Rhinocéros noir , un des "big five "... (Photo credit: marycesyl ...) |
Ursprünglich stammt der Begriff von Großwildjägern aus Afrika.
Leider geht das Modell von falschen Voraussetzungen aus. Das wissen wir jetzt. Der Irrtum liegt weniger im Modell, als vielmehr in unserem Denken. Die Folgen sind: Fehlurteile!
Wer sich für den Ursprung interessiert, hier ein Artikel über "The Big Five", sie gelten heute praktisch als "Standart" für Sichtungen auf Safari in Afrika. Früher jagte man sie mit dem Gewehr, heute überwiegend mit der Kamera:
In der Psychologie dagegen ...
... sind es fünf umfassende Merkmale, mit denen man eine Person beschreiben kann:- Extraversion: gesprächig, bestimmtes Auftreten, abenteuerlustig
- emotionale Labilität: gespannt, ängstlich, nervös. unsicher
- Offenheit für Erfahrungen: neugierig, fantasievoll, intellektuell, künstlerisch
- Verträglichkeit: liebenswürdig, mitfühlend, herzlich, kooperativ
- Gewissenhaftigkeit: sorgfültig, organisiert, zuverlässig, überlegt
Universelle Gültigkeit
Im Jahr 1997 wiesen Robert McCrae und Paul Costa nach, dass diese Big Five auch für Deutschland, Portugal, China, Israel, Korea und Japan galten.Nun sah man sie als global gültig an, d.h. jeder Mensch, egal ob in Feuerland oder am Nordpol, konnte in seinen Personenmerkmalen am besten mit diesem Schema beschrieben werden.
Tja, systemisch gesehen ...
Für den systemischen Ansatz sind generelle Aussage eher problematisch. Zu Recht weist er darauf hin, dass Menschen zu vielfältig und Situationen komplex sind, als dass man sie so einfach auf basale "Gleichungen" zurückführen könnte. Für den Systemiker verhalten sich generelle Aussagen und die Realität wie die Besetzung der Römer und das berühmte kleine gallische Dorf eines berühmten Comics:
"Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. Ganz Gallien? - Nein, ein kleines unbeugsames Dorf hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten" :-)
Ein kleines gallisches Dorf in Bolivien
Das gallische Dorf sind in Wirklichkeit 90 Dörfer und es sind keine Gallier, sondern Einwohner Boliviens. Sie nennen sich "Tsimané". Angesiedelt in den nordöstlichen Wäldern und Grassteppen ernähren sie sich hauptsächlich von Reis, Mais, selbst, Fisch und Fleisch und bleiben auch sonst eigentlich lieber unter sich.Beobachtet und erforscht werden die Tsimané von Michael Gurven von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara seit 2001.
Besonderheit 1:
Die Männer weisen eine geringere Testosteronmenge als "normale Männer" im Blut auf - wahrscheinlich angepasst an das Dschungelleben (Testosteron führt zu mehr Muskelmasse, aber das kostet Energie und schwächt damit zum Beispiel das Immunsystem. Nicht gut, wenn man im Dschungel lebt! Die Darstellung von Tarzan als muskelbepackten Hünen ist daher eher unrealistisch, in Wirklichkeit wäre er wohl eher klein und drahtig!)Besonderheit 2:
Ganz wichtig: Im Persönlichkeitstest mit den Tsimané konnten die "Big Five" nicht nachgewiesen werden. Es ergaben sich nur einzelne Ausprägungen, zum Beispiel, dass die Stammesmitglieder überwiegend sorgfältig, ausdauernd, fleißig und prosozial eingestellt waren, Extraversion oder Offenheit für Erfahrungen waren nicht erkennbar.Für mich sehr verständlich: Wenn ich im Dschungel leben würde, hätten die meisten meiner Erfahrungen damit zu tun, dass ich ans untere Ende der Nahrungskette gerutscht wäre. So etwas würde meine Offenheit für Neues auch ziemlich einschränken. Für Extraversion gälte das selbe.
Was das jetzt bedeutet:
Das Forschungsergebnis ist ein Hinweis, wie sehr neben Personenfaktoren die Umwelt uns beeinflusst. Sie bestimmt im Wesentlichen mit, was wir lernen und welche Fähigkeiten wir ausbilden. Im Gegensatz zu anderen Psychologieschulen stand das bei der Geburtsstunde der sytemische Therapie bereits Pate. Langsam ziehen die anderen Schulen nach.Das bedeutet aber auch, dass sogenannte Tests im Asessmentcenter oder bei Managertrainings wenig Echtes über die Persönlichkeit aussagen können. In Wirklichkeit sind sie Aussagen über das Verhalten einer Person mit einer individuellen Tagesverfassung in einer ganz konkreten (künstlich geschaffenen) Situation, in einer ganz bestimmten (künstlichen) Umgebung mit ganz spezifischen Merkmalen. Das Ergebnis dieser "Persönlichkeitsanalysen" sind in Wirklichkeit höchstens "mathematische Hochrechnungen" oder Verallgemeinerungen. Frei nach dem Motto:
Wenn etwas aussieht wie eine Ente, sich schwimmt wie eine Ente, quakt wie eine Ente, dann ist es auch eine Ente"
Der Fehler liegt im Wort "ist"!
Im Assessmentcenter zum Beispiel schließt man einfach auf Ente und übersieht, dass es auch ein Ganter sein könnte. Im Assessmentcenter ist das egal. In der Realität ist es ein fundamentaler Unterschied.Systemisch gesprochen müsste es heißen:
"Wenn etwas aussieht wie eine Ente, sich schwimmt wie eine Ente, quakt wie eine Ente,
dann gehe ich mit einer Wahrscheinlichkeit von x Prozent davon aus, dass es in dieser konkreten Situation zu einer ganz bestimmten Zeit eine Ente ist."
Der Unterschied zwischen beiden:
Das erste hält sich für die Wahrheit, das zweite berücksichtigt, dass wir nur Näherungswerte in unserer Erkenntnis haben. Es ist eine Zuschreibung, keine echte Erkenntnis. "Attribution" ist der psaychologische Fachausdruck. Nur weil "The Big Five" in vielen Ländern gelten, nimmt man an, sie gelten immer und überall. Falsch!Bei einfachen Dingen wie einer Ente mag so eine Attribution jetzt nicht ins Gewicht fallen, bei Menschen ist das etwas anderes:
Ein junger Mann pflegt aufopfernd seine an Kreb erkrankte alte Mutter. Als sie stirbt, erschüttert ihn ihr Tod bis aufs Innerste. Dem Arzt, einem frommen Juden in Wien, der sehr fürsorglich mit ihr umging, sagte der junge Mann, er werde ihm auf ewig dankbar sein.Und das war er auch: In den kommenden Jahren wird er diesem Arzt namens Eduard Bloch stets Neujahrsgrüsse schicken, und selbst 30 Jahre später, als der junge Mann inzwischen als Führer des Deutschen Reiches, Österreich "annektierte", soll er gefragt haben: "Lebt mein guter alter Dr. Bloch noch?"
Der Arzt durfte in seiner Wohnung bleiben, diese durfte nicht als Judenwohnung gekennzeichnet werden.
Hand aufs Herz: Hätten Sie das den jungen Mann, der Welt bekanntester Antisemit, von Charakter her zugetraut? Eben!
Genau so ist es mit all unseren Einschätzungen über Menschen. Wir übersehen, dass wir nur einen Ausschnitt bekommen, nie den ganzen Menschen. Aber wir tun so, als wüssten wir alles und fällen Urteile. Entsprechend sind diese mehr fehlerhaft als richtig. Wenn wir bereit sind, sie zu korrigieren, ist das nicht so schlimm. Wenn wir sie als Wahrheit oder nur als einzige Betrachtungsweise sehen, dann wird es ideologisch. Vor allem, wenn wir mit unseren Beurteilungen auf deren Leben Einfluss nehmen, ist Bescheidenheit gefordert.
Falls es interessiert: jemand hat eine Doku über die Tsimané auf youtube gestellt. Allerdings ist von Nöten:
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