Für unser Wort "Krise" haben die Chinesen einen interessanten Ausdruck, Wei ji, zwei Worte: "Gefahr" und "Gelegenheit", also Gelegenheit zur Umkehr.
(Otmar Wassermann)
Ich hab irgendwo gelesen, dass dieses bonmot auch Richard von Weizäcker in einer seiner Reden verwendet hatte. Der Satz klingt nett und passt hervorragend in eine der oberen Ecken einer Poiwerpointpräsentation, wie das Handelsblatt einst anmerkte. Aber darüber hinaus sollte er eigentlich keine Wirkung haben. Denn er ist schlichtweg falsch.
Falsch, weil es im Chinesischen so nicht steht.
Falsch, weil er der Natur einer Krise widerspricht.
Falsch, weil er unserem Empfinden widerspricht.
Das Wort Krise besteht aus zwei Schriftzeichen. Das erste heißt Gefahr. Das zweite meint "die gute Gelegenheit treffen". Während das erste Zeichen als Wort auch alleine stehen kann und damit eine eindeutige eigene Gewichtung hat, besitzt das zweite Zeichen diese Qualität nicht. Das bedeutet: auch im Chinesischen dominiert beim Wort Krise eindeutig die Gefahr, nicht die Chance.
Eine Krise ist eine Krise ist eine Krise!
Auch in China bricht niemand in Jubel aus, wenn das eigenes Kind totkrank wird, der Ehepartner fremd geht, die Börse crashed oder die Inflation steigt, weil das alles nur Chancen sein sollen. Wenn es so wäre, dann wüssten alle Griechen gerade nicht, wohin mit den ganzen Chancen. Blödsinn!Krise bedeutet in erster Linie Gefahr. Alles andere ist Pseudolyrik halbgebildeter Unternehmensberater, die von dem, über das sie reden - die chinesische Sprache - nur über halbwissen verfügen und anscheinend zu faul zum recherchieren sind.
Krisenbewältigung geht ohne irgendwelche chinesische Pseudo-Spracherklärung
Eine Krise ist eine Krise! Genau so ist es in unseren gefühlsmäßigem Erleben.Nun ist es angesichts einer ernsten Gefahr natürlich leicht, in Panik zu geraten. Denn für den Betroffenen steht viel auf dem Spiel. Wie man aber angesichts der Gefahr damit umgeht, wie handlungsfähig man bleibt, das hängt von anderen Dingen ab:
- Wie vorbereitet und geschult ist jemand im Umgang mit der Gefahr?
- Wie viel Druck macht man sich selbst noch zusätzlich zu dem, der eh schon da ist?
Neben den persönlichen Unterschieden, dominieren vor allem kulturelle.
In asiatischen Ländern, in denen zum Beispiel Katastrophisieren und Dramatisieren verpönt ist, in Ländern, in denen man nicht mit sozialen Kontakt und emotionale Nähe belohnt wird, wenn man jammert, "wie schlimm die Dinge für einem sind", werden andere Bewältigungsmechanismen ausgebildet wie in Ländern, in denen das Sich-Ausagieren toleriert wird.Japan zum Beispiel hat eine jahrhundertelange angesehene Kultur des Scheitern entwickelt, die aus der alten Kriegerkaste stammt. Die oft erwähnte stoische Art, wie zum Beispiel die Fukushima-Katastrophe hingenommen wurde, ist nur ein Example dessen, wie man mit Leid, das nicht veränderbar ist, umgehen soll - in deren Weltsicht.
Oder nehmen wir stark buddhistisch geprägte Länder: Der Buddhismus vermittelt, dass Leben in erster Linie nicht Glück und Selbstverwirklichung bedeutet, sondern dass Leid im Leben unabdingbar ist. Eine Katastrophe ist also nichts, was aus der "Reihe tanzt". Im Gegensatz zum Westen.
Bei uns geht es mehr um das Siegen. Entsprechend weniger sind wir für das Scheitern gerüstet.
Nehmen wir die Krise als das, was sie ist, eine ernste Gefahr!
Entwickeln wir doch besser einen Lebensstil, der uns angesichts der Gefahr handlungsfähig bleiben lässt. Denn Gefahren lassen sich nicht vermeiden.Leid ist nicht vermeidbar, sagen Buddhisten. Aber ohne die Fähigkeit zu handeln, sind wir in unseren Lösungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Und das braucht niemand angesichts ernster Gefahr.
Es gibt Lebens- und Denkstile, die besser geeignet sind, um mit Problemen fertig zu werden. Unser westlicher Ansatz hat Defizite. Wie jeder Ansatz. Wahrscheinlich ist dies der Grund für den Boom an buddhistisch instirierten Psychotherapiemethoden wie Achtsamkeit. So kritisch ich das auch sehe, das östliche Denken hat einiges, was uns weiterhilft. Zeit, etwas davon zu lernen.
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