Vor ein paar Tagen kam die Meldung, dass der Schauspieler Alec Baldwin beim Dreh eines Westerns eine Kamerafrau erschossen hat. Statt einer Requisite mit Platzpatronen war die Waffe mit scharfer Munition geladen. Ein tragischer Unfall? Wohl ja, aber mit Ankündigung.
Gedreht wurde ein Western. Klar, dass da Waffenrequisiten am Set sind. Mit einer solchen wurde Kamerafrau Halyna Hutchins von Alex Baldwin während der Dreharbeiten erschossen. Zwei weitere Menschen wurden verletzt. Als die Polizei eintraf, fand sie die Leute unter Schock und Alec Baldwin, erklärter Gegner der amerikanischen Waffenpromoter NFL, in Tränen aufgelöst. Überreicht hatte ihm die Filmwaffe der Regieassistent Dave Halls mit den Worten "cold weapon". Anscheinend der offizielle Code, dass die Requisite ungefährlich sei. Eine tragische Fehlinformation, die Halyna Hutchins das Leben kostete.
Die ersten Nachforschungen zeigen: Es war nicht der erste Fall mit Dave Hall. Schon 2019 gab es bei den Dreharbeiten zu der Serie "Into the Dark" Beschwerden über ihn, weil er die Sicherheitsbestimmungen für Waffen und Pyrotechnik übertreten habe. Hall sagt aus, dass er nicht wusste, dass in der Requisite scharfe Munition steckte. Die Ermittlungen dauern an.
Bereits vor dem Vorfall gab es von den Mitarbeitern Beschwerden über mangelnde Sicherheitsvorkehrungen. So soll Alec Baldwins Stunt-Double einige Tage zuvor zweimal mit einer scharfen Waffe geschossen haben - auch aus Versehen. Abgesehen davon, wieso so etwas passiert, hätte der Leitung klar sein müssen, dass scharfe Munition am Ort war. Verschärfte Kontrolle wäre die logische Forderung gewesen. Ist aber wohl nicht erfolgt. Die Polizei ermittelt auch gegen die Frau, die für die Waffenrequisite verantwortlich ist: Hannah Gutierrez-Reed. Aber Halyna Hutchins wird´s nicht mehr helfen.
Zusätzlich hatten kurz vor dem tragischen Ereignis Mitarbeiter das Set aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen verlassen: Arbeitstage von 12 Stunden und mehr, dazu noch immer eine Anfahrt von einer Stunde, weil die Produktionsfirma wohl kein Geld für Unterkünfte in der Nähe ausgeben wollte. Da die Drehtage um 6:30 Uhr beginnen, bedeutet das ein Arbeitstag, der Raubbau mit dem Körper betreibt mit durchschnittlich maximal fünf Stunden Schlaf pro Tag. Ein Mitarbeiter soll im Auto geschlafen haben, weil er sich die ein-Stunden-Fahrt zurück zum Hotel nicht mehr zugetraut hat. Die klimatischen Bedingungen in Santa Fe sind zudem nicht gerade hilfreich.
Alles im allem vermitteln diese Dinge ein Bild eines Arbeitgebers, der sich einen Teufel um seine Mitarbeiter schert. Tatsächlich sind die Sicherheitsverschriften streng, besonders auch, weil bei Szenen, in denen historische Waffen vorkommen, diese oft keine Attrappen sind, sondern Orginale, um die Authentizität zu erhöhen. An diesem Set scheint es an Beachtung der Vorschriften gemangelt zu haben. Zu Lasten der Mitarbeiter.
Das ist nichts Neues. Verschleiss von Mitarbeitern steht am Ursprung unserer industriellen Entwicklung. Und Firmen von heute sind so aufgebaut, dass einzelne Mitarbeiter immer ersetzbar sind und es gibt genug Fährungskräfte, die ohne Rücksicht die Leute auspressen wie Zitronen. Zusammen mit dem fast ausschliesslichen Fokus auf die Verkaufbarkeit von Produkten und Dienstleistungen mag dazu geführt haben, dass Mitmenschen in einer Firma an Wichtigkeit eingebüsst haben. Ich habe in meiner 25jährigen Berufstätigkeit niemand kennengelert, der an den Satz "Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt" noch geglaubt hat.
Da ist der Slogan "Unsere Mitarbeiter sind unser wertvollstes Kapital" ehrlicher. Denn mitarbeitende Menschen nicht als Menschen, sondern als Humankapital zu sehen, ist immer noch Wirtschaftsjargon. Kapital aber ist ein Mittel, eine Sache. Es hat nichts Menschliches an sich. Also warum soll man eine Sache nicht auch wie eine behandeln?
Offiziell wird jeder dies abstreiten, was allerdings am Jargon, seiner dahinterstehender Denkweise und den Firmenorganisationen nichts ändert.
Am Filmset in Santa Fee herrscht noch immer Entsetzen über den Vorfall. Aber wird das Konsequenzen haben? Bislang haben wirtschaftlichen finanzielle Interessen gefühlt immer über menschliche Schutzbedürfnisse gesiegt.
Je länger aber sich alle darauf (unbewusst / bewusst) einigen, die Tragik nicht an sich heranzulassen, um so mehr hat das zur Folge, dass Empatie buchstäblich abtrainiert wird. Solch tragische Ereignisse motivieren dann nicht mehr zum Handeln. 2020 starben in USA 19.438 Menschen durch abgefeuerte Waffen, 39.498 wurden verletzt. Aber immer noch kein Grund, etwas dagegen zu unternehmen. Donald Trump jr. witzelt sogar, dass ein verrückter Waffengegner wie Baldwin mehr Menschen tötet als die eigene umfangreiche Waffensammlung. Was letztlich nur eines zeigt: Wir sind endgültig im Zeitalter des menschenverachtenden Zynismus angekommen.
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