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16. November 2021

Covidiot - eine Neu-Definition aus der Erfahrung der Pandemie

Viele sagen, man darf nicht alle, die gegen Corona-Massnahmen sind, über einen Kamm scheren. Richtig! Es sind nämlich auch Nazis darunter. Dieser etwas zynischer Witz verdeutlich jedenfalls den tiefen Graben, der sich durch die Gesellschaftsschichten geht. Manche reden von Spaltung der Gesellschaft. Ich vermute, der Graben ist ein anderer: Er existiert zwischen Emotionalisten und Rationalisten.

Was ist ein Emotionalist? Die Antwort, die die Pandemie gibt, würde sie sprechen können, könnte sein:

  • Jemand, der glaubt, dass ein Löffel auf der Haut klebt, weil vorher gegen Corona geimpft wurde
  • Jemand, der Posts in den (un)sozialen Medien ohne Überprüfung für Wahrheitsverkünder hält.
  • Jemand, der sich gegen Staatgehorsam aussprich, aber russische Staatssender für freiheitsliebend und unzensiert hält.
  • Jemand, der genau weiß, wie Corona funktioniert, obwohl er Schwierigkeiten hat, Bakterien und Viren unter dem Mikroskop zu unterscheiden.
  • Jemand, der sich für schlauer als Drosten hält oder schlauer als andere Wissenschaftler auf ihrem Forschungsgebiet, aber eine internationale Studie im Orginal nicht lesen kann, weil er die ganzen Fachausdrücke dort nicht versteht.
  • Jemand, der schon mal Mikroskop und Horoskop verwechselt.
  • Jemand, der blitzschnell den Anlass wechsel kann, warum er jetzt empört und beleidigt ist: Islam, Corona, Klimawandel, Ausländer, Flüchtlinge, bestimmte Parteien, Politik, Medien, Anti-Aging-Produkte aus Kinderblut ...
  • Jemand, der gerne aggressiv auftritt und gerne schreit.
  • Jemand, der gerne dort ist, wo aggressive und laut schreiende Menschen auftreten
  • Jemand, der gerne andere in den (un)sozialen Medien beleidigt, schmäht oder Morddrohungen - für weibliche Wesen auch Vergewaltigungswünsche - schickt.
  • Jemand, der generell eine hohe Meinung von sich hat, aber im Alltag wenig Leute trifft, die das selbe denken.
  • Jemand, der unseriöse Quellen zitiert oder diese nicht von seriösen Quellen unterscheiden kann

Was all diese "netten alternativen Fakten" gemeinsam haben: sie kommen ohne rationale Überprüfung aus und beinhalten statt dessen emotionale Empörung. Emotionen als Wahrheitsmessgerät für objektive Wahrheit zu behaupten, ist der grundlegende Unterschied zum Rationalisten.

Der Emotionalist der Pandemie ist zugleich jemand, der alleine ist, egal ob er in Beziehung lebt oder nicht. Er / sie sieht die Welt nämlich als feindlich und die Menschen als etwas, dem die Botschaft von der Wahrheit verkünden muss. Dem Emotionalisten in der Pandemie ist etwas Missionarisches zu eigen. Er / sie hat Sendungsbewusstsein und als Steigerung die Einstellung, dass alle, die nicht der eigenen Meinung sind, eher zur niedrigeren Entwicklungsstufe der Menschheit gehören. Man selber zählt sich zu den kritischen Denkern und das wiederum hebt den Emotionalisten heraus aus der "blökenden Masse".  Kurzum: Der Emotionalist ist ein emotionaler Pandemiegewinner. Dass so ein die Menschen einteilendes Denken ein Merkmal der Literatur des 19. Jahrhunderts war, ist ihm entgangen.

Was vereint einen Covidioten mit all den anderen, die auch gegen Corona-Massnahmen demonstrieren?

Ein Covidiot wünscht sich, dass man nicht alle über einen Kamm schert, dass es aber dabei auf den Kamm darauf ankommt, sieht er oder sie nicht. Denn was alle, die auf den Corona -Demos marschieren, eint, ist: Sie verstehen allesamt nichts von Wirtschaft.

Wer keine wirtschaftlichen Zusammenhänge analysieren kann, wer nicht weiss, wie ökonomische Transaktionen verlaufen und unter welchen Abläufen und "Gesetzen" wirtschaftliche Systeme funktionieren, nur der kann ein offenes Ohr für  Gerüchte wie "Bill Gates hat das Virus in die Welt gesetzt und will uns alle chippen" oder die Regierung oder die Eliten wollen alles runterfahren, um herrschen zu können, haben. Wie jemand herrschen will, wenn da nichts mehr ist, weil alles runtergefahren wurde, das ist aber eine Frage, die man selbst ohne wirtschaftlichen Sachverstand stellen könnte.

Die Ausrede "ich frage ja nur, wer von so einer Plandemie profitiert" gilt nicht. Denn tatsächlich ist  ziemlich klar, wer profitiert. Dazu lese man einfach die Börsenkurse: Wer hat in oder durch die Pandemie Zuwachsraten, manche Firma sogar im dreistelligen Bereich? Spoileralarm: Bill Gates ist nicht darunter. Jeff Bezos schon eher. Warum also soll Gates der Verursacher sein und nicht Bezos? Warum nicht die Cloud-Anbieter? Oder die Video-Konferenz-Anbieter? Oder ....

Der Kamm, über den man die Corona-Protestierenden scheren kann, heisst: Es sind Leute, die Phantasieprodukte der Kenntnis von Wirtschaft vorziehen.

Idiot ist ein grichisches Wort.

Es leitet sich von altgriechischen ἰδιώτης idiotes ab. Es bezeichnete in der antiken Polis Personen, die sich aus öffentlichen-politischen Angelegenheiten heraushielten und keine Ämter wahrnahmen, auch wenn dies ihnen möglich war. In der Attischen Demokratie, die auf informierte und aktive Bürger (Politai) beruhte, waren die Idiotai wenig geschätzt. Man wurde als Idiotes geboren und blieb es, wenn nicht Erziehung und Bildung den politisch bewussten Bürger schufen (Tocqueville).

Cov-Idiot wäre demnach der Idiot (im griechischen Wortsinn), der sich mit der Covid-Forschung nicht auskennt, die Studien nicht gelesen hat, nicht unterscheiden kann, welcher Experte nun wirklich ein Experte ist und wer sich nur äussert. Er / sie wäre jemand, der eine Aussage deshalb für wahr nimmt, weil sie zum eigenen Weltbild passt, ein Mechanismus, der psychologisch sehr gut erforscht ist. Wer, so die griechische Definition, diese Geisteshaltung einmal zugelegt hat, tut sich sehr schwer, sie wieder loszuwerden, weil es dem Idiotes an der entsprechenden Bildung mangelt. Seine Geisteshaltung formatiert die eigene Wahrnehmung und selektiert entsprechend Informationen. Oder mit Karl Popper gesprochen: Sie ist selbstimmunisierend.

Covidiot ist beleidigend. Stimmt. Allerdings liegt in der Beleidigung ein Körnchen Wahrheit im griechischen Sinne. Gleichzeitig hat sich die Begrifflichkeit erübrigt.

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