Seiten

30. Mai 2020

Warum die Demokratien erodieren - Eindrücke aus einer psychologischen Praxis

Dass autoritäre Systeme sich entwickelt haben, ist kein Geheimnis. Dass Institutionen vor der Verrohung in der Gesellschaft warnen oder sie schon beklagen auch nicht. Dass Wut auf den Staat herrscht ebenso nicht. Was nie richtig Aufmerksamkeit bekommt, ist ist tagtägliche Situation vieler Arbeitenden unter der Verantwortungslosigkeit ihrer Entscheidungsträger. Doch genau diese sind gefährlich für die Demokratie.



Wir leben in einem Zeitalter von destabilisierenden Entwicklungen:
  • "Wir lassen uns nicht mehr am Gängelband herumführen" ist eine Haltung, die aus dem digitalen Raum ins öffentliche Leben übergegriffen hat. Und wer anderer Meinung ist, ist ein Schlafschaf, links-versifft, dumm, gekauft oder gehirngewaschen.
  • eine Kita-Erzieherin findet, obwohl offensichtlich ungeeignet, immer wieder einen Job mit Kindern, bis nun ein dreijähriges Kind tot ist (siehe hier)
  • Todesdrohungen und Hassmails sind gängiges Repertoire von Leuten geworden (siehe hier)...
  • Theorien von Bevölkerungsaustausch (siehe hier) und anderen Verschwörungstheorien (siehe hier) ziehen ihre Kreise
  • ...
Die List kann beliebig verlängert werden. In meiner Praxis häufen sich Fälle, in denen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu mir kommen und um Hilfe bitten, weil sie am Arbeitsplatz schikaniert werden. Und nein: das ist kein Missverständnis oder jemand bildet sich etwas ein. Nicht eingehaltene Versprechen sind noch das Wenigste. Psychische Gewalt ist für viele Alltag in ihrem Berufsleben. Oft jahrelang.

Wenn ich dann im Unternehmen bin, stellt sich in der Regel heraus, dass die Leute dort es natürlich gewusst haben, dass es so zuging und von welchen Personen, welcher Person es ausging. Aber niemand nahm Notiz, niemand schritt ein, niemand kümmerte sich. Beschwerde und Hilfegesuche wurden weggeredet oder ignoriert.


Auch Führungskräfte: Immer wusste ein Entscheidungsträger von den Verstößen gegen Anstand und
Sitten, gegen den eigenen code of conduct oder sogar gegen Gesetze. Und wiederum: Niemand nahm Notiz, niemand schritt ein, niemand kümmerte sich.
Das ist wie beim Dieselskandal auf zwischenmenschlicher Ebene: Es läuft etwas, was so nicht laufen darf. Aber niemand nimmt Notiz, niemand schreitet ein, niemand kümmert sich. Es ist ein großes Wegschauen. Bis dann irgendwann die Bombe hochgeht.

Dann kommen Kommentare aus allen Ecken, wird die Verrohung beklagt, vor deren Folgen gewarnt und dann will man schnell wieder zur Tagesordnung übergehen. Wegschauen, zulassen, ignorieren scheint sich in die DNA hineingefressen zu haben. Ansonsten soll bitte alles seinen gewohnten Gang gehen.

Dass zum Beispiel die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen verbessert werden sollen, liegt ja nicht daran, dass man menschenunwürdige Zustände beenden will, sondern weil diese Zustände sich als Corona-Schleudern entpuppt haben und damit ist die Sicherheit derjenigen gefährdet, die davon profitiert haben, dass es eben menschenunwürdige Zustände waren.


Ausbeutung anderer gehört de facto zur Ökonomie wie die Nässe zum Wasser. Wie lang geht das
noch so? All das schafft ein Klima der Entsolidarisierung und der Entmenschlichung. Darauf baut niemand eine demokratische Gesellschaft, die sich realiter zu Menschenrechten bekennt. Und wieder: Niemand nimmt Notiz, niemand schreitet ein, niemand kümmert sich. Wenns gar nicht anders mehr geht, gründet man eben ein Institut:

Der Deutsche Bundestag hat Mittel zur Gründung eines "Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhalt" bereitgestellt. Anlass sind aktuelle Entwicklungen, die darauf schließen lassen, dass es Bevölkerungsgruppen gibt, die das bestehende politische System nicht mehr unterstützen, die sich an den Rand gedrängt fühlen, bzw. zur parlamentarischen Demokratie und ihren Repräsentanten auf Distanz gehen. Die hierfür ursächlich anzunehmenden Zweifel an den Grundlagen von Staat und Gesellschaft erfordern eine umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Strukturen und Wahrnehmungen gesellschaftlicher Zugehörigkeit.(siehe hier)

Dann kann man sagen, man habe etwas gemacht und Geld gegeben. Als Ergebnis hat man dann noch eine Institution, die den Beobachter gesellschaftlicher Entwicklungen spielt. Was nötig wäre, ist aber etwas, das Lösungen vorantreibt. Zum Beispiel: was macht man mit den Verantwortlichen, deren Abwiegeln und Ignorianz die Probleme haben eskalieren lassen?


Das wäre doch mal ein Vorschlag!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen