Ok, 2016 war mies:
- David Bowie ist gestorben
- einer meiner Lieblingpoeten ist tot: Leonard Cohen
- Donald Trump ist gewählt
- die Gewalt hat spürbar zugenommen
- Hass ist anscheinend Alltag
Eine Klientin, in dem Alter, in der man im Beruf Fuss gefasst hat und die Familienphase beginnt. Das Problem jedoch lag in ihrer Kindheit. Sie war vom Onkel in der Zeit, als sie zwischen acht und zwölf Jahre als war, regelmässig missbraucht worden. Das mag jetzt zynisch klingen, aber wenn ich sage, dass das nicht das ist, was mich noch schockiert hat, dann ist das der Tatsache geschuldet, dass so etwas beileibe kein Einzelfall in meinem therapeutischen Dasein war. Vieles, was so als gute alte Zeit, in der noch alles in Ordnung war, heute gehandelt wird, war in Wirklichkeit, schaut man etwas genauer hin, Fassade. Dahinter zeigt sich oft genug eine Fratze.
Was mich trifft, ist die Gleichgültigkeit, mit der so manche Verwandte diese Vorfälle bis heute zu begatellisieren versuchen. In diesem Fall war es (wieder mal) die Tante und wie sie reagierte, als sie damals das Mädchen nach ihrem Suizidversuch aus der Klinik abholte: "Wenn du das nochmal machst, schlag ich dich so, dass du das Krankenhaus wirklich brauchst!" (Den Satz kenne ich bereits. Es war nicht das erste Mal in meiner Praxis.) Sie wirkte irgendwie auch noch stolz, als sie das mir erzählte. So nach dem Motto: "Jetzt hab ich es ihr aber gesagt!"
Das sind die Momente, in denen ich als Therapeut innerlich ziemlich zu arbeiten habe. Ich muss mit der Wut umgehen, die immer in mir auftaucht, sobald ich so etwas begegne. Gleichzeitig muss ich natürlich meine Klientin schützen, die neben der Sprecherin sass und stummt und starr wurde bei dieser Erinnerung. Daraus folgt, dass ich der Tante das nicht durchgehen lassen darf, wobei ich bedenken muss, dass meine Klientin auf deren Wohlwollen angewiesen ist, weil sie deren vermietete Wohnung braucht. (Die Mietpreise auf dem Markt sind in dieser Gegend nicht so, dass nicht jedes Monatsgehalt zum Leben ausreicht.)
Und gleichzeitig frage ich mich dabei, wie weit die Verrohung schon in die bürgerliche Mitte der Gesellschaft vorangeschritten ist.
Als Therapeut weiss ich natürlich, dass Empathie eine natürliche Eigenschaft ist, aber durch Erziehung und Umgebung so ziemlich abtrainiert werden kann. Böse gesagt: Verrohung kann man "züchten".
Meine Meinung mag umstritten sein, aber ein aberzogenes oder durch das Elternhaus nie gelerntes Empathievermögen halte ich langfristig gesellschaftlich für schädlicher als die Taten der Missbraucher. Männer und Frauen, die sich an Kindern vergreifen wird es immer geben. Ganz einfach weil es Verbrecher immer geben wird. Aber eine Gesellschaft, der die Empathiefähigkeit abhanden kommt, geht der Fähigkeit verlustig, dagegen rechtzeitig vorzugehen.
Kinder können sich nicht wehren gegen Verbrecher. Doch die Umstehenden, die nichts tun und bagatellisieren, sind die, die es ermöglichen, dass die Verbrecher ihr Unwesen länger treiben können. Menschen, denen Gewalt angetan wurde, brauchen auch nach Abarbeitung der iuristischen Prozesse das Gefühl, dass Menschen ihnen wohlwollend zugetan sind. Sie brauchen die Erfahrung, dass sie "gesehen" werden. Emotionale Kälte dagegen ist immer Gift.
Therapie kann einiges tun, aber sie kann nichts schaffen, was nicht existiert. Ich bin Hypnotherapeut. Ich kann stützen, ich kann die Ressourcen und coping-Mechanismen fördern. Ich kann bei der Verarbeitung helfen. Ich kann helfen, dass das Leben besser werden kann. Was ich nicht kann, ist, die Umgebung zu zwingen, ihre eigene persönliche Ethik in puncto Umgang mit Mitmenschen zu ändern. Selbst wenn es noch so geboten scheint. Vielleicht kommt die Tante ja irgendwann selber auf die Idee, aber ich bezweifle, dass sie die geistige Grösse besitzt, vor sich selbst ihre emotionalen Defizite zugeben zu können.
Jedenfalls: für dieses Jahr reicht es. Ich schliesse mich John Oliver an:
Bis nächstes Jahr!
Ihr systemischer Therapeut und Hypnotherapeut
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