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21. März 2015

Brustkrebs und Partnerschaft: Mit der Belastung umgehen

English: breast cancer (inverted nipple, lump,...
Brustkrebs (eingezogene Brustwarze, Tumor, Hauteinziehung)
(Photo credit: Wikipedia)
Chantal ist 34. Sie hat Brustkrebs. Das ändert alles. Nichts ist mehr so, wie es war. Ihr Busen musste entfernt werden. Schlimm für sie. Schlimm für ihen Mann.

Die Aufbautherapie schaffte es aber wieder, dass sie weibliche Brüste bekam. Allerdings, so groß wie vorher, wurden sie nicht mehr. Und sie waren asymmetrisch. Das brachte Probleme in der Partnerschaft mit sich.

Wie damit umgehen? Lesen Sie im folgenden über das, ein Paar einen Ausweg fand.

War genau war jetzt die Schwierigkeit?

Ihr Mann hatte Probleme damit. Er warf ihr vor, dass er deswegen "keinen Steifen mehr bekommt" (ich zitiere hier nur). Er wollte gerne wieder Sex, aber für ihn sah es einfach zu hässlich aus, als dass das ginge. Er stünde auf große Brüste, aber nach der OP (sie war auch schon vorher durch Mutter Natur nicht unbedingt damit bedacht) war daran für ihn überhaupt nicht zu denken. Das alles gefährde ihre Beziehung, sagt er.

Brustkrebs, Sex und Zueinander

Bei diesem Paar war der Sex auf Null zurückgegangen. Überhaupt, sich einander nackt zu zeigen, war nicht mehr drin. Wenn sie aus der Dusche kam, wickelte sie sich in ein großes Handtuch ein, damit er ihren Körper nicht sehen musste.
Sie will leben. Sie will Sex. Sie fühlt sich als Frau minderwertig.

Natürlich ist es jetzt ganz leicht, ihn als unreif zu beurteilen. Hat eine Therapeutin bereits gemacht. Sorry Kollegin, das ist in unserem Job ein Kunstfehler. Wir sind Therapeuten, keine Moralapostel. Aber das ist nicht Thema.  Er ist kein kalter oder zynischer "Großtittenfetischist". Er weint nachts wegen der Situation und findet keinen Ausweg. Zu sagen, er soll einfach umdenken, ist billig. Wenn das funktionieren würde, hätte er es selber hingekriegt.

Hier ein paar Parameter, die die Arbeit mit einem solchen Paar bestimmen werden:

  • körperlich wird es nicht mehr wie früher. Medizinisch ist das anscheinend klar. Möglich wäre noch Silikon … aber nach der Krebsgeschichte hat sie Angst vor Eingriffen. 
  • es ist ihr Körper und das heißt auch, sie hat das letzte Wort, was daran für Eingriffe erfolgen. 
  • beide werden mit der veränderten Körperform irgendwie klarzukommen haben (ich schreibe bewusst "beide", denn eine veränderte Brust zu haben, bedeutet für "beide" eine Herausforderung)
  • es handelt sich um eine Körperpartie, die für die sexuelle Identität für sie und für ihn mehr Bedeutung hat als andere (ein ranking zu veranstalten, für wen es jetzt mehr ist und für wen weniger, ist Zeitverschwendung, denn es geht um ihre Beziehung und da sind beide beteiligt.)
  • keiner der beiden hat den anderen geheiratet, um er / sie jemand hat, der für Sex zur Verfügung steht. Dass ein veränderter Busen so große Folgen haben würde, hätte keiner gedacht.
Fazit: Beide brauchen Hilfe. Was sie nicht brauchen, sind Leute, die moralisch urteilen.

Warum ich so darauf herumreite: 

Es gibt leider viele Leute, die bei so etwas zur Hetzjagd aufrufen. Für diese Menschen ist es wichtig, zu beurteilen, was für ein schlechter Mensch er sei oder wie dumm sie sei, dass sie bei ihm bliebe.  Vielleicht meinen es einige davon gut, aber das tun auch Leute, die Öl ins Feuer schütten, um zu löschen.

Ich selbst mag die Moralapostel nicht. Diese Leute sind keine Lösung, sondern nur Problemverstärker. Wenn sie wichtig wären, würde ich mal einen post über sie schreiben.



Zurück zum Thema:

Wie geht man mit solchen Dingen um - (m)eine Art Therapie

Eine Vorbemerkung: In unserem Leben haben wir alle gelernt:

Wir werden kritisiert, immer und überall. Jeder hat ein bestimmtes Raster im Kopf und meint, daran die Welt messen zu können. Unsere ganze Erziehung ist nichts weiter, als ein Überstülpen von Rastern, nach denen sich bitteschön wir uns zu richten haben. Es wird uns auch von unseren Eltern, Lehrern und anderen so verkauft, als hätte es damit seine Richtigkeit.

Es hört nie auf: Im Beruf werden wir bewertet, in Mitarbeitergesprächen, in Zielvereinbahrungsgesprächen, in Jahresgesprächen, in Sitzungen, in Vorstellungsgesprächen, in Kritikgesprächen .... immer gibt es jemand, der seinen Senf über uns dazugibt. Unsere ganze Zivilisation scheint zu beinhalten, sich über andere auszulassen.

Und wenn es dann einmal still sein sollte, urteilen wir noch über uns selbst. Und die meisten Urteile sind negativ. Wenn dann noch so ein großer Einschnitt wie der Brustkrebs kommt ...

Therapie heißt für mich u.a., Menschen einen Raum zu bieten, in dem das Urteilen einfach mal Pause hat. Dort zu sein, wo solche Urteile keine Rolle spielen, ist ungeheuer befreiend, sagen meine Leute.



Was wir verloren haben

Was all diese Urteile machen, ist, dass sie etwas als verloren etablieren: die Fähigkeit, uns wirklich auf die Gegenwart einzulassen. Statt dessen haben wir immer schon eine Schere im Kopf, die den gegenwärtigen Augenblick in mindesten zwei Hälften schneidet:

In die Hälfte, mit der wir wahrnehmen, was gerade stattfindet, und in die, die das alles kommentiert und beurteilt und uns damit von der Erfahrung des Augenblicks wegzieht. Anders ausgedrückt: Untere Kommentarfunktion entfernt uns von direkten Leben.


In der Regel ist dieses Verhalten, das uns vom direktem Erleben wegführt, so lange eingeübt worden, dass wir gar nicht mehr merken, dass es stattfindet. Geschweige denn, dass wir noch wissen, wie wir wieder daraus aussteigen.

Denn selbst wenn wir merken, dass wir wieder kommentieren, anstatt die Situation wahrzunehmen, fällen wir auch über unser Kommentieren noch ein Urteil, sozusagen ein Urteil über das Urteil. Damit gewinnen wir gar nichts, wir vergrößern nur das Problem.

Er sagt, sie sei hässlich und deshalb kriege er keinen hoch. Sie urteilt, dass er ihr damit schlechte Gefühle macht. Ein anderer Therapeut urteilt, er sei unreif … so geht es immer weiter. Urteil auf Urteil. Und jedes Urteil produziert automatisch neue schlechte Gefühle. Statt dass es eine Lösung gibt, vergrößert sich das Problem immer mehr.


Wie ging es in dem konkreten Fall weiter?

Ich musste etwas tun, was die beiden alleine nicht mehr konnten: einen Gegenpol setzen. Die Lösung nämlich war, wieder zu lernen, die Gegenwart zu erfahren, statt über sie zu diskutieren. Klingt sehr abstrakt und nach Psychogequatsche, ist aber in Wirklichkeit äußerst konkret. Es geht in diesem Fall zu Beginn darum
  • Haut zu spüren ohne im Kopf zu kommentieren
  • Körper(teile) anzusehen ohne mit irgendwas zu vergleichen
  • Gedanken und Gefühle zu erfahren und diese nicht zu kommentieren

Was das helfen soll? 

Erstens wurde schon hoffentlich klar, dass die Moral Pause hat. Statt dessen geht es um das Training einer Fähigkeit: den Augenblick zu geniessen, so wie er gerade ist. Das ist nämlich einer der Kernpunkte von Sex (hoffentlich lesen das die erwähnten Moralapostel, das wird sie nämlich ärgern) :-)
 
Es musste jedenfalls schnell passieren. Denn die beiden waren dabei, ihre Partnerschaft zu verlieren. Deshalb fing jeder erst einmal bei sich an. Bei eigenen Körper, bei der eigenen Wahrnehmungsgabe. Dann, als jeder sich selber differenzierter erfahren konnte, konnten wir das Feld auf den Körper und die Gegenwart des Partners erweitern.

Es gibt viele praktische Übungen auf diesen Weg. Manche sind seltsam, manche lustig, manche macht man einfach ohne gleich den Sinn zu sehen, aber die Wirkung ist immer zu spüren. Mit den entstehenden neuen Erfahrungen verflüssigten sich die harten Fronten.


Und die tatsächliche Moral von der Geschicht

Das Ganze ist ein Einüben in etwas, das wir eigentlich einmal konnten. Wir kommen mit der Fähigkeit, uns auf die Realität einzulassen, auf die Welt. Kinder können das ganz natürlich. Aber diese Fähigkeit wird uns ausgetrieben: durch Erziehung und Schule und durch all jene, die glauben, dass Erwachsensein gleichzusetzen ist mit "sein Leben und seine Beziehungen dem Arbeitsmarkt unterzuordnen".

Dadurch bekommen wir Schwierigkeiten. Denn unsere Erziehung ist ein Kunstprodukt. Aber Künstliches ist nie so flexibel und anpassungsfähig wie die Natur selbst. Je unnatürlicher wir sind, desto weniger können wir gutklarkommen, wenn sich das, was wir als natürlich angesehen haben (zB. ein Busen), auf einmal verändert. Wir merken unsere künstliche Weltsicht im Alltag nur nicht, weil wir diese künstlichen Ansichten praktisch mit der Muttermilch aufgesogen haben. Wir tragen sie viele Jahre mit uns und halten sie für wahr.


Wir müssen zurück zur Realität. Wir müssen eine gesunde Skepsis gegenüber Weltsichten entwickeln. Das wieder zu lernen, geht nicht von heute auf morgen. Eigentlich machen meine Klienten 24 Stunden, sieben Tage die Woche Therapie, unterbrochen durch kurze Gespräche bei mir.

Die gute Nachricht ist: Es ist wie mit Radfahren. Auch wenn man es länger nicht gemacht hat, man verlernt es nicht. Wir können das, was man uns als richtig verkauft hat, hinter uns lassen und gewinnen dafür etwas besseres: ein eigenes souveränes selbständiges Leben.Was will man mehr?

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