst, Trauer, Schmerz.

Gott als denjenigen vorzustellen, bei dem sich Papa jetzt aufhält, war demnach eine Antwort auf eine Frage, die gar nicht gestellt wurde. (Antworten auf Fragen zu geben, die nicht gestellt wurden ist übrigens etwas, was Theologen und Religionsvertretern häufig nachgesagt wird.)

Theologisch jedenfalls hat "Gott als Trost" nie so richtig funktioniert. Die nicht zu lösende Theodizeefrage ist der Beweis dafür. Man hat sich das Problem selber eingehandelt, indem man den biblischen Gott mit dem ergänzt hat, was griechische Philosophie zu bieten hatte, aber das nur nebenbei.

Auf einen Gott zu rekurrieren, der irgendwo posthum die Leute einsammelt und dass es damit schon gut sei, ist nur ein Aufguss einer Vertröstungsideologie aus der Vergangenheit. Im Mittelalter war ein solches Denken möglich, denn dort gab es einen gemeinsamen Denkhorizont und noch keine Entwicklungspsychologie.


Eines habe ich festgestellt: Es gibt einen Königsweg, fromme Menschen, offizielle Religionsvertreter und andere funktionelle Religiöse zum Schweigen oder zu beleidigten Reaktionen zu bringen.
Wann immer sie einem fragen, wie es mit dem oder jenen religiösem Thema denn nun bestellt sei, gebe man ihnen die Antwort: "Das musst du für dein Leben selber herausfinden. Fang an zu denken, forsche selbst nach, bring es in deine Gebetspraxis, meditiere etc., aber verlass dich nicht auf andere. Such keine Antwort bei anderen, sondern deine religiöse Praxis wird dir die Antwort zeigen."

Die meisten sehr Frommen ziehen sich kopfschüttelnd und mit deutlichem Schmollgesicht zurück. Sie wollen nicht, dass sie es selber herausfinden sollen. Sie wollen, dass man ihnen sagt, was sie tun und denken sollen.

Das liegt nicht immer an den Leuten selbst. Die meisten hier sind ein Religionssystem gewohnt, in dem, in welcher Form auch immer, Befehl und Gehorsam eine Rolle spielen. Eigenständige Erfahrung und die Anleitung dazu, fristen in den verfassten monotheistischen Religionen eher ein Nischendasein.

Je mehr nachgeredet wird, desto weniger wird gesagt

Dass ein kleiner Junge, dem sein Vater fehlt, mit einem Gott, bei dem sein Vater nun sein soll, nichts anfangen kann, war in dem vorhandenen Glaubenssystem der beteiligten Erwachsenen nicht eingeplant. Weil sie die Lebenswelt einen Viereinhalbjährigen nicht kannten.

Sie hatten gelernt, hinter dem Tod etwas Abstraktes anzunehmen, so dass sie sagen konnten, der Tod ist nicht das Ende. Nur leider haben solche abstrakten Vorstellungen keinen Rückhalt in der Erfahrung. Im Gegensatz zum Tod. Der ist deutlich erfahrbar in seiner Endgültigkeit. Demzufolge stand jetzt eine abstrakte religiöse Glaubensvorstellung gegen das konkrete erfahrene und gefühlte Leben des Kindes. Und wie immer: das Leben ist stärker.


Das Problem solcher naiv religiöser Vorstellungen ist, dass sie zu wenig geistige Kompetenz haben, die Realität als echt zu akzeptieren. Statt dessen wird versucht, die Realität umzudeuten. Das hat aber zur Folge, dass, anstatt, dass der Glaube hilft, im realen Leben besser zu Recht zu kommen, er eher als Tranquilizer dient.


In meinen Augen ist das eine geistige Fehlentwicklung. Abgesehen davon: wenn ich einen Tranquilizer brauche, dann gibt es gute Medikamente für so etwas. Eine Religion, deren Funktion durch Benzodiazepine, Betablocker oder andere Substanzen ersetzt werden kann, ist nichts Wert.

Der einzig Normale in diesem Fall ...

... das war der kleine Junge. Kinder sind oft die einzig Normalen. Es sind wir Erwachsenen, die das Problem darstellen. Was wir brauchen, sind Menschen, die die Situation sehen, nicht Leute, die Konzepte nachbeten.

Das ist alles andere als leicht. Denn es setzt voraus, dass man sich die Last der Entscheidung auf die eigene Schulter lädt. Und niemand ist ein griechischer Gott namens Atlas, der das Weltgebäude stützt.
Doch kennzeichnet eine echte Spiritualität, dass sie keinen jenseitigen Trost einer abstrakten Welt benützt, weil sie Trauer, Einsamkeit etc. anders leben kann. Sie haben nicht den Geschmack der Katastrophe wie es für andere erscheint.

So seltsam es klingen mag, aber ich kenne Menschen, die führten eine Beziehung in einer Liebe, die nicht auf Hoffnung setzte, sondern die sich auf die Gegenwart konzentrierte. Als dann der Tod in ihr Leben trat, fielen sie nicht in die Trostlosigkeit.
Es ist dieses Leben im Gegenwärtigen, das gegen einen solchen Verlust hilft. Es sind nicht Versprechungen. Wenn die Erwachsenen das gewusst hätten, könnte auch das kleine Mädchen zu anfangs noch leben.

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