23. April 2020

In Coronazeiten sterben besser die Alten als dass die Geschäfte leiden

 Die Vorgabe, nur Geschäfte bis 800 Quadratmeter öffnen zu lassen, können gegen die Berufsfreiheit
verstossen, so urteilt ein Hamburger Gerichtsurteil. Damit könnte diese Regelung gekippt werden.

Allerdings nur für den Kläger. Was dann folgt, wäre eine Klageflut. Die Corona-Eindämmungsmassnahmen geraten also unter Druck. Ist das gut oder schlecht?


Weder noch. Sie sind entweder normal oder gefährlich. Normal, weil in einer Demokratie Massnahmen des Gesetzgebers diskutiert werden und damit immer Einwände dagegen auf den Tisch kommen. Auch dass Gesetzgebung gesetzlich hinterfragbar ist, gehört zur Demokratie und ist normal.

Gefährlich daran ist, dass dabei nun Juristen, die von Medizin und Epidemien keine grosse Ahnung haben (im Vergleich zu den Fachleuten) entscheiden, was richtig ist. Gefährlich auch, weil dabei rechtliche Kriterien gelten, die Realität (und dazu gehört das Virus) kümmert sich um die Gesetze und um die Gerichtsurteile schon überhaupt nicht. Mit anderen Worten: Es kann gutgehen, es kann aber auch furchtbar schiefgehen. Wer bestimmt das? Nur das Virus. Die Juristen sind dabei irrelevant.

Die ambivalente Flanke der Demokratie ist, dass sie im Zweifelsfall immer fachfremde Juristen mit der Lösung beauftragt. Selbst Medizinjuristen entscheiden ja nicht wie ein Arzt, sondern nach Gesetz, Verordnungen und Rechtsprechung. Richter brauchen Gutachten, um von der Sache, die vorliegt, etwas zu verstehen. Und dann bekommen sie nur eine Teilmeinung und womöglich mit einem Gegengutachten eine andere Teilmeinung. Ein Urteil selbst ist bestrebt, juristisch korrekt zu sein, ob es der Realität gerecht wird ist nicht Ziel der Rechtsordnung.

Gute Richter und Juristen wissen das auch. Ich erinnere mich gerne an die Aussage eines pensionierten Richters aus dem Strafrecht, der im Rahmen des Kachelmann-Prozesses über Straftatverfahren klar gesagt hat:

Es ist doch nicht das Ziel der Rechtsprechung, die Wahrheit herauszufinden. Das kann ein Gericht gar nicht. Alles, was geschieht ist, sich den Sachverhalt schildern lassen, ihn so weit wie möglich auf Stichhaltigkeit zu befragen und dann zu vergleichen, ob darin irgendein Rechtsanspruch liegt. Die Realität ist zweitrangig, sie ist nur dann wichtig, wenn irgendein Rechtsanspruch existiert, der dazu passt. Ist das der Fall, dann entscheidet man nach dem, was bewiesen oder glaubhaft ist und anhand dessen, was das Gesetz und die Rechtsprechung vorgibt.


Da ist sehr viel, was nicht auf der Ebene der Fakten, sondern auf der der Interpretation und der Schlussfolgerungen liegt, dabei.

Interpretation und Schlussfolgerungen sind die eigentlichen Elemente für eine Entscheidung. Jetzt hat der Vize-Governeut von Texas zum Beispiel gesagt, die Wirtschaft ist wichtiger als das Überleben von Menschen. Genauer gesagt, sollten sich doch in der jetzigen Krise die Alten opfern, damit die Geschäfte wieder ihre Geschäfte machen können.


Ist eine Interpretation und Schlussfolgerung, was wie wichtig ist in dieser Welt. Natürlich erfolgte eine Protestwelle. In seiner Rechtfertigung sagte er: "We have a choice here". Ja, das haben wir tatsächlich. Und: "We got to take some risks."

Demokratie lebt in der Praxis nicht vom Guten und Schönen und Richtigen. Demokratie bedeutet ein Wettbewerb von verschiedenen Eigeninteressen Einzelner und Gruppen und das Organisieren von Mehrheiten. Mehr ist es nicht. In der Praxis bedeutet das, dass jede Demokratie auf demokratischen Weg den Boden, auf dem sie steht, abtragen kann. Der Corona-Virus macht das wieder deutlich.
Lasst uns hoffen, das der Schaden nicht vergrößert wird.

Quellen:

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