2. November 2014

Religion ist bloß was für Dumme? Eine neue Metastudie klopft ab

intelligence
intelligence (Photo credit: arvindgrover)creativecommonslicense
Es gibt Untersuchungen, die einen negativen Zusammenhang zwischen Intelligenz und religiösem Glauben aufwiesen, das heißt:
je intelligenter ein Mensch, desto weniger religiös ist er.

Miron Zuckerman und Jordan Silberman, Psychologen der Universität von Rochester, sind der Sache noch einmal genauer nachgegangen. Sie haben zusammen mit Judith Hall von der Northeastern University eine Metastudie publiziertAn ihr zeigt sich, was differenziertes Denken bedeutet. 

Gleich vorneweg: Für diesen post brauchen Sie etwas Ruhe. (deshalb publiziere ich ihn an einem Feiertag) Es wird ein bisschen wissenschaftlich. Holen Sie sich einfach vor dem Lesen eine schöne Tasse Tee, machen Sie es sich gemütlich und lesen los.

Die Studie

Diese Metastudie ist die erste Studie ihrer Art, die 63 Länderstudien zwischen 1928 und 2012 umfasst. 53 von den 63 Studien wiesen dabei eine negative Beziehung zwischen Intelligenz und Religion nach. Also: je intelligenter, desto weniger religiös sind Menschen. Dieses Ergebnis wurde nun eine Prüfung unterzogen.

Der Ausgangspunkt

Zugrunde gelegt hat die Metastudie eine Definition von Intelligenz als "Fähigkeit zu"

  • begründen, planen, Problem lösen, 
  • abstraktem Denken, 
  • komplexe Gedanken nachvollziehen zu können, 
  • schnell zu lernen 
  • aus Erfahrung zu lernen.

Es geht also ausschließlich um analytische Intellgenz, soziale, emotionale oder kreative Intelligenz ist außen vor.



Religiosität wurde definiert als Engagement in religiösen Elementen, wie

  • Glaube an ein Übernatürliches, 
  • dem Übernatürlichen Gaben darbringen, 
  • der Vollzug von Ritualen zur Bestärkung des Glaubens. 
  • Andere Studien fügten noch Teilnahme an Gottesdiensten oder Mitgliedschaften in religiösen Organisationen hinzu. Gender oder Erziehung, so die Autoren der Metastudie, spiele hingegen keine Rolle.

Ein paar Einblicke

Geht man in die Details, so stellt sich heraus, dass die Aussage "je intelligenter, desto weniger religiös", bei den Probanden am wenigsten auf die Zeit vor dem College zutraf. Das leuchtet ein, denn die Betroffene lebten in dieser Lebensphase fast ausnahmslos in ihrer Familie und leben damit die dort existierende Religiosität der Eltern entsprechend mit. Erst mit dem Eintritt ins Collage beginnt die Zeit der Unabhängigkeit und das unabhängigere Ausprobieren von neuen Ideen.

Zwei Langzeitstudien ...


... versuchen eine Antwort auf die Frage: Ist es möglich, dass eine höhere Intelligenz zu weniger Religiosität führt?
Die erste stammt von Lewis Terman von 1921 an der Stanford Universität. Sie umfasst 1500 Kinder mit einem IQ über 135 im Alter von 10 Jahren. Zwei Studien benutzen diese Daten, eine von Robin Sears von der Columbia Universität 1995 und eine von Michael McCullough von der Universität von Miami 2005. Ihr Ergebnis: Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung waren Hochintelligente weniger religiös.


Was bemerkenswert ist, ist nicht, dass Hochintelligente weniger religiös sind, das findet sich auch anderswo. Sondern dass 60 Prozent der Probanden eine sehr strenge oder umfangreiche religiöse Erziehung genossen hatten, 33 Prozent dagegen nicht. Unabhängig also vom Erziehungsstil waren Hochintelligente weniger religiös.

Die zweite Gruppe der Studien ... 

... basiert auf Absolventen des New York Hunter Collega Elementary School, eine Schule für Hochbegabte. Die Studie untersuchte sie zwischen 38 und 50 Jahre. Alle besaßen einen IQ über 140 und man fand heraus, dass nur 16 Prozent religiös waren.


Gleichwohl Faktoren wie sozioökonomischer Statur oder Beruf nicht mit einbezogen wurden, so ergab es doch einen Zusammenhang zwischen Hochintelligenz in jungen Jahren und eine nicht so enge Beziehung zur Religion Jahre später.

Andere Studien waren nicht so eindeutig. 

2009 verglich Richard Lynn von der Universität von Ulster religiösen Glaubende mit dem Durchschnitts-IQ von 137 Ländern. Insgesamt wiesen nur 23 Länder mehr als 20 Prozent Atheisten auf, alles Länder mit höheren Durchschnitt-IQ, so Lynn. Die positive Verbindung zwischen Intelligenz und Atheismus war für ihn deutlich, jedoch bekam die Studie starken Gegenwind von Gordon Lynch vom Birkbeck College, da sie weder soziale, noch ökonomische noch historische Faktoren berücksichtigte.

Jetzt die Wertung durch die Metatudie

Nach Zuckerman, Silberman und Hall gibt es nach ihrer Metaanalyse wenig Zweifel, dass es einen negativen Zusammenhang zwischen Intelligenz und Religion gibt. Zum Beispiel schnitten religiösere Menschen bei verschiedenen Intelligenztests schlechter ab.

Rückte man religiöse Glaubensvorstellungen gegenüber religiös-ethischen Verhalten ins Blickfeld, so schien sich der negative Zusammenhang noch zu verstärken. Vielleicht deswegen, weil aus Religion motiviertes Verhalten, jemanden zu helfen, die Akteure dazu verleitet, einander als Teil ein und der selben Gruppe zu sehen, selbst wenn der Hilfsbedürftige nicht gläubig war.

Mögliche Erklärungen der Ergebnisse

Welche Erklärung könnte es geben, dass Intelligentere weniger religiös erscheinen? Drei mögliche Gründe:


Möglicherweise sind intelligentere Menschen weniger konformistisch und neigen deshalb dazu, religiöse Dogmen nicht anzunehmen. 1992 zeigt eine Metaanalyse von sieben Studien, dass intelligente Menschen eher dazu neigen, atheistisch zu sein, wenn sie in religiösen Gesellschaften leben, da intelligente Leute zum Nonkonformismus neigen.

Die verbreitetste Erklärung lautet, dass Intelligente keine Glaubensaussage akzeptieren wollen, die nicht mit empirischen oder logischen Gründen untermauert werden könne. Zuckerman schreibt, dass Intelligente mehr analytisch denken, also eher "kontrolliert, systematisch und langsam" anstatt intuitiv, heuristisch, unbewusst und schnell. Entsprechend führe analytisches Denken zu weniger Religiosität.
Die letzte Erklärung nennt als Grund, dass Intelligenz ihrem Träger genau das vermittelt, was die Religion sonst für den Gläubigen tut. Zuckerman, Silberman und Hall nennen vier Funktionen.

Diese vier Funktionen sind:

  1. Religion verspricht ein Gefühl der Kontrolle. Studien zwischen 2008 und 2010 belegen dies. Es spricht vieles dafür, dass der Glaube, Gott habe die Welt geschaffen, diese mehr vorhersehbar und weniger erschreckend werden lässt. Ebenso gibt es einen Zusammenhang zwischen höherer Intelligenz und dem Gefühl von größerer Selbsteffizienz (die Überzeugung, dass man mit seinen Fähigkeiten, die eigenen Ziele realisieren zu können.) Also wenn intelligente Menschen mehr Kontrolle empfinden, dann brauchen sie die Religion nicht zum Sicherheitsgefühl.
  2. Religion verspricht Selbstkontrolle. 2009 meint eine Studie, dass es bei Religion auch darum geht, ein guter Mensch zu sein. Dies schlossen die Forscher daraus, dass Religiöse in puncto Zielverfolgung und Belohnungsaufschub disziplinierter waren als andere. Unabhängig davon kam 2008 eine Metastudie zum Ergebnis, dass intelligente Menschen weniger impulsiv seien als andere. Belohnungsaufschub scheint nämlich ein besseres Arbeitsgedächtnis zu verlangen, eine Fähigkeit, die Intelligente aufweisen. Auch hier würde Intelligenz als Religionsersatz wirken. Es gibt alturistisches Verhalten und Belohnungsaufschub ohne göttliche Motivation
  3. Religion verspricht Selbstwerterhöhung. 1997 verlgich eine Metaanalyse intrinsisch religiös Motivierte, die privat an ein Übernatürliches glaubten mit extrinsisch religiöse Menschen, die Teil einer religiösen Gruppe waren ohne an Gott zu glauben. Die intrinsisch-Religiösen wiesen ein höheres Selbstwertgefühl auf als der Durchschnitt. Ebenso besteht ein Zusammenhang zwischen Intelligenz und höherem Selbstwertgefühl. Also leistet Intelligenz etwas, was auch Religion verspricht.
  4. Religion verspricht Bindung. Religiöse Menschen geben oft an, eine persönliche Beziehung mit Gott zu haben. Sie benutzen Gott als Anker, wenn ihnen Kummer und Leid widerfahren. Intelligente Menschen neigen dazu, in der Pflege persönlicher Beziehungen ihren Halt zu sehen. Studien ergaben, dass Intelligentere mehr dazu neigen, zu heiraten und weniger von Scheidungsfällen betroffen sind. Von daher gesehen hätte intelligente Menschen weniger Bedarf, Religion als Beziehungsersatz anzunehmen.


Ein paar Anmerkungen dazu

Dass Religionen auch Funktionen erfüllt, die mit ihr selbst nichts zu tun haben und diese auch von anderen übernommen werden können, ist unstrittig. Für eine Religion würde es dann kritisch, wenn sie nichts Eigenständiges aufzuweisen hätte.

Und nun zur Metastudie

Die  Metastudie fußt auf analytischer Intelligenz, was natürlich nicht dem entspricht, was man heute insgesamt darunter versteht. Auch wenn sie einen großen Zeitraum zwischen 1928 und 2012 umfasst, so nimmt sie nur englischsprachige Untersuchungen als Ausgangspunkt (inklusive zwei ausländische, die jedoch in englischer Übersetzung vorlagen). Die Verfasser sprechen von ähnlichen Studien für den japanischen und lateinamerikanischen Raum, jedoch wurden diese aus Zeitgründen nicht mit einbezogen.

Zuckerman führt ebenso an, dass es sich bei den Probanden ausschließlich um Menschen aus westlichen Gesellschaften handle, darunter 87 Prozent aus US, UK und Kanada. Entsprechend gälte der negative Zusammenhang zwischen Intelligenz und Religiosität überwiegend für amerikanische Protestanten. Für Katholiken oder Juden oder anderen Religionen mag es anders aussehen.

Doch auch hinsichtlich der Erklärungen gibt es Probleme 

So trifft die Nonkonformismus-Theorie nicht auf Gesellschaften zu, die in der überwiegenden Mehrheit atheistisch sind, wie zum Beispiel die skandinavischen Länder. Die möglichen Erklärungen sind also genau das: mögliche Erklärungen. Sie müssen erst empirisch überprüft werden.

Letztendlich sind auch all die verwendeten Studien nicht von der selben Qualität

Einige davon sind bereits von anderen Forschern kritisiert worden. Doch genau deswegen sind Metaanalysen da. Sie überschreiten die bislang existierende Limitierungen und fragen genauer nach.

Das Wort "Zusammenhang" spielt noch eine extra Rolle. 

Denn insgesamt wurde nicht nachgewiesen, dass höhere Intelligenz irgendwie geringere Religiösität verursacht. Jemanden aufgrund seines religiösen Glaubens entsprechend "einen Schwachkopf nennen zu können", geben die Studien nicht her. Manche missionarischen Atheisten tun dies trotzdem. Ihnen kann erwidert werden, dass dies nicht weiter ist als Provokation. Sie taugt für Talkshows, nicht für eine echte Argumentation.



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1 Kommentar :

  1. Religion ist wie eine Gebrauchsanweisung unseres Lebens. Religion zeigt uns wie wir zu Leben haben um das Leben in der Sicht eines höheren Wesens erfolgreich zu bestehen. Religion ist für alle Menschen nicht nur für dumme. Paul von Fuxtec

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