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20. September 2014

Depression - wie es furchtbar enden kann und wie es nicht muss

Als Therapeut zu arbeiten führt einem oft in Welten, die die meisten nicht nachvollziehen können. Depression zum Beispiel. Ich selbst lerne sehr viel von den Betroffenen dabei, vor allem, dass die Welt nicht so aussieht, wie die meisten Menschen es sich vorstellen. Doch manchmal gibt es Dinge, da bleibt mir für einen Moment die Luft weg. Das war diese Woche der Fall. Schuld war eine Nachricht. Es geht um Depression, es geht um Krokodile (lebendige).

Fressen

Wir leben hier, egal wie man es dreht und wendet, in einem sehr geschützten Rahmen. Dass jemand mit Depression zu jemand gehen und ohne selber zu zahlen, sich behandeln lassen kann, ist eigentlich einzigartig. Das wurde mir wieder klar, als ich folgende Überschrift las:

Geschrieben hat es die Bangkok Post. Es gibt auch ein Foto dazu, aufgenommen von einer Sicherheitskamera: Der Körper einer Frau, der auf dem Wasser treibt, Gesicht nach unten und auf Kopfhöhe taucht aus dem trüben Wasser der Schädel eines Krokodils und treibt langsam auf sie zu.


Die Frau, um die es sich handelt, war depressiv und Suizidgedanken und Impulse sind dabei eher die Regel als die Ausnahme.

An diesem Tag ging sie in den Zoo, zog ordentlich, wie in Asien üblich, bevor man irgend ein Haus betritt, ihre Schuhe aus und sprang in ein Gehege, das ungefähr 1000 Krokodile beherbergte.

Das Aufsichtspersonal versuchte einzuschreiten, aber ehrlich ... es gibt keine Methode, 1000 Krokodile vom Fressen abzuhalten.

Das schwarze Land jenseits des allgemeinen Horizonts

Ich kann nachvollziehen, dass die Leute so etwas absolut unverständlich finden. So eine Suizidmethode - sich bei lebendigen Leib fressen zu lassen - ist jenseits aller Erfahrung. Auch der meinen. Auch jetzt schnappe ich noch nach Luft. Vielleicht noch mehr als andere. (Ich war selber einmal in einem Wasser, in dem Krokodile vermutet wurden, das ist ein sehr ungutes Gefühl) 

Trotzdem kann ich einiges an Wanpen Inyai, so hieß die Frau, die ins Gehege sprang, nachvollziehen. Depression bringt einen in Welten, die unvorstellbar sind. Man muss sie kennen, um zu verstehen.

Wer nicht selbst einmal die Grenzen zu diesem schwarzen Land überschritten hat, der redet immer irgendwie wie ein Blinder von der Farbe. So gut, so professionell, so kompetent er auch sein mag. Es macht einen Unterschied, ob man über einen Baum nur liest, ihn wissenschaftlich untersucht, ihn berührt, Anpflanzmethoden studiert und praktiziert oder an ihm hochklettert. Das schwarze Land ist eine Erfahrung immer außerhalb der eigenen Vorstellungskraft.

Methoden helfen nicht

Depression ist gut erforscht und es gibt viele Methoden dagegen. Aber der Depression ist mit Methoden nicht beizukommen. Depression ist nicht Trauer, wie bei dem Verlust eines geliebten Menschen, das ist völlig klar. Aber eines haben die beiden gemeinsam:
Wer glaubt, man befolge ein paar Methoden, um die schweren Stunden "wegzumachen" und um es damit leichter zu machen, der hat nichts verstanden.
 Genau wie der Trauer wegen Tod mit Methoden nicht beizukommen ist, liegt Depression auf einer anderen Ebene. Und auf die müssen wir uns begeben, wollen wir etwas tun.

Aber wer kann sich vorstellen, dass Depression einem eine so entsetzliche Erfahrung beschert, dass man sich freiwillig bei lebendigen Leib fressen lässt? Dass dies besser ist, als weiter in diesem schwarzen Land festzustecken?

Wer das nicht versteht, der versteht noch immer wenig. Depression ist etwas anderes als  veränderte Botenstoffproduktion, ist etwas anderes als eine Krankheit. Und eine Störung ist sie nur für die Nicht-Betroffenen. Leider übernehmen viele Betroffene diese Meinung. Sie sind dann sehr überrascht, wenn sie merken, dass ich eine andere Position dazu stelle.

Depression hat viele Dinge, die wahr sind. 

  • Das Gefühl, von allen getrennt zu sein, zum Leben nicht dazu zu gehören und nie dazu zu gehören ... dieses Gefühl ist wahr.

  • Der fundamentale Zweifel an einem selbst, weil Entscheidungen so ungeheuer schwer fallen. Und wenn sie getroffen werden, zweifelt man, ob sie richtig waren. Und der ungeheure Zweifel, ob all die Bemühungen, die man sich mit so viel Kraft und um den Preis der übermüdeten Erschöpfung abgerungen hat, überhaupt einmal was bringen ... auch das ist eine Wahrheit.

  • Die quälende Schwere und Traurigkeit, die sich bis ins Mark hineinfrisst, während gleichzeitig die Sinne, weil bestimmte Filter nicht mehr funktionieren, überflutet werden mit Reizen, während man sich selber aber irgendwie langsam durch die Atmosphäre bewegt wie durch zähe Masse .... so viel, so schnell, so klebrig. Auch das ist wahr. Und noch vieles andere.

Die Empfindungen sind so und nichts ändert es. Auch das ist wahr und noch vieles andere. Gegen Wahrheit aber helfen keine Methoden. Wahrheit ist nur lebbar und erlebbar.

Was viele über Depression nicht wissen

Die Wahrheiten, die in der Depression liegen, kann man leben. Nur ein kleines und harmloses Beispiel (aber ich denke, nach der Krokodilssache genügt das):

Ich habe es oft erlebt, dass Depression jemand zu einer (über)kritischen und zynischen Haltung gegenüber der Umwelt führt.
Doch wenn man sich dann als Therapeut wirklich einlässt,
  • wie die Umwelt des Klienten tatsächlich funktioniert, 
  • wenn man all die eigenen von bürgerlichen Moralmaßstäben (die meist eh aus einer Gesellschaft vor 20 Jahren stammen) beeinflusste Lebenseinstellungen ablegt
  • wenn man die Erlebnisse, die der Klient in seiner Umwelt macht, so nimmt, wie sie sind, 
dann kommt man nicht selten zu dem, was Oscar Wilde bereits so trefflich formuliert hat:

Ich bin durchaus nicht zynisch, ich habe nur meine Erfahrungen.


Es gibt einen Pfad aus dem schwarzen Land

Depression führt einem Einblicke vor Augen, die anderen verschlossen sind, weil sie den Blick dafür nicht haben. Diese Wahrheiten sind es, die aus dem schwarzen Land führen. Öffnet man sich ihrer, anstatt dagegen zu kämpfen, bildet sich ein Weg in die Zukunft. Wahrheiten kann man nämlich nicht eliminieren, höchstens ständig gegen sie kämpfen oder wegdrücken. Das kostet ungeheuer viel Energie und führt immer zur Erschöpfung. Integriert man statt dessen die neuen Einsichten, wird das Leben leichter.

Nicht kämpfen

Depression ist ein Abschnitt auf dem eigenen Lebensweg. Er muss genau so begangen werden, wie die anderen Abschnitte. Es gibt keine Abkürzungen. Sie können ja auch Ihre Jugend nicht abkürzen oder wegmachen, auch nicht Ihre Pupertät oder Ihr Altern. All das sind Abschnitte auf dem Lebensweg.
Depression ist und kann gelebt werden, wenn wir sie als Teil unseres Lebensweges sehen können, wie alle anderen Teile auch. Dann zeigen sich Türen aus dem schwarzen Land.

Ich wünschte, Wanpen Inyai, die Frau, die ins Krokodilgehege sprang, hätte jemand gehabt, der ihr Fingerzeige auf diese Türen hätte geben können. Ich wünschte, viele würden weniger auf Methoden, sondern mehr auf die existentielle Dimension achten, die in der Depression liegt. Letzteres wünsche ich für Behandler und Patienten gleichermaßen. Damit wird es leichter.

Das alles ist nicht so einfach, wie es sich schreibt. Die Hölle hat viele Wohnungen und meiner Meinung nach ist Depression eine davon. Aber das schwarze Land hat Grenzen. Auch das ist wahr.

2 Kommentare:

  1. Anonym21.9.14

    Dass Depression auf lange Sicht etwas Existentielles ist, das sehe ich auch so. Wenn einem auch vorübergehend die Medikamente heraus helfen, was nicht zu unterschätzen ist. Danach muss man aber lernen, richtiger als vorher, richtiger vielleicht auch als andere mit sich selbst umzugehen.
    Mir hat einmal etwas eher Unkonventionelles aus einer Depression heraus geholfen, nämlich die Entwicklung von Tatkraft, als Gegengewicht zu einer allzu regen Geistestätigkeit gewissermaßen. Hilfreiche Wegmarken waren so kluge Sätze wie „der Weg ist das Ziel“ oder eine ganz einfache Übung, nämlich stets das zu Ende zu bringen, was ich mir gerade vorgenommen hatte. In vielen kleinen Dingen und in vielen einzelnen Schritten habe ich diese Übung absolviert. Mit der Zeit verdankte ich ihr das Aufbauen eines ganz neuen Selbstvertrauens, das realitätsgerechter als vorher war und mich zufriedener machte.
    Ein drittes, das mir half, war der Vorsatz, mir selbst gegenüber zuverlässiger werden zu wollen, mir und anderen ein eher wünschenswerter Partner. Ideen dazu hatte ich immer. Das hat einige Zeit gebraucht, weil ich es zuvor eher vom Leben als von mir erwartet hatte.
    Mit der Zeit habe ich erfahren: Andere Menschen schätzen und achten es an einem, wenn man sein eigenes Ding macht, egal wie man ist. Als ich leidlich gut mit mir selbst umzugehen lernte, funktionierte es auch mit anderen besser, würde ich aus der Rückschau sagen. Irgendwo dazwischen hat sich auch das Gefühl nicht dazu zu gehören verflogen.
    Ich weiß nun aber nicht, ob das, was mir geholfen hat, auch ein Rezept für andere ist. Das müssen Se selbst entscheiden.

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    1. Was Sie anmerken, ist etwas sehr Richtiges.
      Eine der Wahrheiten, auf die einem die Depression (mit allerdings zuweilen wahnsinnigen Druck) stösst, ist, dass das echte Leben immer im Augenblick und im Kleinen stattfindet. Die vielen kleinen einzelnen Dinge sind das, was unser Leben prägt, nicht das schnell-schnell-immer-höher-weiter-mehr. Deshalb funktioniert auch "Achtsamkeit", wie es heute heißt, gut.

      Depression zwingt uns zu kleinen Minnischritten. Damit führt sie uns eigentlich zurück zum eigentlichen Leben.

      Man muss nur vorsichtig damit umgehen, denn wenn man mitten drin steckt, ist man innerlich oft woanders.

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