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23. März 2019

Christchurch, Amokläufer, Attentäter und wie die Gewalt sich ausbreitet

Christchurch, New Zealand: Das Töten von Menschen
Die erste Schockphase über das Attentat von Christchurch ist vorbei. Trauer und Bestürzung
übernehmen. Dagegen sind sie alle in der Berichterstattung, nur nutzen Leute aus einem bestimmten politischen Spektrum ihre online-Kanäle, um das Verbrechen so zu kommentieren, daß ihre ideologische Weltssicht weiter gestärkt wird. Rationalisierung heißt der psychyologische Fachbegriff dafür. Statt dessen versucht dieser Beitrag eines zu beantworten: Wie ist die Tat und zwei ihrer Eigenheiten psychologisch zu sehen?

 Eigenheit 1: Streaming


Bisher ist mir noch kein anderes Attentat bekannt, bei dem der Täter seine Handlungen live gestreamt hat. Und als eine Art Kampfschrei rief er dazu auf, bei dem größten Youtuber zu subscriben. Was soll das?



Es gibt diese Videos von Enthauptungen durch den IS, aber live stream ist eine andere Qualität. Was beiden allerdings gemeinsam ist, daß es um Reichweite geht.

Die Welt soll sehen, was die Urheber zu tun in der Lage sind und die Welt soll erschaudern. Das ist Terror im wortwörtlichsten Sinn. Es ist Töten durch Überzeugung. Die Bekanntgabe und der Wunsch, daß es Verbreitung findet, ist fundamentaler Bestandteil des Verbrechens.


Die Folge: Alle, die den live stream verbreiten, teilen und anschauen, sind Teil des Plans. Der Verbrecher rechnet damit, und er behält Recht. So sind social media Plattformen heute.

200 Leute sollen anscheinend den live stream online verfolgt haben. Niemand hat es der Plattform gemeldt. Erst 12 Minuten nach dessen Ende. Dann ging es rasant nach oben. Geteilt, angesehen, weiterverbreitet ging das Video in die Millionen. Millionen wurden auch automatisch gelöscht. Aber egal wie schnell die Löschalgorithmen zuschlugen, klar wurde: Es ist nicht alles einfangbar, was ins Netz geht.


Der Täter hat sein Ziel, wenn auch abgespeckt, erreicht: Schrecken zu verbreiten, Tod zu sähen und Anerkennung bei seinen Gleichgesinnten zu ernten.

Es ist diese Anerkennung, die den Köder darstellt. Egal, ob andere die Tat verurteilen, als Verbrecher kann ich mir meine Anerkennung allein aus den Zuschauerstatistiken holen, zusammen mit der medialen Aufmerksamkeit, mit der mein Gerichtsprozess verfolgt wird. Öffentlichkeit nutzt mir. Ich kann meine Weltsicht zur Schau tragen und mich gleichzeitig als deren Verkörperung emporheben. Ich bin nicht nur einer. Ich bin eine Idee. Und als Idee bin ich größer. Ich bin ein Kollektiv. Andere sehen mich nun. Andere haben mich gespürt. Ihr Restlichen werdet es noch.

Bei dem ersten Gerichtstermin spähte er nach der Kamera und mit seinen in Handschellen gefesselten Händen formte er seine Finger zum Symbol der White-Power-Bewegung. Ein unmissverständliches Signal: er will sein Verbrechen politisch verstehen.


Entsprechend ist der Verbrecher psychologisch nicht beeinträchtigt.

Darauf sind die Psychiater bei Anders Breivik 2011 in Norwegen "hereingefallen". Jemand mit einer solchen abstrusen Weltsicht, so die Vorannahme damals, das klingt sehr nach den Wahnvorstellungen und paranoiden Patienten, mit denen es psychiatrische Abteilungen auch zu tun haben. Daß aber Abstrusitäten nicht immer Ausfluss einer psychischen Störungen, sondern Ergebnis einer politischen Ideologie aus rationalen Köpfen sein könnten, lag den Psychiater fern. Erst nach anderen Gutachten wurde das klar.

Inzwischen dürfte klar sein:

Terrorismus, Rassismus, abstruse Fantasien sind mit Rationalität kombinierbar. Schließlich ist Rationalität inhaltleer. Alles, was sie braucht, ist Logik, planerisches Denken, Risikoabwägung und Entschlußkraft. Was man damit bezweckt, ist für Rationalität irrelevant.

Eigenheit 2: Die Konsumenten des live streams

Wer schaut sich so etwas an? Jedenfalls ziemlich viele. Facebook hat nach eigenen Angaben in den ertsen 60 Minuten 1,5 Millionen Kopien des Videos gelöscht. Das heißt, 1,5 Millionen haben es geteilt und weitergeleitet. Warum?

Die nächstliegende Vermutung: Weil die Plattform dazu da ist. Es geht darum, wichtige (auch unwichtige) Dinge zu teilen. Überhaupt ist Teilen und Vernetzen der Sinn von social media. Entsprechend leicht ist es nur mit einem Mausklick geschehen. Entsprechend leicht wird man und sein Account durch Aufmerksamkeit dafür belohnt. Wahrscheinlich folgten viele der Nutzer einfach nur ihren antrainierten Reflex: "Oh, mein Gott, sieh dir das an!"

Es sind keine schlechten Menschen, eher solche, die in er Situation nicht gedacht haben. Womöglich waren sie auch im stream selbst zu fasziniert von dem Schlechten, was da passierte. Ähnlich wie die Autofahrer, die an einem Unfall extra langsam vorbeifahren (und auch noch mit ihren handys filmen). Social media ist Aufmerksamkeitsplattformen inklusive Empörungsturbo. Was eignet sich besser, als beim Töten zuzuschauen und Entsetzen zu teilen?


Und das ist das Perfide:

Der Drang nach Aufmerksamkeit, gemessen an der viralen Verbreitung, bedeutet gesehen werden und ist in Algorythmen ausgedrückte Anerkennung: Du bist wichtig. Dies eint Verbrecher und online-Verbreiter in perverser Weise. Was der eine bewusst tut, ist die Suggestion für die anderen, ihn politisch zu untersützen: Die Weiterverbreitung seiner Tat als Botschaft.


Wie kommt man damit klar?

Wenn Niklas Luhman, jender herausragende "Konstrukteur" der Systemtheorie als bislang elaborierteste Gesellschaftstheorie, sagte: "Alles, was wir über die Gesellschaft wissen, wissen wir aus den Massenmedien", dann ist klar: Jede Kommunikation über den Verbrecher in Christchurch nutzt den Verbrecher. Das macht es schwierig. Denn schließlich kann man nach Watzlawick nicht "nicht kommunizieren". Was also tun?

Neuseelands Premierministerin hat gute Wege gefunden. Sie weiß anscheinend, daß das Streben nach Aufmerksamkeit fester Bestandteil des Verbrechens ist und sie hat mit Kopftuch bei den Angehörigen der Opfer und mit arabischer Grußformel im eigenen Parlament dem live stream als neue Qualität ebenfalls eine neue Qualität von politischen Zeichen entgegengesetzt. Nur waren diese Zeichen ausschließlich in Hinblick auf die Opfer und ihre Angehörigen gerichtet. Nichts gab Verbindungen zum Täter. Er war in ihren äußerlichen Handlungen buchstäblich totgeschwiegen.

Mit dieser Art von Schweigen hat Premierministerin Jacinda Ardern gezeigt, wie zu sprechen und was zu zeigen ist in der Kommunikationsgesellschaft. Und daß beides in eine Richtung unmißverständlich deutet. Das ist der Weg.

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