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24. März 2013

Neuroenhancement: Pillen zur Verbessern der intellektuellen Leistung

Chemical structure of Modafinil.
Chemical structure of Modafinil. (Photo credit: Wikipedia)
Neuroenhancer - glaubt man Google, so fand der Begriff erst 2008 Eingang in die allgemeine Sprache. Die Diskussionen darüber erinnern mich in ihrer Art ein wenig an die damaligen Debatten ums Klonen mit Titeln wie: "Darf-der-Mensch-alles-was-er-kann?".
Nur geht es diesmal um etwas, was schon längst praktiziert wird:

Das künstliche Verbessern der menschlichen intellektuellen Leistungsfähigkeit.


Erstmal eine kleine Einführung:

Finger weg und hin zum Kaffee? So ganz simpel ist die Sache nicht. Das beginnt bereits mit der Definition:
Unter Neuro-Enhancement wird die Einnahme aller Arten von psychotropen Substanzen durch Gesunde mit dem Ziel Konzentration, Wachheit oder Gedächtnisleistungen zu erhöhen, verstanden. Dagegen meint Hirndoping die missbräuchliche Einnahme von rezeptpflichtigen Medikamenten und illegalen Drogen zum Zwecke der Psychostimulation und birgt damit alle Risiken und Nebenwirkungen einer Drogenabhängigkeit.

Die Grenzen sind sehr sehr fließend. 

Nach dem Zitierten liegt der Unterschied im Missbräuchlichen - doch wo der Gebrauch aufhört und der Missbrauch beginnt, wer kann das schon genau sagen?
Wer sich mit Kaffee zuschüttet, bis er zittert, nur um wach zu bleiben und um die Nacht noch durchzulernen, ist das jetzt noch ok oder doch Missbrauch?

Auf jeden Fall ist es Psychostimulation. Und zugleich wird es eingeworfen, um Konzentration Wachheit oder Gedächtnisleistungen zu erhöhen. Schon 2009 hat der Spiegel sich diesem Thema gewidmet. Mit Ritalin ging es los:

Laut einer Studie amerikanischer Kinderärzte vom August ist die Zweckentfremdung von Mitteln wie Ritalin bei 13- bis 19-Jährigen innerhalb von acht Jahren um 75 Prozent gestiegen.

Gehirn-Doping ist inzwischen kein amerikanisches Phänomen mehr. Der Bericht des Robert-Koch-Instituts ist vielsagend:

Etwa 1,8 % der Frauen und 1,3 % der Männer verwenden Medikamente oder illegale Mittel, die zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit eingesetzt werden können.

Und:
Diese Mittel werden vorwiegend von 18- bis 44-jährigen Frauen und Männern angewendet.


Also Menschen, die im Berufsleben stehen oder sich darauf vorbereiten. Trota von Berlin schreibt:
Die Droge ist vor allem bei BWL- und Medizinstudenten beliebt, denn dort kommen nicht unbedingt die Kreativen weiter, sondern die, die am besten auswendig lernen und sich anpassen können. In der Humanmedizin ist schon so mancher angesichts der 60 Milliarden Zellen, 800 Gewebe, 650 Muskeln, 206 Knochen, 100 Organe und 68 Gelenke an seine Grenzen gestoßen – sowohl was die Motivation als auch was die Aufnahmekapazität des Hirns betrifft.

Es gibt ja den bösen Witz:

Ein Iurist, ein Sozialpädagoge und ein Mediziner sollen das Telefonbuch auswendig lernen. Der Iurist reagiert auf die Nachricht so: "Wo steht das geschrieben, dass ich das auswendig lernen muss?
Der Sozialpädagoge sagt: "Das macht mich aber jetzt sehr betroffen."
Und der Mediziner sagt: "Bis wann?"


Spass beiseite. Das Thema ist ernst. 

Die Substanzen sind ein Gesundheitsrisiko, bei dem man bislang nur ungefähr weiß, was passiert.
Ob und wie die Substanzen bei Gesunden wirken, ist noch unklar. Bei den Antidementiva und Antidepressiva haben sich bisher keinerlei Effekte zuverlässig nachweisen lassen. Psychostimulantien wie Modafinil hingegen zeigen auch bei Gesunden Wirkung. Bei der Einnahme über einen längeren Zeitraum können aber alle Substanzen abhängig machen. (br.de)

Auf die Gesetzgebung brauchen wir nicht zu warten. 

Marie Mink auf hirn-sturm.de hat sich darüber Gedanken gemacht, und zusammengefasst könnte man sagen:
  • ein Verbot wüsste gar nicht, wo es ansetzen sollte, da die Definition, der Einnahmezeitpunkt etc. viel zu variabel sind
  • geht es jetzt um die Einnahme bei der Prüfung (um dort also einen Vorteil herauszuholen) oder um die Einnahme während des Lernens VOR der Prüfung und wie will man das den rechtlich überprüfen?
  • erlaubte und unerlaubte Mittel zu definieren, setzt einen Überblick auf alle Mittel voraus, und wie ist so etwas leistbar?
Der letzte Punkt erinnert mich an den Radsport. Selbst wenn man ein Positiv-Negativ-Liste hätte, die Erfahrung zeigt: die Dopingkontrolleure hinken den Entwicklern immer hinterher.
  

Was ist wichtig?

Das Ganze ist deshalb so schwer zu fassen, weil es sich im privatesten Raum eines Menschen abspielt: in seinen Entscheidungen, wie er sein Leben gestalten will. In einem Menschenleben, in dem Leistung als oberster Wert gilt, ist die Grenze zum Schädlichen sehr dünn. Und je technisierter wie unsere Welt gestalten, um so mehr geht unser natürlicher Sinn verloren für das, was uns gut tun und für das, was uns schadet. So gesehen befähigt uns der Fortschritt zu vielem, er macht uns gleichzeitig aber auch untauglich.

Was wir heute mehr denn je brauchen:

Die Fähigkeit, unser Leben nach dem, was uns entspricht, zu gestalten. Dazu gehört sowohl mit Überzeugung "Ja" als auch "Nein" sagen zu können, ebenso die Fähigkeit, sich selbst und seine Bedürfnisse zu kennen und sie zu artikulieren. Aber auch die Kompetenz, zu unterscheiden, ob es meine Bedürfnisse sind oder ob ich nur den Mustern folge, die andere an mich weiter gegeben haben.

Um mit Sokrates zu sprechen:

ein nicht reflektiertes Leben ist nicht wert, gelebt zu werden.



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