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8. März 2014

Gewalt in Beziehungen - früh gelernt in Deutschland

Gewalt Liebe Zeit
Gewalt Liebe Zeit (Photo credit: mueritz)
Anlässlich der aktuellen EU-Umfrage über Gewalt gegen Frauen am Internationalen Frauentag eine wichtige Ergänzung:

Gewalt wird früh gelernt. 

Während die EU-Studie Länder vergleicht, gibt es eine aktuelle deutsche Studie, die sich mit Teenagern beschäftigt.

Und so sieht es da aus: Fast zwei Drittel der Jugendlichen erleben in ihrer Beziehung körperliche und psychische Gewalt.


Meistens kann man mit 15 noch nicht so viel tun. Man ist nicht geschäftsfähig. Aber man kann sich Hals über Kopf verlieben. Und zwar bedingungslos, wie es eben mit 15 möglich ist. Das allein ist schon äußerst stressig. Wenn es dann noch jemand ist, dem zuweilen die Hand ausrutscht, dann wird es äußerst schwierig. In Deutschland ist das kein Einzelfall.

Wie es beginnt

Dabei fangen solche Beziehungen an wie die meisten: Geigen am Himmel, Geschenke, Blumen beim ersten date, Kuchen und Herzsymbole. Die große Liebe eben.

In dieser großen Liebe erleben zwei Drittel der Jugendlichen, so die Fuldaer Studie unter 14 bis 18jährigen in Hessen, Gewalt: 66 Prozent der Mädchen, 60 Prozent der Jungen. Da geben sich die Geschlechter nicht mehr viel.
Die Forscher vermuten, dass die eigentlichen Zahlen noch höher sind.

Die häufigste Gewalterfahrung unter den abgefragten Gewalterfahrungen - körperlich, psychisch, sexualisiert - war dabei: psychische Gewalt.

Es fängt an mit kleinen Kontrollen, SMS lesen wollen zum Beispiel. Dann folgen die Anrufe. In immer kürzeren Abständen. Der Ton wird anklagender. Wütender. Kürzer. Beschimpfungen, eingemengt in Heul- oder Schreiausbrüchen charakterisieren schließlich das Zusammensein.

Jemand wartet zwei Stunden und es kommt kein Anruf. Wenn dann derjenige endlich auftaucht, gibt es Vorwürfe, er oder sie kontert ...WUMM! Die erste Ohrfeige flutscht fast wie ein Reflex aus der Hand. Ab einem gewissen Stadium genügt eben ein "kleiner" Anlass.

Was dann folgt ist eine kurze Stille. Für einen Moment hört die Welt auf, sich zu drehen und die Beteiligten versuchen, mit dem Unfassbaren klar zu kommen.
Vielleicht weinen beide, vielleicht gibt es Versöhnungsszenarien. Vielleicht Beteuerungen, Erklärungen, warum und wieso. Weil jemand was gesagt hat. Weil man so lang gewartet hat. Weil man so in Sorge war.  Weil... man es verdient hat.

Weil man es verdient hat

Diese Meinung, dass jemand es verdient habe, geschlagen zu werden, weil er / sie das oder jenes gemacht habe, ist unter den Betroffenen häufig zu finden. Ehrlich gesagt, man kann dies den Leuten nicht verdenken.

Denn unsere Großeltern haben genau mit solchen Sprüchen ihre Kinder und damit unsere Eltern erzogen. Und auch diejenigen, die in den 70erJahren Kind gewesen waren, wissen, wie es ist, übers Knie gelegt zu werden oder ins Gesicht geschlagen zu bekommen und dann die entsprechenden Rechtfertigungen sich anhören zu müssen:

"Das hast du verdient."
"Daran bist du selber Schuld."
"Weil du nicht brav warst."
"Weil du böse warst."

Natürlich nicht in jeder Familie, aber flächendeckend sind die Zahlen über Prügel als Erziehungsmaßnahme für Deutschland ziemlich eindeutig.

Außerdem was immer unerwähnt bleibt: die ganzen Abkanzelungen, Beschimpfungen, das Bloßstellen vor Besuchern, das Vorgeführtwerden und das ständige Gefühl von Du-kannst-es-nicht-du-bist-zu-blöd-für", das als Erziehungsmaßnahme im Alltag gilt ... all das trägt nicht dazu bei, dass unsere Kinder einen aufrechten Gang lernen.

Gewalt lernen Kinder und Jugendliche von Erwachsenen

Ein Zusammenhang gilt ebenfalls als wissenschaftlich gesichert:
Wer mit Drohungen, Streit, Schlägen, Demütigungen und Machtdemonstrationen aufgewachsen ist, hat ein höheres Risiko, dass die spätere eigene Beziehung ähnliche Strukturen aufweist. Frauen zum Beispiel, die in einer Beziehung Opfer von Gewalt wurden, weisen eine höhere Wahrscheinlichkeit auf, in Folgebeziehungen ebenfall unter Gewalt zu leiden zu haben. Für Jugendliche scheint dies auch zu gelten.

Eigentlich kein Wunder. 

Die Herkunftsfamilie ist die erste interpersonelle Gemeinschaft. Hier lernen wir, wie es geht, eine Beziehung zu führen.

Ist einmal ein Zusammenhang zwischen Liebe und Übergriffigkeit gelernt, dann erscheinen zukünftig Kontroll- und Dominanzverhalten unterschwellig als Liebesbeweise.


Wer Machtgefälle in Beziehungen als Standart gelernt hat, und oft der Unterlegene war - wie es bei Kindern gegenüber Erwachsenen normal ist -, der fühlt sich schwach. Und was läge näher, wenn ich schwach bin, mir jemand Starkes zum Anlehnen zu suchen.
Das Ganze ist so logisch wie teuflisch.

Die Folgen

Über 80 Prozent der Befragten gaben an, sie würden ihre Beziehung wegen der Gewalterfahrung nicht beenden. Unsere Teens stehen heute unter großen Druck. Denn nicht die Eltern, die Schule, die Kirche geben die Vorbilder für Beziehungen vor, sondern die Clique definiert, wie Beziehungen auszusehen haben.

Die Clique sagt, was geht und was nicht:
  • Ob du out bist, wenn du keine Beziehung hast und alle anderen schon. 
  • Ob man Sex haben muss, weil der / die andere das will. 
  • Ob man wegen einer Ohrfeige Schluss machen muss oder nicht.

Selbst bei Erfahrungen wie Leistungsabfall, Alkohol, Essstörungen - was Jugendliche sehr wohl insgeheim richtig einordnen und als heftig empfinden - ... das Urteil der anderen überwiegt.

10 Prozent der Jugendlichen haben in der Umfrage der Aussage zugestimmt: "Es wäre besser, wenn ich gar nicht da wäre." So groß ist der Druck.

Kehren wir doch endlich mal vor unser eigenen Generation!

Wem wundert es denn, wenn Jugendliche "keinen Bock" mehr haben, die Schule verweigern oder sonst sich konträr zu den Erwartungen der Erwachsenenwelt verhalten.
Wer will denn schon mit Leuten zu tun haben, die einem das Gefühl gegeben haben, es wäre besser, es gäbe einen nicht.

Alamierend

Wer jetzt als Eltern die Augen verdreht und spontan antworten  möchte: "So ein Blödsinn, wegen so etwas ...", der gehört vielleicht in der Statistik zu denjenigen, zu dem die Jugendlichen mit ihren schweren Problemen längst nicht mehr gehen.
Denn tatsächlich hat die überwiegende Mehrzahl nicht über ihre Probleme gesprochen. Und wenn, dann nur unter sich: Mit Freunden oder Freundinnen. Weit abgeschlagen als Ansprechpartner sind Eltern oder Geschwister.

Kein gutes Zeugnis! 

Oft schien es nämlich so zu sein, dass die Eltern gegen den Partner waren. Jetzt zugeben zu müssen, dass diese mit ihren Vorbehalten Recht gehabt hatten, das ist zu demütigend. Das können Jugendliche nicht. Nicht in dieser Lebensphase. Wer etwas anderes erwartet, hat nichs verstanden. Kein Wunder, dass Jugendlich zu solchen Eltern dann auch nicht mehr gehen, wenn die Probleme groß werden.
Zu einem Lehrer oder Sozialarbeiter ist übrigens kaum jemand gegangen.

Unser mangelhaftes Verständnis hat eines zur Folge: Unsere Teens sind allein.

Wenn wir Erwachsene es schon nicht hinkriegen, wie sollen es dann unsere Jugendlichen?


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