Aggressiv gegen Coronamaßnahmen? Bild: Allzweckjack / photocase.de |
Dass Aufmerksamkeit ein knappes Gut ist, ist sowohl banale Feststellung wie logische Folge der Informationsflut, die spätestens mit dem Internet in exponentielle Höhen geschossen ist. Will man da noch gehört werden, muss man auffallen. Die klassischen Methoden sind Sex, Crime, Katzenvideos und seit einigen Jahren: Empörung. Als Transporteure dienen Klicks und Einschaltquoten.
Der Kapitalismus ist inzwischen psychisch
Georg Franck prägte in den 90ern den Begriff Aufmerksamkeitsökonomie, um eine neue Variante heutigen Wirtschaftens zu fassen. Denn dem Kapitalismus ging es letztendlich auch nur darum, Wirtschaftsgüter, die auf dem Markt tauschfähig sind, kostengünstig zu produzieren. Er ist, wie der Rest auch, ein materialistisches System.
Das geballte Wissen |
Doch statt materielle sind es inzwischen psychische Produkte - Echtheit und Authentizität -, die der Konsument einem "abkaufen" soll. Der Produzent dieser Produkte muss dabei nicht wie der Arbeiter der Industrialisierung seine Muskelkraft oder wie der Kopfarbeiter sein Gehirnschmalz einsetzen. Statt dessen ist es die eigene Person und der eigene Lifestyles die angebotene Ware und persönliche Unverstelltheit und Echtheit ist das gehandelte Gut, das zum Kauf anregt.
Am besten verkörpert im Geschäftsmodell der Influencer ist es das Ziel, das dargestellte als das wahre, unverfälschte Leben zu demonstrieren. Was in der Praxis nichts anderes ist, als zu verkünden:
"Sehr her, ich bin ehrlich mit euch, ich lasse euch an meinem Leben teilnehmen, ich zeige mich unverstellt, so wie ich bin".
Die eigene Person ist die Ware, die eigene dargestellte Authentizität das Produkt.
Genau dem folgen die Teilnehmenden der Corona-Demos:
Als zum Verkauf angebotenes Produkt fungieren Freiheit, Demokratie und Widerstand gegen Zwang. Im Backend, also hinter diesen öffentlichen Bekundungen dagegen findet man eine breite Palette an unvereinbaren Weltanschauungen, angefangen von einer eher naiv anmutenden geschichtsvergessenen Jana aus Kassel bis hin zum echten Neonazi.
So unvereinbar beide sind, so strukturell gleich ist ihre Methode: dargestellte Empörung als einzig gerechtes Mittel fürs Dagegensein. Gegen was? Na, irgendwie gegen "das System, die Eliten, die Medien, Coronamaßnahmen, Masketragen ..." Der Inhalt ist nicht so wichtig. Empörung rechtfertigt sich in der Aufmerksamkeitsökonomie selber. Denn wer schreit, fällt auf und wer zudem Opfer ist bekommt die Selbstermächtigung, Solidarität und Beißhemmung moralisch einzufordern. Nichts anderes ist der Struktur, nicht dem Inhalt nach, der Auftritt von Jana aus Kassel mit ihren Sophie-Scholl-Vergleich oder die Titulierung von Corona- Massnahmen als Ermächtigungsgesetz: Opfer sein, Aufmerksamkeit erregen, sich der eigenen Berechtigung vergewissern. Die Empörung erregt sich selbst, ob die Inhalte stimmen, ist nebensächlich. Aufmerksamkeit gewinnt man nicht mit Inhalten, sondern indem man über das Ziel hinausschießt.
Und hier stoßen wir auf ein tieferes Problem.
Wir alle sind mit Situationen konfrontiert, die wir nicht steuern können - das ist noch nicht das Problem, das ist normal. Das Problem ist, dass wir mit der einhergehenden Unsicherheit oft nicht gut umgehen können. Von der Evolution haben wir nur drei Strategien mitbekommen: Abhauen, draufhauen, sich totstellen. Ersteres oder Letzteres geht in einer Pandamie nicht, sonst wäre es keine. Also bleibt für viele nur das Draufhauen. Da damit immer auch Lautstärke einhergeht, ist diese Reaktion hervorragend in die Aufmerksamkeitsökonomie integrierbar. Empörung mit Gebrüll passt nahtlos zu Klicks und Einschaltquoten. Damit rollt der Rubel weiterhin. Diejenigen, die sich als Querdenker sehen, passen in Wirklichkeit ganz hervorragend zum herrschenden kapitalistischen System.
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