Corona - sind Wodarg, Bhakdi et al. unseriös? |
Die Psychologie hat untersucht, wie Menschen und Bevölkerungen auf Krisen reagieren. Warum und wieso tun sie es so und nicht anders? Die Psychologie liefert gute Einsichten über die jetzigen Phänomene.
So geht´s los
Unsicherheit hält unsere Psyche nicht gut aus. Das kommt aus unserem evolutionärem Erbe: Ein unsicheres Leben war und ist auch heute noch ein gefährliches Leben. Es die natürliche Reaktion, dass wir versuchen, uns abzusichern.Damit wir aktiv werden, braucht es aber eine sinnenfällige Drohkulisse. So lange eine Krise nur schleichend und augenscheinlich in kleinen Etappen sich entwickelt, schlägt unser emotionales System nicht sonderlich Alarm.
Ein bedrohlicher Klimawandel zum Beispiel, der sich über Jahrzehnte entwickelt, löst bei uns viel weniger ein Gefühl der Bedrohung aus, als die Giftschlange, die aus dem Nachbarzoo entwichen ist und sich jetzt irgendwo in unserem Haus befindet.
So ist es auch mit Corona:
Was zuerst schleichend begann - China ist weit weg, der dortige shutdown kam in klaren, aufgeräumten Bildern - entwickelte seine Wucht mit Szenen aus Bergamo aus unserer geografischen Nachbarschaft. Unser emotionales Reaktionszentrum sprang an.Tu was, egal was!
In einem Bedrohungsszenario gibt es eine sehr bedeutsame Dynamik: Die Erfahrung des Kontrollverlusts und der sofortige Wunsch, Kontrolle wieder herzustellen.
Hamsterkäufe in Österreich, obwohl dort noch kein einziger Toter gemeldet wurde, sind Ausdruck des Bestrebens, wenigsten etwas zu tun. Wenigstens so das Gefühl zu haben, ich bin irgendwie gewappnet für das Kommende. Das Ganze verstärkte sich natürlich, als die Pandemie und die damit verbundenen Zahlen der Toten sichtbar wurden. Fast alles rannte nach Klopapier und Desinfektionsmittel.
Das alles sind Symptomen von Grenzerfahrungen des Ausgeliefertseins und damit pure Psychologie. Wer nicht weiss, aus welcher Richtung die Bedrohung auf ihn zukommt, der sucht selbstverständlich nach Orientierung.
Ursache 1: Zwei grundlegende psychische Systeme in uns ...
Wir haben zwei emotionale Systeme zu unserem Schutz aus der Evolution mitbekommen: Angst und Ekel. Erstere schützt uns vor echten und möglichen Bedrohungen aller Art - so eine Art Breitbandprävention -, das Zweite zusätzlich noch vor Infektionen: Alles was ekelig aussieht, schmeckt, sich anfühlt etc. ... besser nicht anfassen!Das geballte Wissen |
Angst lässt Menschen auf Distanz gehen, Ekel führt zur Abwertung. Was ekelig ist, ist nicht primär furchterregend, sondern schlecht. Es verstärkt damit die Distanzierung. So konnte in psychologischen Experimenten nachgewiesen werden, dass Menschen in bedrohlichen Situationen mehr geneigt sind, andere Menschen abzuwerten, ja sogar zu bestrafen (s. Quellenangabe). Fremde werden dabei negativer beurteilt als die eigene Gruppe. Im Prinzip ist das auch der Mechanismus hinter den Erfahrungen von asiatischen Menschen zu Beginn der Pandemie: Siehe Hashtag "#ichbinkeinvirus".
Ursache 2: Psychologie der Gruppe in der Krise
Im Verlauf der Evolution konnten Menschen nur überleben, wenn sie sich zusammenschlossen. Wird eine Gruppe bedroht, muss sie auch als Gruppe handeln können, sprich: es ist Koordination notwendig. Deshalb fordern Menschen Führung ein. Es schlägt die Stunde der Macher und Gestalter. Je eindeutiger und klarer diese Entscheidungen treffen, desto reaktionsschneller ist die Gruppe und das ist ein großer Vorteil gegenüber anderen.Auf ihrem Weg, Kontrolle über die Bedrohung zu gelangen, erlebt die Gruppe in dieser Phase, dass jetzt die Führungspersonen die Kontrolle über ihr Verhalten übernehmen und sagen, was zu tun ist: Ausgangsbeschränkung, nur bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten dürfen sein, Maskenpflicht etc.
Diesem erneuten Kontrollverlust wird, je länger er empfunden wird und je grösser die Gruppe ist, bald anders begegnet: Mit Infragestellen der Autorität. Es schlägt die Stunde der Anti-Führungspersonen. Jetzt sind wir bei Wodarg, Bhakdi et al. angelangt.
Merkmale von Anti-Führung
Dabei ist es nicht deren Absicht, Menschen in Gefahr zu bringen, sondern sie sind ebenfalls Ausdruck des Bemühens, wieder Kontrolle über das eigene Leben zu erlangen. Nur geht es diesmal in Opposition zu Führungspersonen.Diese neue Stossrichtung erfordert, dass es weniger auf sachliche differenzierte Erklärungen ankommt, geht es doch nicht um ein Sachthema (die Bedrohung), sondern um ein Zwischenmenschliches (Führung). So ist es zu erklären, dass Leute wie Wodarg, Bhakdi etc. weniger mit detaillierten Erklärungen der Forschungsdaten operieren, sondern anderes anführen:
- das alles sei gar nicht so gefährlich, es wird aufgebauscht (Gefahr minimieren oder verneinen)
- Tests sind nicht richtig, sondern sie wurden aus finanziellem Interesse entwickelt (Anführen fachfremder Motive)
- ich bin Lungenarzt, ich verstehe etwas davon (Autoritätsargument)
- was ich sage, kann jeder anhand der Grafik / Statistik sehen (Exklusion anderer Meinung von vornherein)
- es sind ja nur Alte und Vorerkranke und selbst davon müsse nur ein geringer Prozentsatz auf die Intensivstation, das Virus allein tötet ja gar nicht so (Minimieren der Universalität der Gefahr auf bestimmte Segmente) etc.
- es ist nur ein Schupfen-Virus und die Videoaufnahmen aus Italien sind gefaked
Wenn zum Beispiel ein Finanzexperte eine Grafik hernimmt, die zeigt, dass die Infektionsrate des Virus bereits vor dem shutdown zurückging und dann nicht nennenswert mehr, und dann daraus schliesst, dass der lockdown keinen sonderlichen Einfluss hatte, dann ist das bestenfalls unsauber formuliert, im schlechtesten Fall versteht der Mann nichts von Statistik.
Nur ein Einwand zur Erklärung: Dass nach dem shutdown in der Grafik die Infektionsrate statistisch nicht nennenswert zurückging, liegt auch daran, dass die Tests weiter hochgefahren wurden. Je mehr Tests, desto kleiner die Dunkelziffer, desto mehr Fälle, desto höher die Werte in der Statistik. Wurde dies aus der Grafik herausrechnet? Der Verkünder schweigt. Er präsentiert damit eine unsaubere Interpretation der Grafik. Es braucht mehr, als nur die Daten abzulesen.
Daneben kommen fast täglich neue Phänomene und Erkenntnisse herein. In GB gibt es zum Beispiel plätzlisch schwere Krankheitsverläufe bei Kindern, die womöglich mit Corona in Verbindung stehen. Das wäre womöglich neu. Wer weiss? Aber die Asusagen der Anti-Führer geben vor, zu wissen.
Die Schlussfolgerung aus all dem ist jedoch: All die Massnahmen sind so nicht nötig, es ist gar nicht so schlimm, Wir können selber wieder mehr eigene Kontrolle haben, als uns die Führung bislang zugesteht.
Anti-Führungspersonen sind sozusagen Repräsentanten des alten sozialen System vor der Krise, das ohne die verordneten Beschränkungen existierte.
Aber warum folgen manche Menschen lieber den nicht differenzierten Erklärungen? Andere Menschen tun genau das Gegenteil!
Die Urteile des Publikums: Das Elaboration Likelihood Modell
Die Sozialpsychologie hat mit Richard E. Petty und John T. Cacioppo und ihrem Modell beschrieben, wie sich Überzeugungen bei welcher Argumentation ändern. Deren Elaboration Likelihood Modell beschreibt, wie eine Information auf den Empfänger trifft und von ihm verarbeitet (elaboriert) wird:- Ist der Empfänger sehr motiviert und fähig, die dargebotene Info mit hohem Aufwand durchzuarbeiten, spricht man von "zentraler Verarbeitung". Der Betreffende wägt ab, will verstehen, geht dem nach, holt sich verschiedene Perspektiven, hinterfragt, lotet die Wissensbestände dazu aus und erhofft sich einen neuen Erkenntnisgewinn.
- Fühlt er sich aber vom Thema persönlich wenig oder weniger betroffen, hat keine ausreichende Motivation, sich durch den komplexen Stoff durchzuarbeiten, will keinen großen Erkenntnisgewinn, so spricht man von peripherer Verarbeitung: Wichtiger als Sachargumente sind jetzt zum Beispiel Attraktivität, Bekanntheit, einfache Sprache des Informationsgebers, seine Bezeichnung, Titel, Auftreten, seine Institution etc. ...
Da das Publikum meistens nicht aus Wissenschaftlern besteht, also im Endeffekt auch weiss, dass es letztlich nicht wirklich beurteilen kann, ob nun die Daten wissenschaftlich korrekt interpretiert werden oder nicht, sucht es nach anderen Anzeichen, die in ihm Vertrauen erwecken. Das väterlich wirkende Auftreten von Wodarg oder die ruhige Art von
Bhakti werden als so vertrauenserweckende Signale gedeutet, ebenso die
emotionale Wucht mancher alternativer Mediensprecher als Zeichen von
Authentizität. Denn wer könne schon sagen, dass Gefühle lügen?
Dazu kommt, dass das Publikum wohl mehr aus nicht-Infizierten, also weniger persönlich Betroffenen, besteht. Wir wissen: Je weniger persönliche Betroffenheit herrscht, desto eher gehen die Menschen den Weg der peripheren Verarbeitung.
Wir sehen: Das Elaboration Likelihood Modell kann die Phänomene, die jetzt stattfinden, gut erklären.
Die weitere Entwicklung
Je mehr Gegenwind, desto mehr fühlen sich die Anti-Führungspersonen in ihrem Kurs bestätigt. Auch damit lässt sich der eigene Status aufwerten, denn Opfer verdienen Beachtung. Wer dem nicht folgt, ist schlecht. Wiederum springt unser emotionales System an und drängt zur Distanzierung.Die Folge: die Kluft zwischen Führungspersonen, ihren followern und Anti-Führungspersonen und ihren followern wird tiefer und verfestigt sich. Die Auseinandersetzungen werden härter, der Eindruck, dass es sich inzwischen um eine Art Glaubenskrieg handelt, ist nicht mehr nur eine Metapher.
Fazit
Während also auf der Oberfläche es um die Wahrheit geht, sind es die psychologischen natürlichen Muster, die uns in solche Entwicklungen hineindrängen. Ohne Kenntnis der psychologischen Mechanismen ist die Wahrscheinlichkeit einer Selbsttäuschung vorprogrammiert. Nicht mehr, auch nicht weniger.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen