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3. März 2013

Nirvana - für Therapie und Coaching interessant?

Was ist das Nirvana im Buddhismus? Das Thema fällt etwas ausder Reihe, ist jedoch einer Mail eines Users geschuldet.

Therapeuten oder Coaches wollen weltanschaulich neutral sein. Das sind sie aber nicht. Denn jede Therapie/ jedes Coaching beruht auf  Voraussetzungen, die eher philosophischer Natur sind. 
In einer multikulturellen Zeit haben Klienten das Recht, zu erfahren, auf welchen Hintergrund sich die Methoden des Coachs oder Therapeuten beziehen. Je persönlicher die Themen des Klienten sind, desto wichtiger sollten diese Infos für Klienten sein.

Buddhismus und Therapie verbindet die selbe Motivation: Leiden zu beenden. Heute versuchen manche eine Kombination beider. Hier ein Blick auf die Hintergründe, interessant für Therapeuten, für Lebensberater, Trauerbegleiter, Krisenmanager, für Ärzte, Heilpraktiker, Berater im Stressmanagement, überhaupt enthält es Impulse für alle, die in ihrem Leben gut klar kommen wollen.



Gleich vorweg: ich schreibe nicht für irgend eine buddhistische Schule noch für irgend eine andere Religionsgemeinschaft. Als Theologe bemühe ich ein paar Vergleiche aus dem westlich-christlichen Denken und versuche es in westlichen Worten, wohl darauf hinweisend, dass sie mehr falsch als richtig sein werden. Buddhistische Experten und andere Wissende sind willkommen, korrigierend zu kommentieren.

Nirvana ist nicht ...

Laissez les enfants venir à moi
Laissez les enfants venir à moi (Photo credit: dierk schaefer)
... eine Art christliches Reich Gottes. Es hat auch nichts zu tun mit Vorstellungen wie Himmel oder Paradies oder wie eine mystische Vereinigung mit einem persönlichen Gott. Es geht überhaupt nicht um irgendeine Gottesvorstellung. Es ist wie mit einem Turnschuh und einer Orange. Die beiden haben einfach nichts miteinander zu tun. 
Nirvana ist auch kein Gefühl des geborgenen Aufgehobenseins in einer höheren Macht, nichts mit "der einzelne nur Schaum auf der Welle" (der Schriftsteller Georg Büchner). Das Bild vom Meer und Floß (Plato) passt auch nicht, ein öfters verwendetes Bild dagegen ist Meer und Wassertropfen. Aber Nirvana ist nicht das Verlöschen des Selbst. Somit hat es weder religiösen noch sonst irgend einen weltanschaulichen oder esoterischen Charakter. Also prinzipell für jedermann zugänglich. Eine gute Voraussetzung für therapeutische oder beraterische Anwendungen.

Die Erfahrung des Nirvanas ...

... hat möglicherweise semantische Anklänge am griechischen Wort "makarios", was ungefähr so viel heißt wie "der rundherum Glückliche". Nirvana als Sanskrit-Wort aber ist so komplett anders als unsere Sprachfamilie, dass eine adäquate Übersetzung eigentlich nicht möglich ist.

Nirvana ist ...

Map of Thailand
Map of Thailand (Photo credit: Wikipedia)
In manchen Ländern erklärt man Kindern, dass Nirvana der Tod der Arahants ist. In Thailand habe ich gehört, dass Nirvana (dort verwendet man den entsprechenden Pali-Ausdruck) eine besondere Stadt oder ein Land ohne Leiden ist, aber dafür mit soviel Glück, wie es nur irgendwie geht. Um Mitglied in der Stadt zu werden, muss man aber durch 1000de Wiedergeburten hindurch. 
Das ist irgendwie schon richtig, aber auch wieder nicht. Die Begriffe stammen aus traditionellen Beschreibungen, es ist aber eher eine stark simplifizierte Darstellung, ähnlich wie in der christlichen Unterweisung früher die Hölle mit Bratspießszenarien geschildert wurde.

Grob gesagt gibt es 2 Sorten von Nirvana:

  1. kilesa-nibbana = völlige Erlöschen aller Leidenschaften
  2. khanda-nibbana = das Zur-Ruhe-Kommen
Beides hilft, im Leben gut klarzukommen:

 1) ist ein Leben in einer Haltung, in dem alles ungesunde Anhaften aufgehört hat. Es ist ein bisschen so, wie der Mystiker und Ordensgründer Ignatius von Loyola in Spanien versuchte, es mit dem Wort "indifferentes" auszudrücken. Der Begriff für Menschen mit diesem Vermögen ist "Arhant". Sie sind diejenigen, die das bereits "hingekriegt" haben. Das heißt, es ist machbar.


 2) "zur Ruhe kommen" ist ein Bildwort. Gautama sagte einmal "die ganze Welt stehe im Feuer" und gemeinte den ungesunden Geist von uns Menschen, der Leiden vervielfältigt, anstatt es zu mindern. "Zur Ruhe kommen" ist also eine Geistesverfassung, die das Leiden beendet. Hochinteressant für die Resilienzforschung. 
Die andere Bedeutung ist das "Sich-nicht-mehr-Fortsetzen des geistig körperlichen Daseinsprozesses". Es erfolgt beim Tod des Arhants. So gesehen stimmt es, dass Nirvana etwas mit dem Gestorbensein zu tun hat, es muss aber nicht sein.
Tibet
Tibet (Photo credit: moniqca)

Elemente von Nirvana:

Das Bild einer Stadt, einem Land ist Poesie, es hat den Charakter eines Dauerhaften und meint gleichzeitg einen Lebensraum. Vielleicht stand auch der mystische Ort Shambala Pate für dieses Bild? Oder aber es ist nur eine kulturelle Methapher, die sich auch in anderen Kulturen findet.
Dass man nur über zig Wiedergeburten dahin kommt, ist wohl der Erzählung geschuldet, dass Gautama in der Nachwache unter dem Bodhibaum alle Wiedergeburten durchschaute, und das waren Millionen. Gemeint ist, dass Gautama unverfälscht und umfassend die Wahrheit des Daseins erblickte. Medizinisch würde man sagen Er hat einen eindeutigen Befund mit Diagnose.

Wortdeutungen

Es gibt den Ausdruck "Pajjotasseva nibbanam" und dieser bezeichnet das Erlöschen von Feuer. Wenn der gekochte Essen zu heiß ist, sagt man: "Warte noch kurz, bis es nibbana wird!" Nibbana ist, wenn ein Goldschmied Wasser über geschmolzenes Gold schüttet, um es abzukühlen. Auch für gezähmte und abgerichtete Wildtiere wird der Begriff benutzt. Wenn sinnliche Leidenschaft sich abkühlt, auch das ist Nirvana. Ebenso auf der Ebene der Emotionen, wenn hitzige Gefühle sich abkühlen. Ich erinnere hier an den Spruch: "Die ganze Welt steht in Flammen" Nirvana ist eine menschliche Verfassung des Gegenteils. Mit einem alten Werbespruch könnte man formulieren: 

Nirvana ist etwas für Menschen, die cool bleiben, auch wenn´s heiß wird!

Verwandt damit ist das Wort Nibbuti. Es bezieht sich auf Moral und meint ein kühles Leben im Sinne von Ausgeglichenheit, Ruhe und Zufriedenheit, Entspanntheit. Ich habe einmal eine Geschichte von einem jungen Mädchen gelesen, das über Siddharta Gautama sagte: "Welchen Eltern dieser Mann auch geboren wurde, sie müssen nibbuti sein, welches Mädchen er auch geheiratet hat, sie muss nibbuta sein". So hat nibbuti ein wenig vom schon erwähnten Glück im Sinnes des griechischen makarios.

Zusammenfassung:

Als Begriff heißt es also so etwas wie "kühl", "abkühlen", auch "verwehen", "verlöschen". Buddhistisch meint Nirvana einen natürlichen Geisteszustand. Er zeigt sich in dem Vermögen, mit Leid und Widrigkeiten so umgehen zu können, dass man nicht aus der Bahn geworfen wird. Weil menschliche Geist frei ist von den im Buddhismus sogenannten drei Geistesgiften, unter denen die Menschen leiden und selber Leiden produzieren.
 Sind diese überwunden - und darauf zielen letztendlich Übungen und Praktiken - so wird Nirvana:


»Aus lobha (Geistesgift 1, meist mit Gier übersetzt, aber aufgepasst, die deutschen Worte passen nicht 100%ig), Brahmane, von lobha übermannt - aus dosa (Geistesgift 2, meist mit Haß übersetzt), vom dosa übermannt - aus moha (Geistesgift 3, meist mit Verblendung übersetzt), von moha übermannt, umstrickten Geistes, trachtet man nach seinem eigenen Schaden, trachtet man nach anderer Schaden, trachtet man nach beiderseitigem Schaden, erleidet man geistigen Schmerz und Kummer.
Ist aber lobha aufgehoben - ist dosa aufgehoben - ist moha aufgehoben, so trachtet man weder nach eigenem Schaden, noch nach dem Schaden anderer, noch nach beiderseitigem Schaden, erleidet man keinen geistigen Schmerz und Kummer.
Derart, oh Brahmane, ist das Nirvāna klar sichtbar. Insofern man, Brahmane, diese restlose Erlöschung von lobha erfährt, die restlose Erlöschung von dosa und von moha erfährt, ist das Nirwana klar sichtbar, unmittelbar wirksam, einladend, zum Ziele führend, den Verständigen, jedem für sich, verständlich.«
(Nibbuta Jutta, aus Anguttara Nikaya-Die angereihte Sammlung- Dutiyapannasakam (die zweiten 50 Sutten))

Nirvana ist nichts Übernatürliches

Der Mystiker und christlicher Ordensgründer Ignatius von Loyola wurde einmal gefragt, wie es bei ihm denn sei, mit der Freiheit und seine Antwort war:

Wenn man mein Lebenswerk vernichten würde, bräuchte ich keine Viertelstunde, um wieder im Gleichgewicht zu sein.

Nirvana hat diesen Geschmack der Freiheit. Es ist aber - und so wurde es mir beigebracht - keine Spiritualität in westlichen Sinne. Es bezieht sich auf nichts, was dem Menschen irgendwie gegenüber ist oder ihm entgegen kommt, wie es in der Gottesvorstellung des Christentum der Fall ist. Es ist keine Hingabe einen Gott, wie es der Islam will. Nirvana ist das, was sich ergibt, wenn man seinen Geist und sein Leben auf bestimmte Weise trainiert.

Genau das macht es für therapeutische oder lebensberatende Berufe interessant. Denn auch wenn es "manuell" nicht herstellbar ist, ist es doch "reproduzierbar" und empirisch erfahrbar. Die Erfahrung beinhaltet durchaus etwas Überpersönliches, jedoch nichts, was von der eigenen Person getrennt ist oder ohne es existiert.
Manche nennen diese Praxis, dem Samara, dem Lebensrad, in die Speichen greifen und somit sein Leben autonom leben zu können, unabhängig vom Drehen des Schicksalsrades. 


Das buddhistische Geistestraining hat also mit Ergebenheit gegenüber irgendwelchen Mächten, karmischen Verstrickungen oder pessimistischer Leidenideologie nichts zu tun. Es geht nicht darum, im Leiden einen Sinn zu finden, sondern es zu überwinden und damit zu beenden. Auch hier treffen sich Buddhismus und Therapie.

Es gibt viele poetische Beschreibungen von Nirvana. 

Zu Abschluss ein literarischer Text. Die Übersetzung stammt von mir, deshalb etwas holprig:
 
"Ist es möglich, Nagasena, das Ausmaß, Form oder Dauer von Nirvana in einem Gleichnis darzustellen? 
"Nein, das ist nicht möglich, ist gibt nichts, was mit Nirvana vergleichbar ist"
 "Gibt es dann Eigenschaften, Attribute von Nirvana, gleichnishaft in anderen Dingen?"
"Ja, solches gibt es

So wie eine Lotusblüte vom Wasser unbenetzt ist, so unbefleckt ist Nirvana von Befleckung. Wie Wasser, das das Fieber der Befleckung abkühlt und den Durst des cravings löscht. 
Wie Medizin schützt es diejenigen, die durch Befleckung vergiftet sind, es kuriert die Krankheit des Leidens und nährt wie der Nektar.
So wie der Ozean leer von Leichen ist, ist Nirvana leer von jeglicher Befleckung; so wie der Ozean nicht überfließt wegen all der Flüsse, die in ihn münden, so wird Nirvana nicht vermehrt durch all diejenigen, die es erreichen, es ist der Wohnsitz der Arhants und es ist geschmückt mit Wogen des Wissens und der Freiheit. 
Wie Essen, das Leben erhält, drängt Nirvana Alter und Tod zurück, es vermehrt die geistige Stärke der Menschen, es gibt die Schönheit der Tugend, es nimmt weg den Distress der Befleckung, es mildert die Erschöpfung all der Leidenden.
So wie der Raum ist es weder geboren noch zerfällt oder geht es unter, es stirbt weder hier noch erhebt es sich anderswo, es ist unbesiegbar, Diebe können es nicht stehlen, es ist angeheftet an gar nichts, es ist die Sphäre der Noblen, die sind wie Vögel am Himmel. 
Es ist frei zugänglich und unendlich
Es ist ein aller Wünsche erfüllendes Juwel, es stillt alles Verlangen, verursacht Entzücken und ist glänzend. 
Wie rotes Sandelholzöl ist es schwer zu bekommen, sein Wohlgeruch ist unvergleichlich und gepriesen wird es von guten Menschen. 
So wie Butterfett durch seine besonderen Attribute erkennbar ist, so hat Nirvana besondere Eigenschaften; so wie Butterfett einen süßen Wohlgeruch hat, duftet Nirvana nach Tugend; so wie Butterfett einen köstlichen Geschmack besitzt, schmeckt Nirvana nach Freiheit. 
Wie die Bergspitze ist es hoch, unbeweglich, unerreichbar für Befleckung, es gibt dort keinen Ort, an dem Befleckung wachsen kann und es existiert dort weder Bevorzugung noch Vorurteil.
(The Debate of King Milinda)
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