"Der Film treibt die Vermenschlichung des einst coolen Agenten zum Exzess. Denn Bond kämpft gegen Biowaffen – und gegen Liebeskummer." Das schreibt der Spiegel. Einspruch. Der Film vermenschlicht James Bond nicht, er verpsychologisiert ihn. Warum das schlecht ist, sagt dieser Artikel.
James Bond ist eine der erfolgreichen Exportartikel Großbritanniens. Als Jean Connery zum ersten Mal Anfang der 60er Jahre in die Rolle schlüpfte, prägte er das Bild des Geheimagenten und gleich die Filmreihe: Explosionen, schnelle Autos, exotische Orte quer über den Globus, nicht minder exotische, aber vergüngliche Gadgets, sexuell aufgeladene Anspielungen körperlicher (siehe das Erscheinen des ersten Bond-Girls aus dem Meer, gespielt von von Ursula Andress) und namentlicher (erinnert sei an "Pussy Galore") Natur, ein Bösewicht, der die Weltherrschaft will und ein Agent, der als eine Mischung aus Lebemann, frotzelnden Humor und Unantastbarkeit alles mitnahm und mit Eleganz im Smoking, Anzug und souverän zwischen Frauen in Abendkleidern und Schießereien konsequent immer die Welt rettete.
Was Bond ausmacht
James Bond, egal, was ihm widerfuhr, welche Widerstände und Bösewichte er traf, er blieb immer der gleiche. Bond war nie ein Charakter, er war eine Figur. Entsprechend erfährt man auch in Flemmings Romane und Geschichten kaum etwas bis gar nichts über seine Geschichte. Entsprechend sind auch die vielen nachfolgenden Filme mit Connery oder Roger Moore. Bond hat sich nicht entwickelt, denn Bond war eigentlich immer schon da.
Das ist logisch, das ist sinnvoll. Denn in diesem Genre steht die Action im Vordergrund, eine tiefe Charakterzeichnung würde nur von all den unglaublichen Taten ablenken, die der Held vollbringt und weswegen die Leute die Filme sehen wollen. So sind Action-Romane und -filme.
Ein weiterer Grund: Wenn alles drum herum immer explodiert, die Luft bleihaltig ist, rasante Verfolgungsjagden zu Wasser, Erde Luft über den Bildschirm flitzen, dann braucht es einen unveränderbaren Ruhepool, um den herum all das tanzen kann: eben die zentrale Figur James Bond.
Dieses Muster ist alt und die Genres sind dieser Struktur immergefolgt. In den DC-Comics mit weltweit erfolgreichen Figuren wie Superman oder Batman, entstanden in den Erschütterungen des 2. Weltkrieges, waren Figuren, die ebenfalls immer gleich blieben. Auch ihre Mission war immer die gleiche: retten. Nur die Locations oder Nebenfiguren tanzten ein abwechslungsreiches Spiel. Ja, James Bond hatte strukturell betrachtet immer etwas comichaftes. Oder einfach ein Wissen, wie man lebendig erzählt. So viel zum Genre.
Inhaltlich waren die Filme konsequenterweise am Beobachtbaren, Sichtbaren, an der Oberfläche angesiedelt. Die Bilder, die dies hervorbrachte waren eindruckvoll, sei es bei Landschaftsaufnahmen, sei es beim Schusswechsel. Oder einfach nur in der Pose des "Mein Name ist Bond. James Bond."
Es ist genau diese Konzentration auf die Oberfläche, die deshalb so gut den jeweiligen Zeitgeist wiederspiegelt.
Was Bond jetzt ist
Dieser Zeitgeist hat sich gedreht und das soweit, dass er nun auch die Figur James Bond selbst durchweht und die Richtung, aus der er kommt, heisst Psychologie. Das wäre jetzt nicht schlimm, wenn es nicht so sehr nach Küchen-Psychologie aussehen würde. So muss der Held jetzt unbedingt eine Geschichte haben, verletzlich sich zeigen, am besten traumatisiert sein und mit seinen eigenen Dämonen kämpfen. Das sind nun die eigentlichen Treiber der Geschichte. Daher sagen die Schauspieler nachher in Interviews so etwas wie: Der Film sei "emotional" oder "psychologisch", tatsächlich ist es eine schwer erträgliche Tendenz, alles mit dem Hauch des Tragischen zu überziehen.
Das mit "The Bourne-Identity" angefangen, auch hier ist der Protagonist eine tragische Gestalt, jemand, der verzweifelt auf der Suche nach seinem verlornen Ich ist, den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung konnte dann der Film "Joker" für sich beanspruchen. In den DC-Comics ist Joker der Gegenspieler von Batman, aber er hat keine Geschichte. Er ist auf einmal da, er mordet, foltert, scheinbar ohne ersichtliche persönliche Vorteile daraus zu ziehen. Er scheint irgendwie einfach nur wahnsinnig zu sein. Mit Joachim Phoenix in "Joker" bekam die Figur dann eine psychologische Entstehungsgeschichte ausgewaltzt und das in allen möglichen Facetten. Auch hier spielt neben der kalten gefährlichen Gesellschaft die Mutter eine Rolle, wird der Protagonist von einer Opfersituation in die nächste geworfen.
Jetzt also auch bei James Bond: schlimme Kindheit, Eltern früh verloren, Bindungsprobleme, Mutterkomplexe, Spuren von burnout und persönlicher Desillusionierung, Liebesprobleme, Trauer, Verlust und am Ende Selbstopferung haben die Action mit Drama-Elementen bepflastert. Geblieben vom Markenkern Bond ist nur der Name, Action - allerdings ohne die frühere Ironie - und die Inszenierung der Orte und Körper.
Was Bond wird
Die Betonung des Innenlebens hat aber den Effekt, dass eine Geschichte alleine die Handlung nicht mehr vorwärts treibt. Vielmehr verdeckt die Psychologiesierung die logischen Brüche in der Handlungssequenz, die unweigerlich auftreten, wenn die Handlung eben nicht mehr das sein soll, worauf das Augenmark gerichtet ist.
Warum zum Beispiel der Bösewicht Safin in "No time to die" das tut, was er tut, erschließt sich nicht. Warum am Ende eine Selbstopferung steht, genau so wenig. Sie hätte auch einfach vermieden werden können. Über Kleinigkeiten, wie, warum zum Beispiel Bond beim Schusswechsel mit Verbrechern im Dunkel ausgerechnet ein weißes (Unter-)Hemd tragen muss, brauchen wir gar nicht mehr reden. Denn hier ist das große Ganze, die storyline selbst, brüchig. Psychologische Effekthascherei übertrumpft das, was Erzählen ausmacht: Eine story fesselnd rüberbringen.
"No time to die" ist ein gutes Beispiel, was Psychologisierung statt Psychologie anrichtet: Sie kapselt ein, zurrt fest, gibt den Anschein, immer tiefer zu graben, anstatt dass sie Horizonte eröffnet. Psychologie ist in ihrer klassischen Definition die Lehre von Verhalten, Denken und Fühlen von Menschen, wie diese mit ihrer Umwelt umgehen und wie sie in Zukunft damit umgehen werden. Psychologie interessiert die Zukunft. Psychologiesierung dagegen will keine mehr zulassen.
Am Ende nichts
So bleiben dem Bond-Film nur noch (Song-)Zitate aus früheren Bond-Filmen und man verkauft dies als einen Brückenschlag: Seht her, wir verneigen uns vor dem, was einmal war. Doch diese Verneigung ist nur ein weiteres klares "Good-bye". Entsprechend kann Bond, sollte er auch in Zukunft auf die Leinwand kommen, wohl nur als komplett neu erzählte Geschichte entstehen können. James Bond ist jedoch dann nur noch ein Name, eine Hülle, die ab jetzt für jeden x-beliebigen Agenten verwendet werden kann. Die Oberfläche ist total und die Figur postmodern beliebig geworden, Hauptsache gebrochen. Wenn das den Zeitgeist widersiegelt, dann wurde Kontinuität aufgegeben. Die Disruption hat Einzug gehalten und hält sich für zukunftsträchtig.
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