"Die Psychoanalyse ist ein Meilenstein für die Menschheit des 20. Jahrhunderts, Sigmund Freud damit ein Architekt unserer Zeit", sagt Prof. Dr. Michael Ermann, deutscher Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Psychoanalytiker in Berlin und emeritierter Universitätsprofessor.
Und in der Tat: Mit Freud betritt ein neuer und moderner wissenschaftlicher Zweig die Bühne. Sie existiert bis heute und liefert Einsichten in unsere menschliche Natur. In jenen Tagen hatte der Architekt einer modernen Psychotherapie Geburtstag. Zeit für das, was wirklich wichtig ist.
Bekanntes und Anerkanntes
Bekannt ist die nach ihm benannte "Freudsche Fehlleistung". Seine Auffassung dahinter: Versprecher sind keine Zufälle, sondern das Unbewusste hat sie absichtlich ausgewählt. Dies lässt Einblicke in die tieferen Schichten unserer Psyche zu. Auch dass man zuweilen Dinge falsch macht, um unbewusst ein anderes Ziel erreichen zu können, ist seine Entdeckung. Freud selbst erwähnte einmal, er habe sich im Urlaub einmal verlaufen, um später heimkehren zu können.
Vieles von ihm ist inzwischen weiter entwickelt. Oft ist ein Versprecher eben nur ein Versprecher und bedeutet überhaupt nichts weiteres. Aber manchmal eben doch. Überhaupt ist heute klar, dass das Unbewusste eine Rolle spielt, die bis zu Freud komplett übersehen wurde. Auch sein Modell von "Ich" und "Über-Ich" gilt heute als anerkannt.
Der Mensch ist kein einheitliches Ganzes
Freuds Denkansatz nimmt all unsere Konflikte, Widersprüche und Paradoxien der Neuzeit vorweg. War bis dahin das Subjekt noch immer als Einheit gedacht - ich bin ich und ich weiss es - so löst Freud dieses Selbstverständnis auf in mehrere unterschiedliche Dynamiken, Strömugen und Tendenzen, ohne dahinter eine erneute Einheit zu konstatieren. Bekannt ist seine Unterscheidung zwischen Bewussten und Unbewussten und sein legendärer Ausspruch, dass der Mensch nicht einmal mehr Herr im eigenen Haus sei.
Er selbst nennt das als eine der grossen Kränkungen, die das autonome Subjekt hinnehmen muss: Es ist gar nicht so autonom, wie es sich gerne selber attestiert. Wir sind alle Opfer unserer unbewussten Wünsche, irrantionalen Bestrebungen und tieferliegenden Dynamiken. Wir sitzen alle unseren Selbstbildern auf, die allerdings mehr verdecken und beschwichtigen, als dass sie uns mit uns selbst in Beziehung bringen.
Manche seiner Thesen wie "Todestrieb", "Penisneid" oder "Ödipuskomplex" gehören inzwischen zum Allgemeingut, wenngleich sie - auch in der Psychoanalyse von heute - als widerlegt gelten. Nicht zu leugnen ist aber: Wir sind weder Subjekt noch autonom.
Wahrscheinlich ist das der Grund, warum die es die Psychoanalyse es nie geschafft hat, in die Führungsetage der Unternehmen vorzudringen. BWL und das Menschenbild von uns allen hat von uns eine Vorstellung von Autonomie, Rationalität und die Freiheit der Entscheidung. Freuds Psychoanalyse entlarvt all das als Illusion und Gaukelei, um nicht selbst die Wahrheit über die eigenen Person ins Auge sehen zu müssen. Wahrscheinlich ist das für die meisten auch heute noch eine Kränkung und wer es ausspricht, ist suspekt. Man will es nicht hören.
Die Widerstände und die Bedeutung
Sigmund Freud wurde von den Wissenschaftlern seiner Zeit verurteilt. Dass er zahlreiche Erkenntnisse aus einer Selbstanalyse schöpfte, trug ebenso nicht zu seiner Anerkennung bei, vermissten die Wissenschaftler bei ihm doch die wissenschaftliche Methode: Erkenntnissgewinn durch wiederholbare Experimente. Das rückt die Psychoanalyse eher in den Bereich der Künste. Essayist Georg Steiner sagte daher einmal, die Psychoanalyse sei mehr Leidenschaft als Wissenschaft oder er sprach vom "ungeprüften Glauben" im Herzen der Psychoanalyse.
Das ändert nichts an Freuds Gespür für unsere inneren Widersprüche und die daraus entstandene kulturhistorische Leistung: ein Deutungsraster für die moderne Zeit zur Verfügung gestellt zu haben.
Bis heute beeinflusst die Psychoanalyse die bildende Kunst, Literatur und Filmschaffenden, darinter solche Grössen wie Alfred Hitchcock. Keine andere Richtung der modernen Psychologie kann das von sich sagen.
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